Kapitel 31

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Ich hatte keine Ahnung wie ich nach Berlin gekommen war. Also klar, mit meinem Auto und Phil hatte uns gefahren. Aber die ganze Autobahnfahrt war nur an mir vorbei geflogen, während ich in meinem Selbstmitleid ertrunken war. Irgendwie konnte ich noch immer nicht glauben, wie sich das alles entwickelt hatte. Ich hatte doch nicht aus böser Absicht geschwiegen, sondern weil ich erst einmal alles klären wollte. Ich wollte sie doch informieren, so bald ich alles geklärt hatte. Was war denn daran so verkehrt? Ich drückte den Teddybären ganz fest an meine Brust. Luca! Wieder machten sich Tränen auf die Reise. Ich hatte ihn doch so doll lieb. Das musste er doch wissen. Wie sollte ich denn ohne ihn leben? Wir gehörten doch zusammen. Mit einem PC konnte doch auch keiner etwas anfangen, wenn das Betriebssystem zum Booten fehlte. Und ohne PC war auch das Betriebssystem nutzlos..... es sei denn, es fand einen neuen PC. Alleine der Gedanke war ja schon abwegig, dass ich jemals einen anderen Mann auch nur anschauen würde. Und der Gedanke, das Luca..... nein, das würde ich nicht ertragen......er war ganz alleine mein Betriebssystem. Wir brauchten nur ein Update und dann....ich griff zu meinem Handy und öffnete das Nachrichtenprogramm. Wenn ich ihm das noch einmal alles erklärte, dann verstand er es bestimmt. Wieso war denn da nicht mehr das Bild von uns zu sehen, das mich sonst immer begrüßt hatte? Es war auf Tessas Hochzeit entstanden und wir grinsten beide in die Kamera. Luca hatte es doch geliebt. Genau wie ich. Ich hatte nämlich das selbe Profilbild. Nee, diesmal begrüßte mich nur das Avatarbild. Ich schaute, wann er das letzte Mal online war. Wieso wurde mir denn keine Uhrzeit angezeigt? In meinem Kopf fing es an zu rattern. Er hatte mich blockiert. Ich schluckte. Das hieß, er wollte gar nicht, dass ich ihm noch einmal alles vernünftig erklärte. Ich ließ meinen Kopf deprimiert zurück in das Kopfkissen sinken, das nicht nach Luca sondern nach meinem Bruder duftete. Nach Luca würde es wohl nie wieder duften. Wieder kullerten Tränen über meine Wangen. Statt in Lucas Armen lag ich hier im Bett im Gästezimmer meines Bruders. „Na, kleine Maja, hast du ausgeschlafen?" Phil hatte die Tür geöffnet und ließ sich neben mir auf dem Bett nieder. Als er die Tränen sah öffnete sich sofort sein Mund. „Was haben die beiden Idioten schon wieder angestellt?" „Luca hat mich blockiert", schluchzte ich. Phil schloss kurz seine Augen, als müsse er sich konzentrieren. Plötzlich zog er mich hoch und drückte mich ganz fest an sich. „Du ziehst dich jetzt ganz flott an, dann frühstücken wir und gehen hinterher zur FU und immatrikulieren dich. Der Idiot muss erst einmal merken, was er verloren hat, damit er selbst leidet und bei dir betteln kommt." Ich schaute ihn unsicher an. Luca würde nie im Leben betteln, aber ich..... ich könnte das schon. Wenn ich ihn auf Knien anbettelte..... „Du denkst jetzt nicht einmal im Traum daran." Hatte Phil meinen Gedanken lesen können? „Jetzt zählst das erste Mal nur du und nicht Papa oder Luca. Jetzt geht es einfach nur darum, dass du dein Leben in Ordnung bringst und das machst, was du möchtest und nicht was von dir erwartet wird. Ist das klar?" Das.....das hörte sich gut an, aber.... „Ich habe doch aber weder Geld noch eine Wohnung. Wie soll das funktionieren? Ich bin ein Nichts!" Manno, warum musste ich ständig so jämmerlich schluchzen? „Du kannst hier wohnen, so lange du willst. Ich wollte schon immer lieber eine WG und nicht alleine sein. Außerdem bist du nicht so eine Schlampe wie Tessa, was das ganze schon einmal viel angenehmer macht." Ich musste trotz der Tränen schmunzeln. Ja, ich war viel ordentlicher als meine Zwillingsschwester. Früher war ich immer die, die unser Spielzimmer aufgeräumt hatte, als wir noch in einem Zimmer geschlafen hatten. „Ich kann auch kochen", platzte es aus mir heraus. „Auch das ist ein unschlagbarer Vorteil", zwinkerte mir Phil zu. „Und das mit dem Geld ist kein Problem. Ich habe genug zurück gelegt und verdiene auch ganz gut in der Klinik. Also die Studiengebühren und Taschengeld kann ich für dich übernehmen. Und dann suchen wir dir einen Job. Bestimmt können die hier bei Hertha auch einen Stadionguide gebrauchen." Das hörte sich alles so einfach an. „Ich....ich habe auch etwas gespart", schoss es mir heraus. Ja, ich hatte einen Großteil meines Verdienstes auch auf dem Konto gelassen, genau wie das Geld, das Papa mir überwiesen hatte, weil ich ja für die Wohnung gespart hatte. Sofort machten sich wieder Tränen auf den Weg. Es würde keine gemeinsame Wohnung mit Luca geben. Es würde überhaupt nichts gemeinsames mehr geben. „Ach, kleine Maja. Der Typ ist deine Tränen überhaupt nicht wert." Phil strich sanft mit seinem Daumen über meine Wangen und produzierte damit gleich noch mehr Tränen. „Ich habe ihn doch aber so lieb", schluchzte ich. „Er dich auch, und das wird er merken, wenn du deinen eigenen Weg gehst." Ich zweifelte, dass mein Bruder da recht hatte. „So bindungsunfähig, wie du bist, weißt du doch gar nicht wovon du redest", schniefte ich. Phil entfuhr ein Lachen. „Ich bin nicht bindungsunfähig. Ich gehe nur keine Bindung ein, um mich vor genau so einem Leid zu schützen. Das nennt man Selbsterhaltungstrieb." Wenn ich an dieses schmerzhafte Gefühl dachte, das in mir tobte, war das vielleicht gar nicht der schlechteste Ansatz. „Du solltest das auch erst einmal probieren. Sorgt auf alle Fälle für weniger Kummer." Alleine bei dem Wort musste ich schon wieder fest schlucken. „Los, jetzt mach dich flott fertig. Wir haben in einer Stunde einen Termin bei der Studienberatung." Phil hob mich aus dem Bett und stellte mich auf meine Füße. „Ich habe dir im Bad schon alles zurecht gelegt." Eine Stunde? Da .... da musste ich mich ja beeilen. „Wie hast du so schnell einen Termin bekommen?" Das war doch fast unmöglich. Die FU war doch von Studenten völlig überlaufen, weil es eine Exellenzuni war. Selbst in Dortmund hätte ich so schnell keinen Termin bekommen. „Das hat etwas mit meiner Bindungsunfähigkeit zu tun", zwinkerte er mir zu. „Dort sitzt ein Mädel, das sich noch Hoffnungen macht und deshalb sehr engagiert bei der Terminfindung war, als ich ihr dein Problem geschildert habe. Du glaubst ja nicht, was der besorgte große Bruder für Pluspunkte gibt." So frech wie er mich angrinste, musste ich auch grinsen. Das erste Mal am heutigen Tag. Ja, mein großer Bruder hatte sich auch sämtliche Pluspunkte verdient, weil er einfach für mich da war. Als einziger. Sofort verschwand das Grinsen wieder aus meinem Gesicht und ich schloss kurz meine Augen, damit ich nicht wieder los heulte. Nein, ich sollte nicht länger Jammern, was ich alles verloren hatte, sondern dankbar dafür sein, das ich Phil hatte. Das war aber verdammt schwer, wenn ständig die enttäuschten Gesichter von Papa und Luca vor meinem inneren Auge auftauchten.

Schuss und Treffer im Auswärtsspiel - Teil 9  ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt