Kapitel 37

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Ich schaute auf den Kalender vor mir. Wahnsinn! Ich wohnte jetzt schon seit drei Wochen hier in Berlin. Das hieß aber auch, dass ich seit drei Wochen Single war. Luca hatte sich nie wieder bei mir gemeldet und auch die Telefonblockierung nicht aufgehoben. Ja, das wusste ich, weil ich ab und zu noch nachschaute. Aber höchstens noch einmal täglich und nicht mehr alle paar Stunden. Das war doch schon ein gewaltiger Fortschritt. Und ja, es tat immer noch wie Hölle weh, wenn ich an ihn dachte. Genau wie an Papa, der sich auch noch nicht bei mir gemeldet hatte. Im Gegensatz zu Mama und Tessa, die fast täglich anriefen. Mit Max und seiner Leokardia sah das schon anders aus. LR war eingeschnappt, dass ich mich nicht bei ihr gemeldet hatte, um sie auch um Hilfe zu bitten, so wie Lucy und Tessa. Das hatte sie mir in einem Telefonat mehr als deutlich gemacht. Genau wie die Tatsache, dass ich dann ja jetzt wohl auch nicht von ihr erwartete, dass sie mir zur Seite stand, wenn ich ja sowieso kein Vertrauen zu ihr hatte. Da half es auch nichts, sie daran zu erinnern, dass ich bei ihr war, um mich auszusprechen, sie aber nur damit zutun hatte mir über ihr Problem schwanger zu werden zu erzählen. Nein, sie behauptete sogar, dass sie überhaupt keine Probleme habe. Genau! Nach einem weiteren Vortrag von ihr über Ehrlichkeit und dem Ratschlag mich bei Luca zu entschuldigen und auf seine Gnade zu hoffen, die sie selbst mir aber vorerst nicht zugestehen würde, war unser Gespräch beendet. Tolle Freundin und Schwägerin. Und Max..... ja Max war halt Max. Und mittlerweile fragte ich mich, warum er jemals mein Lieblingsbruder war. Er widersprach seiner Frau natürlich nicht wirklich, ließ nur durchblicken, dass er es gut fand, dass Phil ein Auge auf mich habe, ich mich aber trotzdem dringendst bei Papa entschuldigen sollte, denn mein Verhalten wäre total inakzeptabel gewesen. Als ob ich das nicht wusste. Aber Papas Verhalten war ja auch alles andere als okay. Und ehrlich gesagt hatte es mich sehr enttäuscht, dass er sich nicht einmal wirklich meine Gründe angehört hatte. Er war der Meinung an mir ein Exempel zu statuieren. Dann sollte er damit auch leben. Ja, Phil hatte es in den drei Wochen geschafft mir zu einem viel gesünderen Selbstbewusstsein zu verhelfen. Na ja, und vielleicht auch meine Arbeit im Club, denn da konnte man nicht wie eine Mimose sein. Marcel war super zu frieden mit mir. Das gab mir auch einen kleinen Schub an mich zu glauben. Ja, ich konnte wenigstens etwas und wenn es Getränke einschenken war. Ich freute mich schon immer auf meine Arbeitstage und natürlich auf das reichliche Trinkgeld. Mein Kontostand sah gar nicht einmal so schlecht aus und ich hatte noch nicht einmal Mamas Sicherheitsreserve antasten müssen, die sie mir einfach überwiesen hatte. Also alles in allem lief mein Leben ziemlich rund, auch wenn das Wichtigste fehlte. Mein Blick ging zu dem Teddy, der auf meinem Bett saß. Ach man Luca! Warum tat Liebeskummer eigentlich so weh? Ob es ihm wenigstens genauso ging und ich ihm fehlte? Meine Handy begann zu vibrieren. Ich schaute auf das Display. Wieder eine Nachricht von Mika. Seit unserem Treffen im Club schrieb er mir fast täglich und erkundigte sich, wie es mir ging. Das war irgendwie total nett. Aber nett war Mika ja schon immer. Ja, ehrlich gesagt hatte ich nie verstanden, warum das mit Lucy und ihm nicht geklappt hatte. Und irgendwie hatte er mir echt leid getan, dass sie sich lieber für einen älteren Mann als für ihn entschieden hatte. Obwohl irgendwie war es auch die richtige Entscheidung von ihr, denn Andi und sie liebten sich wirklich und waren ein Traumpaar. Seit Luca und ich getrennt waren, hatte ich natürlich auch nichts mehr von ihr gehört. Ja, so war das wohl. Die Freundschaften halbierten sich dann. Ich öffnete die Nachricht von Mika und überflog sie. Wow, Mika wollte mit mir ins Kino gehen. Gleich heute. Mm, ich hatte noch zwei Stunden Zeit bis er mich abholte. Das passte, ich ging im Kopf meinen Kleiderschrank durch. Das dauerte ja nicht so lange, da er mittlerweile ziemlich übersichtlich war und die Klamotten sowieso alle eher praktisch als hübsch. Erneut machte mein Handy Krach. Diesmal war es aber ein Anruf von Tessa. „Hey, andere Hälfte. Was hast du heute gemacht?" im Hintergrund hörte ich das fröhliche Quietschen meiner Nichten. Ach man, wie gerne würde ich diese beiden kleinen Knutschbacken mal wieder sehen und knuddeln. „Ich habe ein bisschen Gitarre geübt, die Wohnung geputzt und für Phil und mich gekocht. Und naja meine Nase in ein paar Fachbüchern über Pädagogik gesteckt." Diese Anrufe von Tessa nach der Arbeit waren eine schöne Routine geworden und meine Verbindung nach Dortmund. „Nase reinstecken hilft aber nicht, du musst auch lesen", gackerte sie sofort los und ich musste grinsen. „Wenn du Phil, den faulen Sack so verwöhnst, lässt der dich nie wieder ausziehen." Phil war überhaupt nicht faul, so viel wie er in der Klinik arbeitete oder in der Uni war, war es doch das Mindeste, dass ich den Haushalt führte, wenn ich schon hier umsonst wohnte. „Er ist überhaupt nicht faul", verteidigte ich ihn auch sofort. „Und wie viele Weiber hat er schon in letzter Zeit angeschleppt?" „Kein einziges." Das war eine Frage, die ich sofort beantworten konnte. „Dann pass auf, dass du nicht gerade in seiner Nähe bist, wenn es zur Samen- Eruption kommt." Wieder gackerte sie.  So ein Blödsinn. Phil war ein viel zu netter Kerl, um ein Aufreißer zu sein. Jeden Samstag war er im Club und wartete dort, um mich wieder mit nach Hause zu nehmen. Wer so verantwortungsbewusst war, der respektierte auch andere Frauen. „Und wie ist es so bei euch in Dortmund?" Tessa brummte kurz. „Paps nervt total, seit er nicht mehr auf Chrissi und Alli aufpassen darf." Da war meine Zwillingsschwester echt stur, dass sie das so durchzog. Irgendwie tat es mir für Papa echt leid, dass er wegen mir nicht seine Enkelinnen sehen durfte. „Aber die Kleinen vermissen ihn doch bestimmt auch total." „Ach Quatsch, die fühlen sich so wohl im Kindergarten. Das ist auch viel besser für sie, wenn sie mit anderen Kindern zusammen sind, als nur mit den beiden alten Männern, die sie von vorne bis hinten verwöhnen. Es gab noch nicht einmal Tränen, wenn ich sie da abgeliefert habe, höchstens wenn ich sie abhole." Okay, das war wirklich ein gutes Zeichen. Und Tessa hatte mir versichert, dass das Ganze mit dem Kindergarten nichts mit mir zutun hatte, sondern sowieso geplant war. „Paps fragt auch jeden Tag, wie es dir geht." Echt? Dann hatte er mich ja wohl doch nicht ganz abgeschrieben. „Und was antwortest du ihm?" „Na, das es dir unter der Brücke mit den anderen Wohnungslosen blendend geht, wenn du nicht gerade dein Geld mit Prostitution verdienst." „Was?!" Das konnte sie doch nicht machen und ihm solchen Müll erzählen. „Spaß beiseite. Ich antworte ihm immer, dass er dich anrufen, sich bei dir entschuldigen und dich selbst fragen soll. Genau, wie Mama es auch macht." Erleichtert atmete ich auf. Die Frage war nur, warum tat er es nicht. Weil er nur schwer über seinen Schatten springen konnte und das für ihn wie ein Schuldeingeständnis wäre.  „Wie läuft es denn mit euch beiden beim Training?" Papa war ja schließlich der Trainer der ersten Frauenmannschaft und Tessa war dorthin gewechselt nachdem sie ihre schwere Verletzung hinter sich gebracht hatte. „Wie soll es schon laufen? Paps kann zu frieden sein, dass endlich die beste Spielerin an Bord ist. Und so lange ich jede Menge Tore schieße, kann er auf mich sowieso nicht verzichten." Ich bewunderte das Selbstbewusstsein meiner Schwester. Irgendwann wollte ich das auch einmal haben.  „Und was machst du heute noch?" Auch das fragte Tessa regelmäßig jeden Tag. „Ich gehe nachher mit Mika ins Kino." Heute hatte ich auch mal etwas zu berichten. „Echt jetzt? Was willst du denn da mit dem Plattfisch? Der ist ja langweiliger als eine Blase am großen Zeh." Tessas Abneigung war mir ja bekannt. Schließlich war sie ja auch mal mit ihm ausgegangen bevor ihr Leo in ihr Leben getreten war. „Quatsch, Mika ist eigentlich total nett und unterhaltsam", widersprach ich ihr. Als Antwort bekam ich ein Brummen. „Vergiss aber nicht dein Portemonnaie. Von Lucy weiß ich, dass er total geizig ist. Voll der Schwabe. Der kauft höchstens ein kleines Popcorn, das ihr euch teilen müsst und frisst dann selbst das meiste davon." Ja, bei Essen hört für meine Schwester der Spaß auf. „Außerdem isst der Pizza Hawaii. Also ein Vollpsychopath. Sei bloss vorsichtig." Ja, jeder, der keine Pizza Salami ass, war für meine Schwester ein Psychopath. „Wir sind doch nur Freunde. Mehr will ich im Moment überhaupt nicht", beruhigte ich sie. Nee, ich konnte mir keinen anderen Mann in meinem Leben als Luca vorstellen. „Sag nicht, du wartest immer noch auf die Pappnase aus Bayern, dass sie sich meldet. Sei zufrieden, dass du die Spaßbremse los bist." Ja gut Luca war auch nie ihr Wunschkandidat für mich. „Wir müssen echt mal an deinem Männergeschmack arbeiten. Scheinbar wurde der gute bei der Geburt nur an mich verteilt." Sie kicherte. „Ach übrigens komme ich in zwei Wochen nach Berlin und bringe die Windelpupse mit. Leo hat da ein Auswärtsspiel und wir begleiten ihn. Du kommst doch mit ins Stadion?" „Klar!" Da brauchte ich nicht lange überlegen. Eine Riesenwelle der Freude überschwemmte mich. Ich würde Tessa und die beiden Kleinen sehen. „Ach ja, Mama, die Drillinge und Mariska begleiten uns auch. Ich muss jetzt aber Schluss machen, sonst fressen mich die kleinen Windelmonster gleich auf. Die haben nämlich Hunger.  Und du nimm dir was zu lesen mit, damit du dich mit dem Plattfisch nicht langweilst." Damit war das Gespräch beendet. Mein Gehirn arbeitete aber auf Hochtouren. Meine Familie würde in zwei Wochen nach Berlin zu Besuch kommen. Meine ganze Familie. Gerade wurde mir erst bewusst, wie sehr ich sie alle vermisste.  Nein, nicht meine ganze Familie. Papa würde fehlen. Sofort war meine Freude etwas eingebremst.

Schuss und Treffer im Auswärtsspiel - Teil 9  ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt