Kapitel 41

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„Danke, dass du so kurzfristig einspringen konntest." Marcel umarmte mich zur Begrüßung. Er hatte mich am Nachmittag angerufen, als ich zusammen mit meiner Familie im Stadion war, um Leo anzufeuern. „Ich weiß ja, dass heute dein ganzes Rudel hier ist." Er schaute mich besorgt an. „Irgendwann wird dein Alter sich auch wieder einkriegen. Er ist zwar ein Hitzkopf, aber irgendwann schaltet auch bei ihm ein geordneter Denkprozess dazu. Er hat heute schon ein paarmal versucht mich zu erreichen, aber ich war immer so im Streß. Wenn ich ihn morgen zurückrufe, werde ich ihm auch eine Ansage machen." Es fühlte sich gut an, dass Marcel sich für mich einsetzen wollte, auch wenn... „Das ist nicht mehr nötig. Wir haben uns ausgesprochen. Er ist auch nach Berlin gekommen." Marcel begann zu grinsen. „Ach deshalb strahlst du so. Und ich dachte schon, weil du dich so auf die Arbeit freust." Er kratzte sich am Kinn. „Weiß er. Dass du hier arbeitest?" Ich nickte. „Ach deshalb hat er mich die ganze Zeit versucht zu erreichen. Er wollte mir bestimmt einen Leitfaden geben, dass ich dich nicht zu schwer arbeiten lasse, alle Kerle von dir fern halte und auf dich aufpasse." Er lachte kurz auf und zwinkerte mir zu. „Also alles so wie immer." Ja, mit seiner Vermutung lag er wahrscheinlich richtig. Papa war immer tierisch um uns besorgt. Ein Glück sah Marcel das etwas lockerer, sonst dürfte ich ja nicht einmal eine Kiste anheben. „Umso mehr freue ich mich aber, dass du heute trotzdem einspringen konntest. Das gibt einen extra Bonus." Den konnte ich auf alle Fälle gut gebrauchen, denn ich brauchte noch einige Fachbücher und selbst wenn ich sie gebraucht kaufte, waren sie ziemlich teuer. Und meiner Familie fehlte ich nicht wirklich, denn gestern und heute waren wir so viel unterwegs, dass alle sowieso müde ins Bett gefallen waren, bevor ich abhauen musste.  Na ja, außer Papa und Mama. Aber die genossen bestimmt auch mal einen Abend zu zweit, denn Tessa war ja da, um auf die Kinder aufzupassen. Bestimmt machten sie einen ausgedehnten Kudamm-Bummel und gingen dann essen. Das hatten sie gestern Abend auch gemacht, als Tessa und ich uns um die Kiddies gekümmert hatten. Der Abend mit meiner anderen Hälfte hatte mir richtig gutgetan. Endlich hatten wir mal wieder ausgiebig Zeit zu quatschen. Und wir hatten sie genutzt. Tessa hatte mir erzählt wie gut es mit ihr und Leo lief. Obwohl erzählen konnte man es nicht nennen, eher schwärmen. Ich freute mich so, dass die beiden so glücklich miteinander waren. Sie passten aber auch perfekt zusammen. Irgendwie waren sie mein Vorbild. Luca und ich waren auch sehr dicht daran gewesen. Aber eben nur sehr dicht. Sie hatte mir erzählt, dass Lucy sehr schweigsam war, was ihren Bruder anging. Ja klar, die beiden hatten ja auch eine enge Verbindung. Das einzige, was Tessa mir über Luca erzählen konnte, war, dass er sich voll in sein Studium hängte. Aber so wie es aussah, hatte er mich vollkommen abgehakt. Damit musste ich mich wohl oder übel abfinden. Mir fiel der Kuss von Mika wieder ein. Vielleicht sollte ich wirklich einen Neuanfang starten.....so komplett. Also nicht nur mit neuer Uni und neuer Stadt, sondern auch mit neuem Freund. Zwar sträubte sich da noch irgendwie etwas in mir, aber andererseits war es auch immer sehr schön mit Mika, wenn wir uns trafen. Er ging immer total auf mich ein, als wäre ich die einzige Frau auf der Erde, die ihn interessierte. Das war genau das, was ich mir immer von Luca gewünscht hatte, die volle Aufmerksamkeit. Ja, vielleicht sollte ich Mika wirklich eine Chance geben. Er war garantiert treu, zuverlässig und bemüht. „Boah, pass doch mal auf, wo du hinrennst", riss mich eine wütende Stimme aus meinen Gedanken, nach dem ich mit jemandem zusammengestossen war. Ich rieb mir verdattert meine Schulter, die mir durch den Aufprall weh tat. „Wie wäre es, wenn du einfach deine Augen aufmachen und ausweichen würdest", fuhr ich den Idioten nicht weniger wütend an. Natürlich war es mal wieder dieser Vollhorst von Tontechniker. Der war echt freundlich wie ein Kampfhund auf Futterentzug. „Mensch Will, sie hat dich doch nicht mit Absicht angerempelt." Ja, Christoph, der Sänger war definitiv freundlicher und umgänglicher. Deshalb lächelte ich ihn auch an und lief weiter, um meinen Posten hinter der Theke einzunehmen. „Hallo, heute sind wir beide hier alleine." Nessa umarmte mich zu Begrüßung. Ja, wir beide hatten uns auch schon angefreundet. Mittlerweile verstand ich sehr gut, warum Tessa und Phil sich so gut mit ihr verstanden. Mit ihr hatte man immer Spaß. Sie hatte mir auch alles mögliche an der Uni gezeigt und mich dort herumgeführt. Ehe wir aber uns noch weiter unterhalten konnten, standen auch schon die ersten Leute vor uns und erwarteten, dass wir ihren Durst stillten. Mittlerweile konnte ich sogar schon die paar Cocktails mixen, die wir im Programm hatten. „Ich hätte gerne was von den gemischten Fruchtsäften." Die Stimme kannte ich doch. Ich riss meine Augen auf und schaute in das grinsende Gesicht von Papa. „Und ich nehme ein echtes Berliner Bier." „Papa! Mama! Was macht ihr denn hier?" Die beiden hier im Club, damit hätte ich nie gerechnet. „Dein Vater wollte unbedingt sehen, wo du arbeitest und ein Bisschen mit Marcel quatschen." Mama zwinkerte mir zu. Das hieß dann wohl eher, er wollte sich vergewissern, dass hier alles nach seinen Vorstellungen war und Marcel einbläuen auf mich aufzupassen und mich nicht zu sehr einzuspannen. Das war voll peinlich, aber auch irgendwie süß von ihm. Ich war so glücklich, dass wir uns wieder versöhnt hatten. „Mach mal einen Moment Pause. Wenn Chris jetzt live geht, ist sowie nichts zutun." Nessa schob mich hinter der Theke vor.  Ich lief zu Papa und Mama. „Wollen wir die Musik schauen? Chris ist echt gut." Die beiden nickten und ich lief mit ihnen zur Bühne. „Heh, welch Glanz in meiner Hütte." Marcel hatte sich zu uns gepirscht und umarmte erst Mama und dann Papa, der ihn sofort in ein Gespräch verwickelte. „Sag mal, ist das da drüben mit den ganzen Mädels nicht Mika?" Mama deutete mit ihrem Kopf zur rechten Bühnenseite. Ich folgte ihr mit meinem Blick. Ja, das war definitiv Mika. Genau der Mika, der mir vor zwei Stunden noch geschrieben hatte, dass er zu Hause an einer Gliederung für ein Seminar saß. Das war auch genau der Mika, der mich vor zwei Tagen in Phils Küche geküsst hatte und der gerade in diesem Augenblick ein anderes Mädel küsste. Mir wurde ganz übel. Und ich hatte überlegt mich wirklich auf ihn einzulassen. Von wegen jetzt wo wir zusammen sind. Der Satz gehörte wohl zu seinem Repertoire und hatte keinerlei Bedeutung.  „Maus, komm mal her." Mama zog mich in ihre Arme. „Kein Kerl ist es wert, dass du so traurig und enttäuscht schaust." Sie strich sanft über meinen Rücken. „Du brauchst erst noch etwas Zeit, um über Luca hinwegzukommen und dann findest du auch irgendwann den richtigen. Aber Mika ist es definitiv nicht. Der muss sich selbst erst noch ausprobieren." Ja, da hatte sie definitiv recht. Mika war es garantiert nicht. Der konnte mich mal schön aus seinem Flirtregister streichen und sich jemand anderen Dummes suchen, der auf ihn hereinfiel. Idiotischer Weiberheld. Jetzt verstand ich auch so langsam, warum Luca so sauer auf ihn war. Wahrscheinlich hatte er mit Lucy die gleiche Show abgezogen.

Schuss und Treffer im Auswärtsspiel - Teil 9  ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt