Kapitel 50

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Ich saß auf meinem Bett und und startete mit einem Tastendruck wieder den Zugriff auf die Speicherkarte. Laut ertönte das Gitarrenintro. Keine Ahnung, wie oft ich das jetzt schon seit Heiligabend gehört hatte. Ja, das Päckchen, das noch so spät abgegeben worden war, kam von Chris. Es war gefüllt mit Lebkuchen und diesem Weihnachtstee, den wir immer bei ihm getrunken hatten. Ein niedlicher Schokoweihnachtsmann war auch darin gewesen.....und die Speicherkarte mit einer Aufnahme von uns und dem Lied, dessen Text wir in den letzten Tagen vor meiner Abreise noch zusammen geschrieben hatten. Am Tag vor meiner Abreise hatten wir es zusammen eingespielt und gesungen..... in seiner Küche in Prenzlauer Berg. Es war echt erstaunlich, dass die Aufnahme trotzdem eine ziemlich gute Qualität hatte. Was wäre wohl möglich, wenn wir das in einem richtigen Studio aufnehmen würden? Chris seine Stimme war echt unglaublich und meine....  meine Stimme hörte sich für mich irgendwie total fremd an. Also nicht, dass sie mir nicht gefiel. Ganz im Gegenteil, ich fand sie irgendwie auch toll, aber ich konnte nicht glauben, dass ich mich wirklich so anhörte. „Na Maus, was siehst du denn so nachdenklich aus?" Mama hatte an meine Tür geklopft und steckte den Kopf ins Zimmer. „Und was ist das für ein tolles Lied?" Sie setzte sich neben mich auf das Bett. „Kann ich es einmal komplett hören?Das bist doch du." Ich nickte und startete es noch einmal. „Wahnsinn. Ich wusste gar nicht, dass du so eine tolle Stimme hast." Mama umarmte mich begeistert. „Das hört sich aber nur so toll an, weil Chris so ein super Sänger ist. Seine Stimme macht das Lied so besonders." Ja, meine Stimme war dagegen nur ein nettes Beiwerk. Aber mich alleine würde niemand hören wollen. Chris aber schon. Nicht umsonst war er als Voract bei Earthwing aufgetreten. Okay, es war nur das eine Mal, weil der eigentliche Voract ausgefallen war und man auf irgendwelchen verquerten Wegen auf ihn gekommen war. Manchmal musste man eben auch Glück haben. Und Chris hatte das mehr als verdient. „Er ist einfach unglaublich auf der Bühne", schwärmte ich weiter. „Du müsstest ihn mal erleben. Er ist total cool und schafft es die Leute mitzureißen." Mama schaute mich nachdenklich an. „Also ich glaube, ich muss unbedingt mal nach Berlin kommen und ihn mir anschauen, wenn er dich so beeindruckt. Aber gerade wollte ich dich eigentlich fragen, ob du nicht Lust hättest mich nach Bochum in den Ruhrpark zu begleiten. Ich habe da nämlich in diesem Partyladen ein paar Sachen für morgen bestellt. Papa ist zusammen mit den Drillingen Feuerwerk kaufen und Mari ist bei Tessa und Leo. Wir hätten also mal wieder richtig Zeit für einen Shopping Ausflug nur mit uns beiden. Außerdem würde es dir auch mal ganz gut tun, wenn du die Bude mal wieder verlässt. Und ich würde mich riesig über deine Gesellschaft freuen." Wie konnte ich denn da nein sagen? Mama hatte ja auch recht. Seit ich hier angekommen war, war ich nur einmal kurz bei Tessa drüben und sonst nur hier und die meiste Zeit in meinem Zimmer. Wenn ich nicht gelernt hatte, dann hatte ich Gitarre gespielt oder an einem Lied versucht zu schreiben. Irgendwie fiel mir das aber schwer ohne Chris. Und ehrlich gesagt würde ich auch mal wieder gerne Zeit mit Mama alleine verbringen. Das hatten wir schon ewig nicht mehr gemacht. „Vielleicht finden wir ja auch noch etwas schickes Anzuziehen für dich für morgen. Die Party wird diesmal zwar zum Glück nicht ganz so groß, aber das bedeutet ja nicht, dass man deshalb keine hübschen Klamotten braucht."  Da hatte sie recht. Ich hatte mich noch gar nicht mit der Silvesterfeier auseinander gesetzt. Das war ja immer Papa sein Ding.

Zehn Minuten später saßen wir in Mamas Auto und waren Richtung Bochum unterwegs. „Hast du eigentlich das Lied von eben dabei? Ich würde es gerne noch einmal hören." Natürlich hatte ich es mittlerweile auch auf meinem Handy, das ich schnell mit Mamas Audiosystem koppelte. Gebannt hörte Mama zu, während sie uns durch den Verkehr manövrierte. „Das ist echt wunderschön. Eure Stimmen harmonieren wunderbar." Begeistert warf sie mir einen Blick zu. „Ja, Chris Stimme ist echt unglaublich. Dieser Klang und Ausdruck. Er ist einfach ein unglaublicher Musiker. Auch wie er mit der Gitarre umgeht. Sein Anschlag ist einfach..." „Unglaublich", unterbrach Mama mich schmunzelnd. „Du hast in der kurzen Zeit mindestens dreimal das Wort unglaublich im Zusammenhang mit diesem Chris verwendet. „Könnte es sein, dass du ihn auch unglaublich nett und anziehend findest?" Ich schaute Mama schockiert an. Ja klar, war er unglaublich nett und ..... ja, anziehend war er auch mit seinen dunklen Augen und kurzen Haaren und seiner Ausstrahlung. „Könnte sein", gab ich kleinlaut von mir. „Wie ist er denn so?" „Er hat kurze dunkle Haare, die immer super gestyled sind und dunkle Augen. Und er ist immer total aufmerksam. Wenn wir uns zum Musikmachen bei ihm treffen, hat er immer meinen Lieblingstee da." Mama schmunzelte wieder. „Na, wenn das kein Traummann ist." Ich spürte, wie ich rot anlief. „Ich glaube, dich hat es ganz schön erwischt." Hatte Mama damit recht? Aber ich wollte doch mit Luca..... „Er ist Luca ziemlich ähnlich", rutschte mir das Offensichtliche heraus. „Meinst du, dass er mich auch für eine Versagerin hält, wenn er das mit dem Studium herausbekommt?" Bis jetzt hatte ich das von der Informatik ja noch niemandem erzählt. Will würde sich darüber garantiert einen Ast lachen. Für ihn war ich doch sowieso nur eine nervende Begleiterscheinung, die nichts konnte. „Mäuschen, jetzt pass mal auf. Du bist keine Versagerin, nur weil du eine Prüfung nicht bestanden hast." „Dreimal nicht bestanden", korrigierte ich sie sofort, denn das sagte, dass ich wirklich ein Versager war. Wer fiel schon dreimal durch die gleiche Prüfung? Das taten nur Versager. „Dann halt dreimal. Aber ehrlich gesagt kann so etwas passieren. Es sagt nur, dass dir das Thema nicht gelegen hat und nichts weiter. Du bist noch jung. Da muss man auch erst herausfinden, was einem wirklich liegt und Spaß macht. Das hat aber nichts mit versagen zu tun." „Aber du hast dein Studium doch auch auf Anhieb hinbekommen. Und Phil und Max auch. Und Luca und Leo", widersprach ich ihr. „Ich hatte einfach Glück, genau wie Luca und Leo, dass wir auf Anhieb das gefunden haben, was uns liegt. Und wenn man es bei mir richtig bedenkt, stimmt das auch nicht, denn schlußendlich bin ich in einem weitaus kreativeren Bereich mit meinem Label gelandet und das hat wenig mit meinem Studium zu tun." Da hatte sie recht. „Na ja und Phil und Max kann man sowieso nicht als Maßstab nehmen, was so etwas angeht. Neben den beiden würde sich wahrscheinlich sogar Einstein wie ein Versager vorkommen." Das stimmte. Die beiden hatten ja nicht umsonst zwei Klassen oder so übersprungen. „Du findest auch das richtige für dich. Manchmal muss man halt Umwege gehen. Auf alle Fälle solltest du dich nicht nur hinter deinen Büchern verschanzen. Das Leben besteht aus sehr viel mehr als nur lernen und das solltest du nicht verpassen." Mama hatte gut reden. „Aber ich habe jetzt schon ein Jahr in den Sand gesetzt." Ich erntete ein entschiedenes Kopfschütteln. „Du hast es nicht in den Sand gesetzt. Du hast Erfahrungen gesammelt und auch wenn du es jetzt vielleicht nicht so siehst, sie bringen dich weiter. Hättest du sonst wieder mit der Gitarre angefangen?" Diesmal schüttelte ich den Kopf. Nee, das hätte ich bestimmt nicht. Dafür hätte ich ja gar keine Zeit gehabt. „Siehst du dann ist es doch gut so, wie es gekommen ist. Du spielst so toll und hast eine so schöne Stimme, die einem echt unter die Haut geht." Sie hob abwehrend die Hand noch ehe ich überhaupt ein Wort herausbekommen hatte. „Das sage ich nicht, weil ich deine Mutter bin, sondern aus Überzeugung. Du hast ein echtes Talent und das musst du auch nutzen. Du kannst anderen damit eine echte Freude bereiten. Und das kann nicht jeder." War das wirklich so? Ich war mir nicht so sicher. So toll fand ich meine Stimme gar nicht.

Schuss und Treffer im Auswärtsspiel - Teil 9  ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt