Kapitel 3

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Ich parkte vor dem Wohnblock in dem mein Bruder Max und meine Freundin Leo wohnten ein. Obwohl Freundin stimme ja gar nicht. Mittlerweile war sie ja schon meine Schwägerin. Sofort spürte ich wieder diesen fiesen Stich in meinem Herz. Leo und Max waren nur ein paar Monate länger zusammen als Luca und ich. Aber sie feierten in ein paar Monaten schon ihren ersten Hochzeitstag. Und sie hatten nicht nur eine, sondern zwei Wohnungen. Okay, das hing auch damit zusammen, dass Max in Münster studierte und die beiden immer hin und her pendelten. Ich wäre mit einer eigenen Wohnung schon mehr als glücklich. Mein Blick wanderte die Fassade des dreistöckigen Hauses hoch. Es lag in einer ruhigen kleinen Sackgasse. Auf dem Bürgersteig malten zwei Kinder mit Kreide. Ja, so stellte ich mir das auch vor. Hier würde ich sofort einziehen. Ich stieg aus dem Auto aus und verriegelte es. Die Kinder grüßten mich, als ich an ihnen vorbei ging. Mein Blick ging wieder zu dem Haus, dem ich mich näherte. Momentmal! In der ersten Etage hingen in der einen Wohnung keinerlei Gardinen. Ob die wohl frei war? Ich schaute auf das Klingelbrett. Unter dem Namen Reus war kein Namensschild. Ich musste gleich Leo fragen, ob sie da etwas wusste. Ich stapfte die Treppen bis in die zweite Etage hoch und wurde grinsend von meinem Bruder empfangen. „Schön, dass ich dich noch sehe, bevor ich ins Krankenhaus muss." Er zog mich in eine feste Umarmung. „Und bei dir alles im grünen Bereich?" Ich nickte lautstark. Nicken zählte doch nicht als Lüge? Es war nur eine unkoordinierte Kopfbewegung. „Das ist ja super." Mein Bruder ließ mich wieder los und drehte sich zur Garderobe, um seinen Rucksack zu greifen. „Ich muss dann auch los. Grüße Luca von mir." Wieder nickte ich. Luca hatte ich die ganze letzte Woche nicht gesehen. Er steckte ja mitten in den Prüfungen. Wir telefonierten nicht einmal täglich. Okay, das war auch ganz gut so, dann hatte ich wenigstens keine Möglichkeit ihm von dem ziemlich möglichen Ende meines Studiums zu erzählen. Von den anderen Prüfungen hatte ich mich erst einmal abgemeldet, denn so lange ich nicht wusste, ob ich überhaupt weiter studieren konnte, machte es ja keinen Sinn dafür zu pauken, wenn es mir dann später sowieso nichts nutzte. „Hallo Maja" Auch Leo umarmte mich herzlich zur Begrüßung. „Komm mit in die Küche, ich muss noch den Geschirrspüler ausräumen. Ich habe uns aber schon eine schöne Limonade vorbereitet. Das Rezept habe ich von einer Kommilitonin. Max findet es auch total lecker."  Bei dem Wort Kommilitonin zuckte ich leicht zusammen. Das war in meinem Studiengang irgendwie komisch. Nee, falsch. Das war nicht komisch, sondern die Leute waren irgendwie komisch. Am Anfang hatte ich ja versucht mit welchen in Kontakt zu kommen. Ich hatte sogar ein paar Leute zu meinem Geburtstag eingeladen. Mittlerweile hatte ich aber zu keinem davon mehr Kontakt. Sie schwebten auf einer ganz anderen Welle als ich. Die kannten keine anderen Themen als Informatik und Mathematik. Letzteres taugte bei mir so ziemlich gar nicht als Gesprächsthema. Ich wartete immer auf den Moment, wo sie sich auch noch in einer Programmiersprache unterhielten. Scheinbar hatten sie kein Leben neben dem Studium. „Also manchmal nervt mich der Haushalt echt", stöhnte Leo und stellte die letzten Teller in den Schrank. Das konnte ich nicht verstehen. Was gab es da schon groß zu tun? Das Bisschen machte man doch nebenbei. „So, komm wir setzen uns auf den Balkon." Leo griff nach zwei Gläsern und einer Karaffe und ich folgte ihr. „Das sieht ja richtig gemütlich aus." Die Balkonkästen waren mit bunten Blumen bepflanzt und die Sitzgarnitur war mit passenden bunten Kissen bestückt. Da kam wohl die angehende Designerin durch, die die Farbwahl abstimmte. „Danke", grinste Leo breit. „Die Kissen sind ein Teil der einen Prüfung. Ich habe sie selbst genäht. Und die Garnitur hat Max von seinem Überstundengeld finanziert." Ich schnappte mir ein Kissen und schaute es mir noch genauer an. „Wahnsinn!" Ich konnte nicht einmal einen Faden einfädeln geschweige denn so etwas nähen. „Fand der Dozent auch und hat  mir eine 1,0 dafür gegeben." Toll! Da fühlte ich mich ja gleich noch unfähiger. Egal, ich war extra hierher gekommen, um mit Leo über mein Studienproblem zu reden. Vielleicht hatte sie ja eine Idee, für Plan B und C. „Hast du auch schon gehört, dass Lucy sich verlobt hat?" Leo winkte mit der Hand ab. „Natürlich hast du das schon gehört. Du sitzt ja schließlich direkt an der Quelle. Luca wusste doch bestimmt als erster Bescheid." „Ja, sie hat ihn angerufen." „Wir können uns ja schon einmal etwas für die Hochzeit einfallen lassen. Die beiden warten bestimmt nicht lange damit. Schließlich heiratet sie ja einen alten Knacker." „Na, ob Andi den Begriff cool findet", ich schmunzelte. So ganz konnte ich immer noch nicht begreifen, wieso Lucy sich von Mika getrennt hatte, der viel besser zu ihr passte. Und das nicht nur vom Alter. Nee, er war nett, umsichtig und total bemüht. Aber Lucy hatte ihn in den Wind geschossen und sich für Andi entschieden, der 13 Jahre älter war und noch dazu eine siebenjährige Tochter hatte. „Bestimmt wollen sie ganz schnell ein Kind." Warum sollten sie sonst so ein Tempo vorlegen. „Wenn sie zu lange warten, funktioniert das sonst bei dem alten Mann nicht mehr." Oh man, das hörte sich sogar in meinen eigenen Ohren ziemlich gehässig an. „Das hat mit wollen überhaupt nichts zu tun. Und Max ist noch gar nicht so alt", schniefte Leo plötzlich los. Was hatte denn Max damit zutun? Ich schaute sie ratlos an und sah zwei dicke Tränen über ihre Wangen kullern. Oh man, ja klar, die beiden wollten ja auch ein Kind. Ich hatte gedacht, sie hatten es wegen des Studiums doch noch etwas nach hinten verschoben. Die beiden waren ja auch gerade erst 19 und 20. Da war ja noch genug Zeit. Aber so wie das aussah, war es wohl eher die Natur, die es nach hinten verschob. Vorsichtig legte ich einen Arm um Leos Schulter, um sie zu trösten. Sofort schluchzte sie noch heftiger. „Ma....max und ich wer....werden ein....einfach nicht....nicht schwanger." Ich strich ihr beruhigend über den Rücken. „Wir....wir versuchen es schon.....schon seit über einem Jahr. Aber.....aber nichts pas....passiert." Die Tränen sprudelten geradezu aus ihren Augen. „Vielleicht habt ihr gerade einfach zu viel Streß." Leo schüttelte energisch ihren Kopf und wischte mit ihrer Hand über die Augen. „Daran liegt es nicht. Wir haben einen genauen Plan, wann der Eisprung ist und nutzen dann jede Möglichkeit. Trotzdem klappt es nicht." Die letzten Worte schluchzte sie wieder.  „Ich bin mir sicher, dass es bald klappt. Und dann werde ich die Patentante." Ich zauberte mir ein aufmunterndes Lächeln ins Gesicht, bekam aber nur ein minimales Nicken als Antwort. Vielleicht wäre ein Themenwechsel ja ganz gut. „Sag mal, ist die Wohnung unter euch gerade frei?" „Ja, seit letzter Woche. Wieso?" Ich zuckte mit den Schultern. „Vielleicht wäre die ja was für Luca und mich. Wie hoch ist denn da die Miete?" Mit dem großzügigen Taschengeld meiner Eltern konnten wir uns die vielleicht leisten, trotz des Studiums und ohne weiteren Zuschuss. „Keine Miete. Das sind hier alles Eigentumswohnungen. Deine und meine Eltern haben sie uns zur Hochzeit geschenkt." Stimmt, da war ja was. Wenn ich Papa fragte.....mit ein bisschen betteln.... „Manchmal glaube ich, dass die Wohnung verflucht ist und wir deshalb kein Kind bekommen, weil wir sowieso keinen Platz für ein Kinderzimmer haben", schniefte Leo erneut und wieder rollten auch Tränen und diesmal nicht nur ein paar, sondern ein Strom, der überhaupt nicht mehr abriss. Ich zog sie tröstend an mich. Das war ja echt ein Thema für sie. Vielleicht klappte es aber auch deshalb nicht. Da mein Bruder ja angehender Mediziner war, hatten sie bestimmt schon alle medizinischen Probleme ausgeschlossen. Nach einiger Zeit löste sich Leo von mir und ich reichte ihr ein Taschentuch. Lautstark schnäuzte sie sich und warf es dann zielsicher in den Feuerkorb, der ein Stück entfernt stand. „So, jetzt habe ich genug geflennt. Jetzt erzählst du mir aber, warum du gekommen bist. Du wolltest meine Hilfe?" Meine Schwägerin beäugte mich mit ihren braunen Augen intensiv. Wie sollte ich ihr nachdem ich ihre schwerwiegenden Probleme kannte, mit so etwas lapidaren wie meinen Studienproblemen kommen? Das ging auf keinen Fall. „Hast du eine Idee, wie ich Luca mal etwas vom Lernen ablenken kann?" Ein dickes Grinsen breitete sich in ihrem Gesicht aus. „Für Ablenkung bin ich Fachmann. Also bei Max da hilft es immer, wenn ich....." Es sprudelte nur so aus ihr heraus. Plan B und C ging ich dann ein anderes Mal an. Vielleicht fragte ich einfach Tessa, wenn sie nächste Woche wiederkam.

Schuss und Treffer im Auswärtsspiel - Teil 9  ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt