Ich atmete zweimal tief durch, so wie Marcel es mir beigebracht hatte. Meine Füße setzten sich in Bewegung und brachten mich zu dem einsamen Hocker, der dort auf der Bühne stand. Verhaltener Applaus war zu hören. Das hörte sich nicht so erwartungsvoll wie in Marcels Club an. Es war ja auch nicht Marcels Club rief ich mir in Erinnerung und platzierte mich auf dem Hocker, ehe ich zu meiner Gitarre griff. Mein Magen drehte sich wie ein Karussell und mir war hundeübel als ich in die ganzen gelangweilten Gesichter vor der Bühne schaute. Verflucht waren das viele. Das waren mindestens doppelt so viele wie bei Marcel. Dabei hatten wir doch heute erst Freitag. Wo kamen die alle her? Hatten die nichts anderes zu tun? Scheinbar nicht. So wie sie schauten, waren sie aber nicht meinetwegen hier. Verflucht, warum hatte ich nur auf Franky gehört und trat hier auf? Das wurde garantiert ein Desaster. Ich spürte dieses unangenehme Kribbeln im ganzen Körper, dass immer entstand, wenn mein Herz vor Aufregung so raste, dass ich glaubte, ich würde gleich ohnmächtig. Diesmal half auch mein Melissentee nichts, den ich eben noch aus Wills Thermoskanne getrunken hatte. „Das liegt nur an der neuen Location und daran, dass hier mehr Leute als erwartet sind. Das packst du schon. Bei Marcel war es doch am Anfang auch nicht anders und da hast du es auch geschafft", führte ich ein kurzen innere Monolog mit mir, den im Normalfall Tessa vor ein paar Minuten mit mir geführt hätte. Leider konnte sie aber heute nicht, weil sie ein Spätspiel hatte. Ich schaute auf das Plektron in meiner Hand und strich sanft mit meinem Zeigefinger über das kleine Bild von Tessa und mir, ehe ich meinen Blick zu Will schweifen ließ. Überrascht riss ich meine Augen auf. Neben ihm stand Phil und reckte seinen Daumen nach oben. In seiner anderen Hand hielt er ein beleuchtetes Display. Wieso hatte Tessa auf einmal doch Zeit? Meine Sorge um sie wurde sofort wieder von einem anderen Gefühl abgelöst. Nämlich einer leichten inneren Ruhe. Wenn Will, Phil und sogar Tessa bei mir waren, konnte gar nichts schief gehen. „Geht das auch irgendwann mal los?", hörte ich einen Zwischenruf und spürte die Ungeduld, die sich auch auf das andere Publikum übertrug. Das konnte ich ja überhaupt nicht gebrauchen. Schnell fanden meine Finger ihren Platz auf den Saiten und begannen zu spielen. So wie die ersten Töne erklangen, breitete sich eine gewisse Ruhe in mir aus und ich schloss einfach die Augen, um mich von der Musik tragen zu lassen. Wie von alleine bahnte sich auch meine Stimme ihren Weg und der Gesang floss einfach so aus mir heraus. Ich war total fokussiert auf meine Gitarre und dieses unglaubliche Gefühl, wenn meine Musik sich ihren Weg bahnte. Am Ende des Lieds öffnete ich wieder meine Augen und schaute zu der Menschenmenge mir gegenüber. Fast im gleichen Moment brach ein Jubel aus und die Leute klatschten wie wild. Motiviert davon, begann ich sofort das nächste Lied zu spielen. Diesmal ließ ich aber meine Augen offen und schaute auf meine Gitarre. Die Übelkeit von vorher war schon seit dem ersten Gitarrenklang verflogen. Und auch dieses unerträgliche Kribbeln wurde durch eine gewisse Neugier ersetzt. Ich wollte wissen, wie meine Musik auf die Leute wirkte. Mein Blick ging in das Publikum, das ausgelassen mitklatschte und sich im Rhythmus bewegte. Wow, ich hatte es wirklich geschafft sie mitzureißen und ihnen eine Freude zu machen. Ein paar Leute sangen sogar mit. Bei genauerem Hinsehen erkannte ich sogar ein paar Gesichter aus Marcels Club, die scheinbar extra wegen mir hierher gekommen waren. Das war ja Wahnsinn. Dann waren das sozusagen meine ersten Fans. In meinem Körper breitete sich ein ganz neues Gefühl aus. Ich konnte es nicht wirklich benennen. Stolz und unbändige Freude traf es aber am ehesten. Ohne weiter zu überlegen, ging ich gleich in mein drittes Lied über. Ja, dieses Gefühl war wie eine Welle, auf der man dahinglitt. Einfach unglaublich....
„Du warst der absolute Hammer." Phil zog mich begeistert in seine Arme als ich nach dem Auftritt zu ihm und Will kam. In seiner Hand hielt er immer noch das Handy, das leuchtete. Ich schnappte es mir, um noch kurz mit Tessa zu sprechen. Erstaunt schaute ich aber in das Gesicht von Leo. Also nicht dem Leo, sondern der Leo oder auch LR, die mich breit angrinste. „Du?!" rutschte es mir überrascht heraus. Sie nickte. „Ja klar. Dafür sind doch Freundinnen da", zwinkerte sie mir zu. Ja, seit unserem Gespräch in Berlin an Ostern hatte sich viel geändert. Wir telefonierten mindestens zweimal die Woche. „Ich wusste doch, dass Tessa heute ausfällt und da dachte ich mir, dass ich vielleicht auch helfen kann." Zum Schluss wirkte sie etwas unsicher. „Und wie du geholfen hast. Am liebsten würde ich dich gerade umarmen." Ihr übliches Lächeln kehrte zurück. „Na wenigstens einer aus der Familie Reus." Oh oh, gab es da etwa schon wieder Streß? „Spaß beiseite. Max ist gerade mit Dr. Harderbrodt bei irgendsoeiner Veranstaltung in London. Und ich freue mich schon darauf, wenn er morgen wiederkommt", zwinkerte sie mir zu. „Sonst hätte er sich nämlich garantiert auch dein Auftritt angeschaut. Der war echt klasse. Mache nie wieder etwas anderes. Hörst du." Ich musste grinsen. Es war schön das ausgerechnet aus ihrem Mund zu hören. „So, jetzt muss ich aber schlafen, damit ich morgen für meinen Mann fit bin." So wie ihre Augen bei dem Satz funkelten, breitete sich ein gutes Gefühl in mir aus. Ja, das war wieder die alte in Max total verliebte Leo. Da sah nichts mehr nach Babystress aus. Wir beendeten das Gespräch und ich reichte Phil wieder sein Handy. „Ich war echt erstaunt, als sie mich angerufen hat." Das konnte ich mir vorstellen. Er wusste ja nichts von unserem Gespräch. „Weißt du eigentlich wie scheiße das ist, dass ich jetzt immer in irgendeinen Club muss, wenn ich dich sehen will. Du fehlst mir seit du bei dem wohnst", murrte er und deutete mit seinem Kopf zu Will, der nur schmunzelte. „Wieso, musst du jetzt wieder alleine kochen und putzen?", zog er meinen Bruder auf. Der verzog sein Gesicht und nickte. „Außerdem ist es immer so ruhig. Und da werde ich jetzt gleich mal etwas gegen tun." In seinem Gesicht tauchte sein freches Grinsen auf. „Hier laufen ein paar echt geile Chicks herum. Da geht bestimmt was. Wir sehen uns morgen bei Marcel", verabschiedete er sich mit einer Umarmung bei mir und schlug mit Will ein, ehe er auch schon die nächste Blondine ansteuerte, die ihn sofort begeistert anlächelte. Keine Ahnung wo mein Bruder dieses Aufreißergen her hatte. Ich wandte mich Will zu, der mich in seine Arme zog. „Du hast den Laden echt gerockt." Ich hörte Stolz in seiner Stimme und eine unglaubliche Wärme stieg in mir auf. „Der Auftritt war erste Sahne." Franky tauchte neben uns auf und trug ein breites Grinsen in seinem Gesicht, genau wie ein älterer Kerl neben ihm. „Das ist Torte", stellte er ihn uns vor. „Ihm gehört hier der Club. Und noch ein paar andere in unserer wunderbaren Stadt." „Mensch Franky, du sollst mich nicht immer Torte nennen nur weil wir zusammen in der Grundschule waren. Ich bin Thorsten." Er reichte mir mit einem Lächeln die Hand. „Deine Performance war wirklich richtig gut, da hat der alte Gangster recht." Er deutete mit seiner Hand in Richtung Franky. „Ich würde dich gerne Freitags und Samstags buchen. Immer im Wechsel in einem meiner Clubs", bot er mir an. Ich sah Frankys flehenden Blick. „Freitags geht, aber Samstag bin ich schon ausgebucht." Nee, Marcel würde ich auf keinen Fall im Stich lassen. „Abgemacht." Dieser Thorsten reichte mir seine Hand zum Einschlagen. „Franky setzt den Vertrag auf." „Aber erst ab dem 15.Juni", warf Will ein. „Geht klar", stimmte Thorsten zu. Ein Glück, dass Will dabei war und daran gedacht hatte. Ich hätte echt Papas 50. Geburtstag und unsere kleine Dortmund Auszeit vergessen. Verflucht, das hätte richtig Ärger gegeben.
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Schuss und Treffer im Auswärtsspiel - Teil 9 ✔️
Novela JuvenilMaja hat ihre große Liebe in Luca schon sehr früh getroffen. Jedenfalls glaubte sie das. Mittlerweile ist sie sich da nicht mehr ganz so sicher. In letzter Zeit kommt es immer öfter zum Streit und nicht selten ist das Studium der Auslöser. Hat sie w...