Kapitel 91

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Ich strich ihr mit meiner Hand sanft über den Arm. „Das wird schon, wenn ihr euch nicht so unter Druck setzt und der Natur ein bisschen ihre Freiheit lasst. Versucht euch doch einfach nur auf eure Liebe zu besinnen. So wie früher als es noch nicht um ein Baby ging. Verführe Max einfach romantisch, weil du Lust dazu hast und ohne weitere Hintergedanken. Du wirst sehen dann läuft es bei euch beiden wieder besser und dann klappt das andere von ganz alleine. Vielleicht solltet ihr einfach mal alleine irgendwohin verreisen. So wie zu eurer Hochzeitsreise." Leo fing an zu lachen. Aber es klang etwas bitter. „Nicht einmal da waren wir alleine. Da waren Oma und Opa auch mit auf Curacao. Sie hatten uns die Reise ja geschenkt." Das hatte ich so gar nicht mehr in Erinnerung. Sie starrte auf das Armband an ihrem Handgelenk, das Max ihr zu Ostern geschenkt hatte. „Meinst du, ich merke nicht, wie Max sich immer mehr von mir entfernt. Weißt du, dass dieser ganze Luxuskram mir eigentlich egal wäre, wenn wir endlich beide wieder glücklich wären und ein...." Sie winkte ab. „Nee, du hast recht. Man kann nichts erzwingen. Meinst du wirklich Max würde sich über ein romantischen Urlaub freuen?" War das wirklich eine Frage? Mein Bruder war der totale Romantiker. „Da bin ich mir absolut sicher." Sie fing an zu grinsen. „Hast du nachher Zeit mit mir was zu buchen? Vielleicht Paris, direkt am Eiffelturm oder Venedig am Markusplatz oder New York..." Okay, so viel zum Luxus, auf den man verzichten konnte. Da kam dann wohl doch ihr Vater durch. Ich stoppte sie ab. „Oder einfach im Allgäu in einer Berghütte ganz für euch alleine." Ich wusste ja von Lucy, dass sie so etwas irgendwo mit Andi in den Bergen gemacht hatte und total begeistert war. Leo nickte. „Du hast recht. Es muss nichts besonderes sein. Wichtig ist nur, dass wir beide mal alleine sind." Wieder schaute sie auf das Armband und fuhr es mit ihrem Zeigefinger ab. „Ja, das ist wirklich das wichtigste." Wir standen wieder von der Bank auf und liefen weiter. „Schau mal, da hinten sind jede Menge bunte Tulpenfelder." Leo deutete begeistert mit ihrer Hand in eine Richtung. Ja, das war dann wohl diese Tulipan. Mir brannte aber seit vorhin eine Frage auf den Lippen. „Und du hast wirklich keinen Kontakt mehr zu dem Marshmallow Monster?" Leo schüttelte traurig ihren Kopf. „Seit Mamas Hochzeit nicht mehr. Ich schreibe ihr zwar jedes Jahr zum Geburtstag eine Mail nach Paris, aber sie reagiert nicht darauf." „Ist sie echt da alleine in Paris?Sie ist doch auch gerade einmal dreizehn." ich konnte mir das bei den Drillingen absolut nicht vorstellen, dass sie alleine in einer fremden Stadt und noch dazu in einem fremden Land lebten. „Ja, sie ist da im Internat an der Oper und wird getrimmt, die nächste große Primaballerina zu werden. Und so wie Mama das erzählt, stehen die Chancen wohl sehr gut dafür." „Dann hat deine Mama aber Kontakt zu ihr?" Leo schüttelte den Kopf. „Nee, nur zu der Internatsleitung, weil sie den ganzen Mist bezahlt." Okay, das war mir ja klar, von ihrem Vater konnte ja kaum etwas kommen, es sei denn, er hätte sich geändert. „Mein Vater ist ja nicht einmal in der Lage sich selbst zu finanzieren. Also bleibt alles an Mama hängen" Ihr Ton zeigte deutlich die Enttäuschung, die sie für ihren Vater empfand. „Der Arsch schafft es ja nicht einmal das Kind, das er nach uns in die Welt gesetzt hat zu versorgen. Wenn er nicht gerade an der Flasche hängt, dann ist er zum Entzug in der Klinik. Und leben tut er auch nur auf Oma und Opas Kosten. Was meinst du, warum es meinem Opa so schlecht geht? Er kann sich das nicht mehr mit ansehen, wie sein Sohn immer mehr abstürzt. Und Oma kümmert sich so gut sie kann um den Zwerg, aber sie ist halt auch nicht mehr die Jüngste. Der Kleine Emilio ist wirklich zuckersüß. Er ist ja erst fast vier, aber schon ein kleines schlaues Kerlchen. Wir haben ihn ja das erste Mal persönlich kennengelernt als wir an Weihnachten in der Schweiz waren." Leos Augen fingen an zu strahlen als sie über ihren kleinen Halbbruder erzählte. „Wow, die Tulpen sind ja hier wirklich in allen Farben vertreten. Schau nur die lilafarbenen sind doch ein Traum", unterbrach sie die Schwärmerei über den kleinen Emilio, der einem wirklich Leid tun konnte. Seine Mutter hatte ihn ja gleich nach der Geburt dem Vater aufgedrückt und der war ja nun auch kein Hauptgewinn. Wir liefen durch die bunten Tulpenfelder und machten ein paar Selfies von uns, als das Handy von mir zu Summen begann. Das war Mama. „Wo bleibt ihr denn?", meldete sie sich gleich. „Wir haben nämlich Hunger und wollen was essen gehen." Okay, das erklärte die Ungeduld. „Wir sind gerade bei den Tulpen.", klärte ich sie auf. „Perfekt, dann könnt ihr ja gleich zur Britzer Mühle kommen. Wer zu erst da ist, blockt den Tisch für uns alle. Also bis gleich." Ehe ich überhaupt antworten konnte, hatte sie auch schon wieder aufgelegt. Dann hatte sie definitiv Hunger. „Wir sollen gleich ins Restaurant kommen", klärte ich Leo auf, die zu schmunzeln begann und sich bei mir unterhakte. „Na dann los." Sie schaute mich von der Seite an, während wir losliefen. „Weißt du, wie sehr mir das gefehlt hat? Endlich mal wieder mit einer Freundin reden. Das tut echt gut." Sie kaute auf ihrer Unterlippe. „Außer dir habe ich ja keine Freundin." Sie hob sofort die Hand. „Also zum Reden. Das kannst du mit Tessa vergessen und seit sie die Zwillinge hat..." Sofort huschte wieder ein Schatten über ihr Gesicht. „Du kannst mich doch jederzeit anrufen. Wir sind doch das Kleeblatt", unterbrach ich sie. „Das Kleeblatt!" Sie fing an zulachen. „Das waren noch Zeiten. Da war alles noch so einfach." Ich nickte. Ja, da waren wir noch viel jünger. Nichts war zwischen Tessa, Leo, Sascha und mich gekommen. „Was macht überhaupt Sascha?" Von ihm hatte ich schon ewig nichts mehr gehört. „Das weißt du ja noch gar nicht. Der ist jetzt doch zu den Profis gewechselt und zieht ein Fernstudium durch." Leo winkte ab. „Na ja , da hat er ja auch genug Zeit zu. Eine Freundin hat er ja nicht." Plötzlich blieb sie stehen und drehte sich zu mir. Ehe ich mich versah, umarmte sie mich ganz fest. „Danke, dass du trotz allem noch meine Freundin bist. Sorry, das ich so blöd war." Das war ich doch gerne. Zu einer Freundschaft gehörten auch mal schwere Zeiten. „Wir sollten unbedingt mal ein Kleeblatt-Treffen machen", schlug Leo vor. Das war eine klasse Idee. Wir liefen weiter und machten schon ein paar Pläne. „Da seid ihr ja endlich. Seid ihr erst über Rudow und Erkner gelaufen?", begrüßte uns Mama ungeduldig und hielt bereits eine Karte in der Hand, als wir an den Tisch im Biergarten kamen. Leo steuerte sofort den Platz neben Max an und küsste ihn liebevoll. Sein erstaunter Blick wanderte zu mir und ich zwinkerte ihm zu. Ja, bei den beiden würde alles wieder gut werden. Das zeigte auch das glückliche Grinsen im Gesicht meines Bruders.

Schuss und Treffer im Auswärtsspiel - Teil 9  ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt