Kapitel 111

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Meine Augen wanderten über die Menge, die vor der Bühne stand und lauthals mitsang und tanzte. Es war unglaublich. Heute war der Club wieder ausverkauft. Ich konnte es gar nicht glauben, dass diese 1500 Leute wirklich kamen, um mich singen zu hören. Das war der Wahnsinn. Ich ließ den letzten Ton verklingen und tosender Applaus setzte ein, durchzogen von Zugabe-Rufen. Ich schaute zu Will, der beide Daumen nach oben reckte. Das sollte dann wohl heißen, dass alles gut gelaufen war. Phil stand auch wieder breit grinsend neben ihm und hielt heute nur ein Handy hoch. Mama hatte kurzerhand beschlossen, dass es heute ein Gruppengucken bei ihnen geben würde. Das war echt ein unglaublich gutes Gefühl, dass meine Familie so hinter mir stand. Ich spürte wie sich Teddy und Mike neben mich stellten und ihre Arme um meine Schultern legten. Gemeinsam verbeugten wir uns. Die Zugabe-Rufe wurden immer mehr und lauter. „Was sollen wir denn jetzt machen?", fragte ich die beiden total hilflos. So etwas hatte ich ja noch nie erlebt. „Na noch zwei Lieder spielen und dann Abgang." Teddy grinste mich breit an. „Aber Will, weiß doch gar nicht Bescheid. Und die anderen beiden." Ich drehte mich kurz zu Fiete und Tom um, die immer noch an ihren Instrumenten verharrten. „Also Will bekommt das locker hin." Mike hob seine Hand und zeigte zwei Finger in Wills Richtung. Der zeigte sofort den erhobenen Daumen. „Wir nehmen die zwei letzten vom Album. Die haben wir noch nicht gespielt." Teddy schien genauso entscheidungsfreudig wie Mike.  „Die haben wir doch aber noch gar nicht geprobt." Mir wurde ganz übel bei dem Gedanken, die jetzt einfach so auf die Bühne zu bringen. „Brauchen wir auch nicht. Bei den Aufnahmen haben wir sie oft genug gespielt." Da hatte Mike recht, aber......ehe ich noch widersprechen konnte, hatten die beiden ihre Plätze wieder auf der Bühne eingenommen. Mein Blick ging zu Tom, der mir aufmunternd zuzwinkerte. Okay, das war gut, denn er war mir vorhin die ganze Zeit irgendwie so ruhig vorgekommen. Wir hatten nur einmal kurz Kontakt, als er mir eine Thermoskanne mit dem Melissentee in die Hand gedrückt hatte, den er extra für mich besorgt hatte. Dann war er wenigstens nicht irgendwie sauer auf mich, weil ich ihn heute Mittag einfach so vor unserer Haustür hatte stehen lassen.
„Der Auftritt war wieder super." Franky umarmte mich eine Viertelstunde später hinter der Bühne. „Ihr glaubt nicht, was die Leute schon an Merch alles gekauft haben. Wir sind schon fast ausverkauft. Nächste Woche müssen wir echt mehr an den Start bringen." Was erzählte er da? Das konnte doch gar nicht sein. Wer sollte den Kram schon kaufen?.„Tut mir leid, die CDs sind ausverkauft." Was sagte Lindai da? Franky hatte sie extra für den Stand engagiert. Sie musste sich doch wohl irren. „Wir haben 1000 Stück produziert. Das kann doch gar nicht sein." Will stand kopfschüttelnd neben dem Merchstand und schaute genauso ungläubig wie ich auf den fast leer gefegten Tisch. Dort lagen nur noch ein paar Shirts. Das hieß ja, das über die Hälfte der Leute hier bereits eine CD gekauft hatten. Und so wie die Schlange aussah wollten wohl auch noch eine Menge anderer welche kaufen. „Sorry, wir haben keine CDs mehr. Da müsst ihr nächste Woche wiederkommen", vertröstete Linda ein paar Mädels, die gerade an der Reihe waren. „Oder ihr geht auf Spotify", ertönte Frankys Stimme neben uns. Der Blick der Mädels fiel zu uns. Die Enttäuschung auf ihren Gesichtern wich einem freudigen Lächeln. „Dann bekommen wir aber wenigstens ein Autogramm von dir." Wie jetzt Autogramm? „Ja, klar. Ihr bekommt alle ein Autogramm." Franky drückte mich auf einen Stuhl hinter dem Merchtisch. Wo kam der denn her? Egal, jetzt saß ich hier zwar, aber wo sollten wir denn jetzt Papier und einen Stift herbekommen? Diesmal war ja Steph nicht mit ihrem Kajal da. „Hier." Franky schob mir einen Stapel Autogrammkarten zu. „Die sind heute gerade frisch aus dem Druck gekommen", zwinkerte er und reichte mir einen Edding. „Kannst du bitte für Marie raufschreiben?" Ich schaute zu dem Mädel, dass als erstes nach einem Autogramm gefragt hatte und schrieb schnell für Marie auf die Karte vor mir, ehe ich noch ein Herzchen malte und mein geschwungenes Maja daneben setzte. „Ich heiße Pauline", hörte ich schon als ich gerade die Karte über den Tisch gereicht hatte. Mein Blick ging zu der Schlange, die an unserem Stand anstand. Hoffentlich wollten die nicht alle ein Autogramm haben. Eine Stunde später schwirrten so viele Namen durch meinen Kopf, dass ich wahrscheinlich ein ganzes Namensbuch, wie es Tessa vor der Geburt meiner Nichten hatte, mit füllen könnte. Glücklicherweise standen nur noch fünf Leute am Stand und schauten mich erwartungsvoll an. Meine rechte Hand tat mir so langsam echt weh. Nach Rose, Kira, Stavros und Merhab schaute ich erschöpft die letzte verbliebene Person an. Das war eine Frau im Alter meiner Mutter. Bestimmt eine Anna oder Paula, dachte ich. „Hallo Maja, ich bin Anna." Hah, da hatte ich doch recht. Ich musste mir ein Lachen verkneifen. Ich begann zu schreiben und drückte ihr die Autogrammkarte in die Hand. Erleichtert stöpselte ich die Kappe wieder auf den Stift. Dann hatte ich jetzt endlich Feierabend. Mein Blick ging zu Will, der sich in einiger Entfernung mit Phil unterhielt. Irgendwie wollte ich nur noch nach Hause in mein Bett. „Danke. Ich würde aber auch gerne noch etwas anderes mit dir besprechen." Ich schaute wieder zu dieser Anna, die mich freundlich anlächelte. Was bitte wollte sie? Sollte ich noch ein paar Autogrammkarten für ihre Kinder schreiben? Oder für ihren Handarbeitsclub? „Ich bin die Initiatorin und Planerin des Bergmannstraßenfestes am nächsten Wochenende." Bergmannstraße? Die war doch gleich bei uns um die Ecke. Da gab es ein Fest?  Ja, schön, aber was hatte das mit mir zutun? Ich konnte ja mit Will da vielleicht mal rüberlaufen. So Straßenfeste waren ja ganz nett. „Ich wollte dich fragen, ob du dort nicht als Hauptact an den drei Tagen auf der Hauptbühne auftreten würdest. Wir haben zwar kein großes Budget, aber unser Fest ist stadtweit in Musikkreisen bekannt. Und du würdest dort eine Menge Aufmerksamkeit bekommen. Dort sind auch einige Radiosender vertreten." Völlig überfordert schaute ich sie an. „Mir ist schon klar, dass du nicht sofort zusagen kannst. Überlege es dir einfach und gebe mir bis Montag Bescheid. Da gehen dann nämlich die Plakate in Druck. Du bekommst auch die Headline." Sie reichte mir eine Visitenkarte und verabschiedete sich. „Was ist das?" Will kam zu mir und zog mir die Karte, auf die ich immer noch starrte, aus der Hand. „Anna hat mich gefragt, ob ich als Hauptact bei einem Straßenfest bei uns um die Ecke nächste Woche auftreten würde." „Du meinst das Bergmannstraßenfest?" Phil schaute mich erstaunt an. „Du kennst das?" Das überraschte mich, weil er doch in Dahlem wohnte. „Ja klar, das ist voll angesagt. Da musst du unbedingt auftreten." Er schien Feuer und Flamme. „Also ich halte auch wieder die Handys für unseren Stern am Musikhimmel. Apropos, Stern am Musikhimmel. Ich muss gleich einmal ein bisschen unter die Chicks und meine Chancen als Bruder dieses Sterns nutzen." Ich musste grinsen, so wie er mit den Augenbrauen dabei wackelte. Er drehte sich um und mischte sich unter die Leute. Nach nicht einmal einer Minute sah ich ihn schon mit einem Mädel sprechen. So wie es aussah im höchsten Flirtmodus. „Und was meinst du wegen der Auftritte?" Mein Blick ging zu Will, der mich nachdenklich anschaute. Er wusste am besten, ob sich das lohnte und ich es machen sollte. Oder nicht „Das Fest wäre eine große Chance für dich." Warum sah er dann nicht begeistert aus? „Ich habe nur Angst, dass das alles zu viel für dich wird." Er legte seinen Arm um meine Schulter. „Du siehst ganz k.o. aus. Komm wir gehen erst einmal nach Hause und du schläfst dich aus. Und morgen sehen wir dann weiter." Ja, Will hatte recht. Ich musste jetzt keine Entscheidung treffen. Ich hatte noch zwei Tage Zeit.

Schuss und Treffer im Auswärtsspiel - Teil 9  ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt