Kapitel 100

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„So, jetzt gibt es erst einmal noch etwas richtiges zu frühstücken nach dem Kuchen." Wir folgten Mama alle in das Esszimmer, wo der Tisch schon festlich gedeckt war und es nach Rührei, Pancakes und noch so einigen anderen leckeren Sachen duftete. Will rückte mir und Tanja unsere Stühle zurecht, ehe er sich zwischen uns setzte. In seinem Gesicht hatte sich ein dickes Grinsen manifestiert. Man, war mein Geburtstagskind überrascht gewesen, als bei uns im Wohnzimmer auch ein Tisch mit seinem Namen als Leuchtreklame gestanden hatte. Ich hatte echt keinen Plan, wie Mama das in so kurzer Zeit hinbekommen hatte. Ja, Wills Tisch hatte sich kaum von dem von Papa unterschieden. Der gleiche Kuchen, die Deko und gleiche Anzahl der Geschenke. Selbst meine Geschwister hatten alle auf die Schnelle noch ein passendes Geschenk aufgetrieben. Ich schaute zu meinem Muffeltier, dessen Augen immer noch verdächtig glitzerten. An seinem Hals baumelte der silberne Kettenanhänger mit der kleinen Biene. Als hätte er meinen Blick gerade gespürt, strich er mit seinem Finger darüber. „Man habe ich einen Kohldampf! Seid die Windelpupse echt Freßkonkurrenz geworden sind, muss ich ja um jeden Happen kämpfen", stöhnte Tessa und schnappte sich die Schüssel mit dem Rührei. „Du sollst meine Enkeltöchter nicht immer Windelpupse nennen. Sie haben auch einen richtigen Namen", schritt Papa sofort wieder ein. Tessa nickte unbeeindruckt. „Ich weiß, ich habe ihn ihnen ja gegeben. Trotzdem bleiben das meine Windelpupse." Sie stopfte sich einfach einen Happen Ei in den Mund und damit war das Thema dann auch für sie beendet. Ich griff mir mit der Gabel einen Pancake herunter. Nach kurzem Überlegen schnappte ich mir auch noch einen zweiten. Mamas waren viel leckerer als meine, die ich selbst machte. Keine Ahnung, was ihr Geheimtrick daran war. „Was ist denn das?" Papas spitzer Aufschrei ließ mich in der Bewegung stoppen. Hatte er ein Problem damit, dass ich mir einen zweiten nahm? So sauer wie er mich anfunkelte, scheinbar schon. Ich ließ verwirrt die Gabel sinken. Seit wann gab es hier Essensrationierung? Papa griff nach meinem Arm und schob meinen Ärmel hoch. Ups! Es ging gar nicht um den Pancake. Scheinbar war ich etwas unvorsichtig gewesen. Ich schaute zu Mama, die nur kurz ihr Gesicht verzog und dann kampfbereit ihre Schultern straffte. „Bist du denn jetzt von allen guten Geistern verlassen", schoss es auch schon aus Papas Mund. „Wieso? Mamas Pancakes sind voll lecker. Wo ist das Problem? Außer das für mich nicht mehr genug bleiben. So viel Aufregung ist für dich gar nicht gut und das Weißmehl in den Dingern auch nicht, alter Mann", mischte sich Phil sofort ein. „Klappe, Großmaul. Ich rede von dem da." Papa hatte sich meinen Arm geschnappt und meinen Pulli vorsichtig hochgeschoben. Mit seinem Zeigefinger deutete er auf das Bienentattoo. „Wo hast du dir den Mist stechen lassen? In irgendeiner Hinterhofstube? Weißt du nicht, wie gefährlich das ist?" „Wir waren bei Oscar", kam es von Tessa, bevor ich überhaupt meinen Mund aufmachen konnte. „Wir!" Papa schüttelte seinen Kopf und starrte uns nacheinander wütend an. Manno, das sollte doch so an seinem Geburtstag nicht sein. Warum hatte ich nicht besser aufgepasst. „Soll das heißen, du hast auch?" Die Wut wechselte in verzweifelte Ungläubigkeit als Tessa auch ihren Ärmel hochschob und den Blick auf ihre zwei Tattoos freigab. Papa schob sofort meinen Ärmel noch etwas höher und entdeckte auch noch das zweite Tattoo. Er ließ meinen Arm los und schnaubte einmal durch seine Nase. „Hört denn das nie auf, dass ihr beide die Scheiße immer gleich im Quadrat bauen müsst?" „Nö, wir sind ja Zwillinge", grinste Tessa nur und hielt mir ihre Hand zum Einschlagen hin. „Ich finde das echt zum Kotzen", meckerte auf einmal Leokardia los. „Na wenigstens eine mit Verstand." Papa atmete tief durch. „Erkläre ihnen mal wie gruselig das bei einer Frau mit Schrumpelhaut aussieht." „Na nicht gruseliger als bei einem alten Mann", hörte ich Wills Stimme neben mir laut und deutlich. Oh oh. Das war gar nicht gut. Phil fing an zu kichern. Noch viel weniger gut. Papa würde gleich platzen. Das war so sicher wie das Amen in der Kirche. „Hättet ihr mir nicht Bescheid sagen können, dann wäre ich doch auch mitgekommen. Immer schließt ihr mich mit eurem blöden Zwillingsding aus", empörte sich Leokardia unbeeindruckt. „Was hättest du denn da gewollt?", fragte Tessa lachend. „Auch ein Tattoo, was denn sonst!" Man konnte Leo empört schauen. „Bist du verrückt? Weißt du nicht, dass das eine Verletzung deiner Epidermis ist? Alleine das Risiko von Komplikationen reicht schon aus. Da rede ich noch nicht einmal von den Farbablagerungen in den Lymphknoten oder Hepatitisübertragungen." „Man, sie waren doch nicht in irgendeiner Schmierenbude, sondern bei Oscar. Das nächste Mal könnt ihr ja zu mir kommen. Ich habe schon so einige Tiere tätowiert", gackerte Phil schon wieder. „Seid ihr denn jetzt alle plemplem?" Papa schüttelte seinen Kopf. „Wieso, die Tattoos sind doch schön geworden." Diesmal war es Tessas Leo, der die Stimme erhob. „In der spielfreien Zeit lasse ich mir das gleiche stechen." Papa winkte ab. „Du bist ja auch ein Kerl. Das ist ganz was anderes." „Wie bitte, Schnutzelchen! Das ist doch wohl nicht dein Ernst, dass das einen Unterschied macht!" Mama schaute Papa entrüstet an, dann winkte sie ab. „Obwohl du hast recht. Du bist ja das beste Beispiel, dass sich bei euch Kerlen wohl der Farbstoff in den Gehirnzellen ablagert und nicht in den Lymphknoten." Oh mein Gott, was sollte Tanja nur von uns denken? Ich schaute zu ihr, aber sie schmunzelte nur. Erleichtert atmete ich auf. Papa dagegen brummte nur. „Was soll das überhaupt sein?" Papa griff wieder nach meinem Arm und schaute sich die Tattoos genauer an.  „Mm, das ist wirklich ordentlich gemacht. Ist das ein Geschwistertattoo?" Er deutete auf das Herz. Ich nickte und deutete dann auf die beiden Bienen. „Und das steht für Will und mich." Papa nickte. „Das habe ich ja schon mal irgendwo gesehen." Er zwinkerte Will zu. „Mit der Schrift sieht es aber definitiv besser aus." „Das sehe ich auch so, deshalb will ich mir die heute auch noch stechen lassen." Das fand ich richtig toll, dass Will auch meinen Namen auf seiner Haut tragen wollte. „Ich rufe gleich bei Oscar an. Vielleicht hat er ja für mich auch noch etwas Zeit übrig. Meine beiden Zuckermäuse wollen ja auch noch auf meinem Arm verewigt werden.", grinste Papa in Richtung von Chrissi und Allie. „Menschenskinder!" Mama sprang auf und griff in die Schublade der Kommode und holte einen Briefumschlag heraus. „Schnutzelchen wir hätten fast unser Geschenk für Will vergessen." Sie reichte den Umschlag meinem Freund, der ziemlich überrascht schaute. Ich war echt gespannt, was sie ihm schenkten. Will fetzte den Umschlag auf und zog ein Blatt heraus. Ich linste mit darauf. Das war..... „Ihr könnt mir doch keinen Gutschein für den Führerschein schenken. Das ist viel zu teuer." Will schüttelte fassungslos den Kopf. „Ach Quatsch", winkte Papa ab. „Es wird Zeit, dass du den machst, damit unser kleines Bienchen nicht immer alles fahren muss."  „Das passt schon", zwinkerte Mama ihm auch zu. „Aber...". „Nichts aber", unterbrach ihn Papa und spielte mit dem Model des Aston Martin herum, dass er bis jetzt erst ausgepackt hatte. Er wusste ja nicht, dass er das Original auch noch bekam. „Du willst doch auch mal so ein geiles Auto fahren." „Also..." „Na du hast ja bewiesen, dass das auch ohne Führerschein geht" Will war mit seiner Antwort schneller als Phil. Oh oh. Papa fing an zu lachen. „Das ich das noch erlebe, dass das Großmaul nicht zum Zug kommt und einer noch schlagfertiger ist." Er klopfte Will auf die Schulter, während mein Bruder schmollte. An der Tür klingelte es. Das musste dann wohl Leon sein, der den Aston ablieferte. „Ist bestimmt für dich, Geburtstagskind." Mama hatte uns ja allen eingeschärft nicht aufzustehen. „Mmm", Papa stand brummend auf und lief zur Tür. Wir folgten ihm alle schleichend. „Happy birthday, alter Sack!" Leon umarmte Papa zur Begrüßung und klopfte ihm auf die Schulter. Plötzlich war er wie gelähmt und starrte auf die Einfahrt. „Ich.....ich glaube....glaube ja wohl ich.... ich halluziniere!", stotterte er, ehe er Leon beiseite schob und hinausstürmte. Wieder folgten wir ihm. Mit seiner Hand strich er ganz sanft über das Autodach. „Der ist echt!" Sein Blick flog zu Mama, die neben Leon stand und ihn genau wie wir alle beobachtete. „Das beruhigt mich, Schnutzelchen." Sie griff in ihre Hosentasche und warf ihm den Autoschlüssel zu, den Papa geschickt auffing. „Der sieht genau aus wie mein alter Aston. Sogar die Farbe stimmt." Er lief einmal um das Auto. „Das liegt daran, dass er es auch ist", klärte Mama ihn auf. „Echt?" Papa schaute total überrascht, während wir alle nickten. „Ja, wir haben ihn im Internet gefunden", grinste Phil stolz. Papa drückte sich an das Auto und umarmte das Dach. „Mein Baby ist zurück." Ihm versagte fast die Stimme. Plötzlich stürzte er auf uns zu und umarmte uns nacheinander. Ich musste schwer schlucken, als ich seine tränenglitzernden Augen dabei sah. „So und jetzt Jungfernfahrt" Papa blieb vor Mama stehen und verbeugte sich vor ihr, ehe er sie küsste und mit sich zum Auto zog. Die beiden wirkten immer noch wie frischverliebt nach den ganzen Jahren. Sie waren mein großes Vorbild. So wollte ich mit Will in fünfundzwanzig, fünfzig oder hundert Jahren auch noch sein. Mein Blick ging zu ihm und traf auf einen liebevollen Blick von ihm. Scheinbar hatte er wohl die gleichen Gedanken. Er griff meine Hand. „So und jetzt gehen wir zum Tätowierer. Ich will dich endlich für immer bei mir haben." Das war genau der einzige Satz, den ich schon immer hören wollte. Wieder spürte ich diesen dicken Kloß vor Rührung in meinem Hals, als der Motor des Aston aufjaulte und Papa mit Mama davon schoss. „Na mal schauen, wie lange es dauert bis er wieder ohne Führerschein fahren muss", gackerte Phil.

Schuss und Treffer im Auswärtsspiel - Teil 9  ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt