Die Zeit war wie im Flug vergangen. Chris hatte ziemlich schnell akzeptiert, dass ich nicht mit ihm auf Tour gehen würde. Oder anders gesagt, sein Versuch mich von etwas anderem zu überzeugen, war in dem Moment als der Produzent ihm eine neue Sängerin vorgestellt hatte, die auch gerade in den Startlöchern stand und keinerlei Probleme mit einem Studium und Lampenfieber hatte, im Sande verlaufen. Am letzten Wochenende hatten wir dann unseren letzten gemeinsamen Auftritt im Club und anschließend gab es noch eine große Party. „Du hast riesiges Talent. Lass es nicht verkümmern", hallten Chris Abschiedsworte noch in meinem Ohr als er mich zum Abschied umarmt hatte. „Und wenn du es dir doch noch anders überlegst, dann melde dich. Ich schieße Lara jederzeit für dich ab." Auch das hatte Chris gesagt und das sorgte sofort wieder für etwas Herzklopfen bei mir. Dann bedeutete ich ihm doch auch mehr. Trotzdem musste ich heute das erste Mal ganz alleine auf die Bühne im Club. Ich stand am Rand der Bar und beobachtete das bunte Treiben. „Heute ist eine Menge los." Marcel gesellte sich zu mir. „Und du denkst einfach an das Atmen. Dann klappt das auch." Ich nickte wortlos. Ich hatte echt Glück, dass er mein Chef war und so viel Verständnis für meine Lampenfieber aufbrachte. „Mensch Dad, mach sie nicht noch nervöser. Sie rockt das Ding schon. Hier trink das lieber." Nessa reichte mir ein Glas. Ich schnupperte daran. Das......das roch nach Tee. „Ist das Melissentee?" Sie nickte und hielt ihren Finger an ihre Lippen. „Pst, sonst ist dein Ruf als Rockstar ruiniert, aber so in dem Glas denkt jeder du trinkst was Hartes." Sie zwinkerte mir zu. „War übrigens ein Auftrag von Will." Ich schaute sie irritiert an und drehte mich um zu dem Mischpult, an dem er saß. „Geh dich mal bedanken, er hat ihn extra mitgebracht", hörte ich Nessa noch hinter mir, während ich mich schon längst auf den Weg gemacht hatte. „Danke für den Tee", lächelte ich ihn an. Er winkte nur ab und starrte auf seinen Monitor. „Kein Ding", kam dann doch noch gebrummt über seine Lippen. „So eine verfickte Scheiße!", platzte es plötzlich aus ihm heraus. Was war denn mit dem schon wieder los? Ich beugte mich vor und sah sein Problem. Er hatte einen Blue Screen. Das war mal gar nicht so gut, denn es bedeutete, dass der PC komplett abgeschmiert war. „Hast du nicht mal Informatik studiert?" Er schaute mich verzweifelt an. Das war immer der gleiche Scheiß, wenn jemand davon wusste, dachte er, dass man mit dem Studium jeden Computer sofort zum Laufen brachte. Papa war noch immer der Meinung mich sofort anrufen zu müssen, wenn er irgendeine Fehlermeldung an seinem Laptop bekam. Warum begriff eigentlich keiner, dass ein Informatiker eher Programme schrieb und nur am Rande Ahnung davon hatte, die Programme von anderen oder die Hardware zum Laufen zu bringen. Nur weil jemand nähen konnte, würde doch auch niemand erwarten, dass er Nähmaschinen reparieren konnte. „Ich kann ja mal schauen", versuchte ich ihm nicht gleich seine komplette Hoffnung zu zerstören. Irgendwie ging es ja auch darum, dass das bis zu meinem Auftritt wieder lief. Das war ich Marcel schuldig. Und dem Publikum ja auch. Schließlich hatten sie ja den Eintritt gezahlt. „Wie lange rede ich schon mit Marcel, dass wir einen neuen PC und ein neues Programm brauchen", fluchte Will neben mir, während ich alles probierte, was mir spontan einfiel. Nichts zeigte Wirkung. „Verflixte Scheiße!" Will schaute mich grinsend an. „Du kannst fluchen? Ich dachte, du wärst so jemand, der sich nach so einem Wort den Mund ausspült." „Man, das ist nicht witzig. Das Scheißding hat die Grätsche gemacht. Den bekommst du nicht einmal mehr mit einer Mund-zu-Mund-Beatmung zu Leben erweckt. Leck mich doch am Arsch. Wie soll ich denn dann auftreten?" Mein Lampenfieber war von meiner Verzweiflung vertrieben worden. „Na, unplugged. Dein Stimme ist sowieso so geil, da brauche ich nichts zu machen." Er beugte sich zu mir. „Aber sag es nicht Marcel, sonst feuert er mich und ich brauche den Job noch." War das gerade ein Zwinkern? Wo war denn heute das Muffeltier? „Ich kann mich doch da vorne nicht einfach nur hinsetzen und ein bisschen mit der Gitarre klimpern und dazu trällern." Nein, das ging ja auf keinen Fall. „Ich bin doch gar nicht laut genug. „Na ja, der Verstärker geht ja glücklicherweise auch noch so. Also die Lautstärke ist kein Problem." Sollte mich das beruhigen? Das Ganze war doch schon ein schlechtes Omen. Ich sollte hier einfach nicht ohne Chris auftreten. Nein, ich sollte überhaupt nicht auftreten. Das war doch ein Zeichen des Himmels. „Und alles tutti? Bist du bereit?" Phil hatte sich zu uns gesellt und hielt mir Tessa wieder vor die Nase. Sie sah heute ziemlich k.o. aus. Ich schüttelte wild meinen Kopf in das Display. „Der Computer ist total abgestürzt." „Ja und?" Tessa schaute mich verständnislos an. „Na, da kann der Tontechniker nichts an meiner Stimme und der Musik aussteuern. Das ist doch ein Omen, dass ich hier nicht auftreten soll." „Du hast ja einen Knall. Klar trittst du auf und zeigst es ihnen allen. Dein Stimme ist sowieso hammergeil, da brauchst du den Vogel vom Ton gar nicht." „Das habe ich ihr auch schon gesagt", hörte ich Will laut hinter mir. „Wer is'n dat?" Tessa schaute neugierig. „Der Vogel vom Ton", kam es prompt von Will. „Und jetzt ab auf die Bühne." Er schob mich einfach durch die Leute und die ersten begannen bereits zu applaudieren. Zwei Stunden später atmete ich erleichtert auf, als ich auch meinen zweiten Auftritt mit den Coversongs erfolgreich hinter mich gebracht hatte. „Das ist doch super gelaufen heute." Will reichte mir ein Glas Cola. Ja, erstaunlicherweise hatte es wirklich keine weiteren Probleme gegeben. Obwohl ich dort alleine auf der Bühne war, hatte ich alles ohne Hänger oder Aussetzer hinbekommen. Ich zog mein Handy aus der Tasche und schaute darauf. Da war ja eine Sprachnachricht von Chris. Ich öffnete sie sofort. „Ich wünsche dir für heute Toitoitoi. Du packst das auch ohne mich." Im Hintergrund waren Frauenstimmen zu hören. Sofort meldete sich da wieder dieses miese Gefühl. Ja, ich war eifersüchtig, auch wenn wir kein Paar waren. Aber das konnte ja noch kommen, wenn er erst einmal von der Tour zurück war. „Was schaust du denn so bedeppert?" Will schaute mich verwundert an. „Ach Chris hat mir eine Sprachnachricht geschickt. Da waren seine ganzen weiblichen Groupies im Hintergrund zu hören." Ich versuchte mir meine Eifersucht nicht anhören zu lassen. „Na, die sollen sich mal keine Hoffnung machen. Die Mühe ist vergeblich." Mein Herz begann zu rasen. Hatte Chris vielleicht etwas gesagt, dass er auch in mich verliebt war. So von Bruder zu Bruder. „Wieso?" Man konnte ja mal harmlos nachfragen. „Weil er nur auf Männer steht. Wusstest du das nicht?" Ich schüttelte nur wortlos den Kopf. Oh mein Gott, das konnte auch nur mir passieren, dass ich mich in einen Schwulen verliebte. Schlagartig hatte mein Magen sich zusammengezogen und mein Herz hatte sich in einen formlosen Klumpen verwandelt. Ich wollte hier nur noch ganz schnell weg.
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Schuss und Treffer im Auswärtsspiel - Teil 9 ✔️
Teen FictionMaja hat ihre große Liebe in Luca schon sehr früh getroffen. Jedenfalls glaubte sie das. Mittlerweile ist sie sich da nicht mehr ganz so sicher. In letzter Zeit kommt es immer öfter zum Streit und nicht selten ist das Studium der Auslöser. Hat sie w...