Kapitel 137

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„Meine Mom ist tot. Deshalb bin ich doch hier, um meine Familie zu suchen", quetschte Tom heraus. Man sah ihm an, wie er sich bemühte, die Tränen zurückzudrängen. Glücklicherweise hielt meine Schwester einfach mal ihren Mund, als ich nach Toms Hand griff und tröstend darüber strich. Er schaute mich mit feuchten Augen an. „Sie ist im Februar gestorben. Cancer." Er zuckte mit den Schultern. „Ich habe bis zum Ende gehofft, sie schafft das noch. War ein lange Zeit im Krankenhaus, aber sie konnten nichts mehr machen. War zu spät." Diesmal schaffte er es nicht die Tränen zurückzuhalten und eine kullerte über seine Wange. Das war ja schrecklich. Alleine schon der Gedanke meine Mama könnte Krebs haben oder sterben ließ mir die Tränen in die Augen schießen. Scheinbar ging es Lucy genauso, den sie wischte sich mit der Hand über die Augenwinkel. Und Tessa, Tessa räusperte sich auch. Klar, sie waren ja beide selbst Mütter und wahrscheinlich dachten sie nicht nur daran, wie es wäre wenn die Mutter starb, sondern dachten auch noch daran, wie es wäre, wenn sie starben. Was wäre dann mit ihren Kindern. „Aber wieso bist du dann hier nach Deutschland gekommen und nicht lieber bei deiner Familie in England geblieben?" Lucys Stimme klang bei der Frage ziemlich brüchig und sie sah aus, als ob sie überlegte, ob diese Frage ihr überhaupt zustand. „Weil meine Mom meine einzige Familie war. Meine Grandma und mein Grandpa sind schon gestorben, als ich noch kleiner war. Meine Mom war alles...." Tom schluckte schwer. „....was ich hatte." Manno, ging es vielleicht noch beschissener? Ich wollte mir mein Leben gar nicht ohne Oma und Opa vorstellen. Oma und Opa waren in Berlin eine feste Größe für mich geworden, zu denen ich immer hingehen konnte und Oma Manu und Opa Thomas in Dortmund waren auch immer für mich da. Ich hatte die vier genauso lieb wie Papa und Mama. „Und deine Mom hat dir den Zettel mit Wills Adresse gegeben?" Tom nickte. „Ja, sie hat ihn mir ein paar Tage vor ihrem Tod in die Hand gedrückt und gesagt, ich soll meine Familie suchen, damit ich nicht alleine bin. Ich bin dann im Mai nach Berlin gefahren." Im Mai? Aber er war doch erst im Juni im Studio aufgetaucht? „Ich musste ja erst noch das Jahr am College beenden. Das Schulgeld war ja noch bezahlt. Und dann musste ich die Haus verkaufen." Tom schaute entschuldigend in meine Richtung. Scheinbar hatte er meine verwunderte Miene gesehen und sie falsch interpretiert. „Wie, du hast alles verscherbelt, um nach Deutschland zu kommen?" Tessa schaute ihn fassungslos an und er nickte. „Meine Mom hat gesagt, ich soll meine Familie suchen, also tue ich das." „Und was ist mit deinem College? Du musst doch deine Ausbildung beenden." Ja, Tessa war mittlerweile zum Bildungsfanatiker geworden, der Wert auf eine abgeschlossen Ausbildung legte. „Geht nicht, zu teuer in England." Das entlockte meiner Schwester ein Brummen. „Was ist das für ein kack Land?" „Ich war da schon auf teurem Internat. Meine Mom war Immobilienmaklerin." Tom war der Stolz auf seine Mutter anzusehen. „Sie hat das ganz alleine geschafft zu finanzieren." „Und dein Alter? Was ist mit dem?" Tessa stellte eine nicht uninteressante Frage, denn Will hatte ja auch keinen Kontakt zu seinem Vater. Vielleicht......nee, da hatte Will garantiert kein Interesse dran. Und Chris bestimmt auch nicht. Die beiden waren auf ihren Erzeuger, wie sie ihn nannten, nicht besonders zu sprechen, da er ihre Mütter ja einfach im Regen hatte stehen lassen. Und Will war auf ihn noch viel schlechter zu sprechen, weil er ihm auch noch die Schuld an Tanjas Krankheit gab. „Alter? Ich habe doch gesagt, dass ich in drei Wochen zwanzig werde." Tom schaute meine Schwester verständnislos an, die sich wieder die Hand vor die Stirn klatschte. „Mensch, ich meine deinen Vater." „Ähm ach so. Der ist mit seiner neuen Familie irgendwo in Südamerika." Wie viele Familien gründete der bitte noch? Dieser William setzte scheinbar ein Kind nach dem anderen in die Welt, um es dann gleich wieder im Stich zu lassen. Das war unglaublich. Was war das nur für ein Mensch? „Und wieso kannst du so gut Deutsch?" Ja, Lucys Frage war berechtigt. Das hatte ich mich noch nie zu fragen getraut. „Meine Grandma war aus Deutschland. Mein Grandpa hat sie hier kennengelernt, als er mit der Army hier war. Und ich hatte Deutsch im Internat." Okay, das erklärte es wirklich. „Meine Granny kam aus der Nähe von Dortmund." Tessa fing an zu grinsen. „Na dann ist bei dem ja doch noch wat zu retten." Eine Frage wurmte mich aber noch echt. „Wieso hast du dich im Studio als Keyboarder beworben? Das konntest du doch gar nicht wissen. Die Idee mit der Band war doch total kurzfristig." Tom fuhr sich mit seiner Hand durch den Nacken. „Ehrlich gesagt bin ich überhaupt kein Musiker. Das war blöder Zufall. Ich bin nach Berlin gekommen und habe dich gesucht. Irgendwie warst du nicht da in der Wohnung. Du musst verreist gewesen sein." Klar, Papas und Wills Geburtstag, da war uns Tom im Haus begegnet als wir losgefahren sind. „Deshalb wusstest du auch wo wir wohnen, als meine Mama zum Shooting da war." Ich hatte mich schon gewundert. Tom nickte schuldbewusst. „Deshalb habe ich dich auch bei Shooting nicht geküsst. Du warst doch meine Schwester, dachte ich." „Wow, ein echter Ehrenmann", kicherte Tessa. „Aber wieso bist du im Studio aufgetaucht?" Die Frage war immer noch nicht geklärt. „Weil ich immer hinter dir her gefahren bin und du schon so oft dort hinein bist. Also bin ich dich gefolgt. Und dann hat Franky mich für den Keyboarder Ersatz gehalten. Glücklicherweise ist der andere auch nicht gekommen." Er grinste schelmisch. „So konnte ich noch viel besser auf dich aufpassen und in deiner Nähe sein, Sister." Ich schüttelte auch grinsend den Kopf. „Aber wieso spielst du dann so gut Keyboard?" Tom zuckte mit den Schultern. „Ich spiele seit ich vier bin Klavier und am College habe ich Musik studiert." Das erklärte vieles. „Na euer Alte muss ja echt musikalisch sein. Und nicht nur weil er ab und zu flöten geht." Tom schaute Tessa verständnislos an. „Na ja Chris ist auch Sänger und Will kennst du ja selbst." „Oh wow!" Tom schaute überrascht. „Dann studierst du aber gar nicht an der FU?" Das war mir gerade aufgestoßen. Tom schüttelte den Kopf. „Noch nicht. Ich war da nur zum Aufpassen." Er verzog schuldbewusst sein Gesicht. „Aber ich will da bald studieren", fügte er schnell an. „Wo wohnst du eigentlich hier? Und wie hast du mich immer gefunden?" Das war die erst einmal letzte offene Frage, die ich hatte. „Ich bin euch mit Taxi gefolgt und habe mir dann nachdem ich wusste, wo du wohnst, einen Mietwagen genommen. In dem schlafe ich auch. Sonst könnte ich ja nicht immer auf dich aufpassen." „Ein roter Golf?" Tom nickte betreten. „Ich wollte dich wirklich nie Angst machen. Ich wollte dich nur beschützen, damit dir nichts passiert. Du bist doch alles, was ich noch habe. Und ich habe immer auf Zeitpunkt gewartet, dir das zu sagen." Sein trauriger Blick sagte mir, dass das die volle Wahrheit war. „So dann wäre dat mal auch geklärt. Dann können wir ja endlich hier einen Abgang machen. Ich kenne da drei Würmer die garantiert genug von der Bespaßung ihrer Väter haben." Tessa klopfte mit ihrer Hand auf den Tisch und stand auf. Lucy folgte sofort ihrem Beispiel. Nur Tom blieb reglos sitzen, als ich auch aufstand, und starrte vor sich hin. „Eh, du Flitzpiepe, kommst du jetzt vielleicht mal, oder brauchst du eine extra Einladung?" Tessa schaute Tom auffordernd an. „Ich?" Er deutete auf sich. „Ja, du! Oder siehst du hier noch mehr Flitzpiepen herumsitzen?" Tessa verzog ungeduldig ihr Gesicht. „Erstens brauchst du mal eine Dusche und zweitens kannst du deinem richtigen Bruder auf den Zünder gehen und endlich meine Schwester in Ruhe lassen. Den Weg zur Hütte unserer Alten kennst du ja. Und deine Karre dürfte ja nur unweit von unserer parken." Tom nickte betreten, folgte uns aber.

Schuss und Treffer im Auswärtsspiel - Teil 9  ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt