Kapitel 101

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Ich schaute auf den Teller vor mir. Mein leckerer Curryreis war leider schon in meinem Magen verschwunden. „Möchtest du noch einen Nachschlag?" Mama zwinkerte mir zu und griff nach der Kelle, noch bevor ich überhaupt geantwortet hatte. „Nein, möchte sie nicht, Wir wollen doch noch los, das weißt du doch, Prinzessin." Papa war schon eine ganze Weile irgendwie hibbelig. Was bitte hatte er schon wieder geplant? „Wie hat dir überhaupt das Tonstudio heute gefallen?", wandte er sich an Will, den er heute den halben Tag mit dem Fahrrad verschleppt hatte, um dann bei einem alten Kollegen aus der Schule zu landen, der ein eigenes Tonstudio hatte und Musik produzierte. Wohl sogar ziemlich erfolgreich. Ich kannte mich da ja nicht so aus, aber Will hatte seinen Namen sofort gekannt und war begeistert. Wenn das schon wieder jemand von Papas alten Mitschülern war, fragte ich mich langsam echt, ob er in einer Mammutklasse war oder alle Schüler der Schule persönlich kannte und mit ihnen befreundet war. „Der Patrick hat echt was drauf, ne?", bohrte Papa weiter. Mein Muffeltier nickte grinsend. „Ja, das Studio ist auf dem neusten Stand. Er hat ja auch ein paar ganz bekannte Musiker unter Vertrag, da ist das schon klar." Papa schaute Will nachdenklich an. „Dann wäre es ja ein beruflicher Schritt nach vorne für dich, wenn du dort arbeiten könntest." Meine Ohren schlugen hoch und ich schaute zu Papa, der immer noch ganz harmlos aussah und plötzlich zu grinsen anfing, als hätte er gerade eine bahnbrechende Idee. „Ich kann ihn ja mal fragen, bestimmt hat er einen Job für dich." Ach, daher wehte der Wind. Diese spontane Idee war garantiert schon von langer Hand geplant und wenn er jetzt bei diesem Patrick anrief, brauchte der natürlich ganz dringend Verstärkung. Papa dachte wohl, ich kannte seine Tricks nicht. Er wollte Will hierher locken, damit ich auch wieder hier einzog. Das konnte er vergessen. Zu Besuch gerne, aber nie wieder fest. Nee, wenn ich jemals nach Dortmund zurück zog, dann garantiert in eine eigene Wohnung, auch wenn ich meine Familie liebte. „Will hat einen Job in Berlin", schoss ich also sofort dagegen. „Ja, aber.....", fing Papa an. Er hatte wohl nicht damit gerechnet, dass ich quer schoss. „Und ich habe auch einen Studienplatz in Berlin und einen Vertrag mit Franky und Marcel." Von den anderen Clubs hatte ich noch gar nichts erzählt. „Na ja, den Studienplatz könnte man ja zum nächsten Semester wechseln und die Aufnahmen kannst du ja weiterhin bei Franky machen.......Obwohl Patrick....." Mama fing an zu lachen. „Ich habe dir doch gleich gesagt, dass dein Plan nicht funktioniert, Schnutzelchen." Papa zog kurz eine Schmollschnute. „Dann lasst uns jetzt los." Ohne weiter zu schauen, ob wir überhaupt schon aufgegessen hatten, sprang er auf. Was sollte das denn schon wieder? Mama verzog nur ihr Gesicht und zuckte mit den Achseln, während sie sich genussvoll die nächste Gabel in den Mund schob. Ich folgte ihrem Beispiel. Nur Will saß ziemlich nachdenklich da und schaute zu seiner Mutter, die auch gerade weiter aß. So wie es aussah, hatte die Therapie wirklich Erfolg gehabt, denn Tanja machte wieder einen richtig gesunden Eindruck und auch ihre Figur wirkte wieder ganz normal. Vielleicht wollte Will ja wirklich gerne hier herziehen, um in der Nähe seiner Mutter zu sein? „Ich komme hier ganz gut alleine klar. Willi, es ist an der Zeit, dass du dein Leben führst, ohne ständig auf mich Rücksicht zu nehmen." Scheinbar hatte Tanja auch seine nachdenkliche Miene mitbekommen. „Es schadet nie, wenn ein Mann auf die Bedürfnisse seiner Familie Rücksicht nimmt", grätschte Papa dazwischen, der mit tippsendem Fuß an der Küchentür wartete. „Außerdem muss ich.....ähm wir", verbesserte er sich schnell „....euch erst noch etwas zeigen, was ihr in eure Entscheidung mit einbeziehen solltet." Er meinte wohl eher, was unsere Entscheidung maßgeblich beeinflussen würde. Da war ich aber mal gespannt, was er sich hatte einfallen lassen, um es uns unmöglich zu machen, nicht zurück in den Pott zu ziehen....
Eine Viertelstunde später hielten wir mit dem Auto vor einem Haus, das ziemlich neu aussah. Die Grünanlagen drumherum wirkten, als wären sie gerade erst angelegt worden. Was sollten wir hier? Okay, ein gewisse Ahnung hatte ich. Wahrscheinlich schloss Papas Plan auch gleich noch einen Köder in Form einer Wohnung ein, die wir ganz zufällig von einem seiner Schulkollegen zum Schleuderpreis mieten konnten. Also eins musste man ihm lassen, wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann plante er alles bis ins kleinste Detail. Wir liefen gemeinsam zur Eingangstür. Will und ich hatte unsere Hände verschränkt. Während Papa die Tür mit irgendeinem Zahlencode öffnete, glitt mein Blick über das Klingelbrett. Ja, mein Eindruck, dass es sich um einen Erstbezug handelte, war wohl richtig, denn dort prangten nur zwei Namen.......und einer davon war Reus/Wolter. Ich atmete einmal tief durch. Nee, Papa, so ging das nicht! Er konnte doch nicht einfach über unseren Kopf hinweg entscheiden! Will hatte meine Reaktion wohl bemerkt und strich mit seinem Daumen sanft über meinen Handrücken. Kurze Zeit später standen wir in einer Dreizimmer Luxuswohnung, die scheinbar gerade erst fertig geworden war. Hier roch alles noch nach Farbe. „Seht doch das Bad, ist das nicht schön?" Tanja schien total begeistert von der großen Eckbadewanne. Okay, bei deren Anblick tauchte vor meinem inneren Auge ein Will auf, der mit mir zusammen darin.... „Das ist ein Whirlpool. Der macht auch Blubberblasen", grinste Papa Tanja stolz an. Okay, die Bilder in meinem Kopf wurden noch konkreter. „Ja, ganz nett", versuchte ich möglichst gelangweilt Papas Enthusiasmus zu bremsen, sonst sah er das sofort als Zustimmung. Er kratzte sich nachdenklich am Hinterkopf. „Kommt doch mit, ihr müsst mal die Küche sehen, wo ihr doch beide so gerne kocht. Da könnt ihr dann jeden Freitag euren Curryreis oder die Königsberger Klopse zelebrieren. Ich finde das übrigens ein tolles Ritual." Okay, das war dann wohl seine zweite Trumpfkarte. Ich fragte mich zwar, woher er das wusste, aber ein Blick zu Will gab mir die Antwort. Na ja, die beiden waren ja in den letzten Tagen wirklich viel zusammen unterwegs. Ja, auch die Küche ließ wirklich keine Wünsche offen und war auf dem neusten Stand. Diesmal gab ich gar keine Antwort sondern nur ein Brummen von mir. Es war schön mit anzusehen, wie Papa auf einmal immer unruhiger wurde. Ja, sollte er doch in seinem eigenen Saft schmoren. So ging das einfach nicht. Ich schaute zu Mama, die mich nur anschmunzelte. Dann stand sie wohl nicht voll hinter seinem Plan und hatte ihn das auch wissen lassen. Bestimmt war sie nicht davon begeistert wie er versuchte uns einfach zu überrennen. „Mein kleines Bienchen, komm." Papa griff meine freie Hand und zog mich mit sich in den nächsten Raum.

Schuss und Treffer im Auswärtsspiel - Teil 9  ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt