Kapitel 121

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Mein Blick ging über die Leute, die sich begeistert an der kleinen Bühne versammelt hatten. Wie viele von ihnen hatten wohl das gestrige Interview im Radio gehört? Wenn Sinas Aussage stimmte, wahrscheinlich ziemlich viele. Änderte das etwas? Hatten sie bestimmte Erwartungen an mich? Ich spürte dieses miese Kribbeln und die leichte Übelkeit in mir, die ich schon eine Weile bei meinen Auftritten verdrängt hatte. Warum war die denn wieder da? Weil ich wieder eine Versagerin war. Ich hatte wieder eine Prüfung in den Sand gesetzt und ohne Onkel Felix Hilfe hätte ich wieder die Konsequenzen zu spüren bekommen. Sofort gesellte sich auch noch ein schlechtes Gewissen zu meinem Gefühlscocktail. Das war doch eigentlich unfair. Andere Studenten hatten garantiert nicht so ein Glück einen Doc Holiday als Onkel zu haben. „Alles gut? Oder bist du wieder schlecht?" Tom schaute mich besorgt an, als er mir meine Gitarre reichte. Ich schüttelte schnell den Kopf. „Alles bestens." Er nickte nur und ging zu seinem Keyboard, während die Leute vor der Bühne schon im Rhythmus meines ersten Liedes klatschten. Nee, wenn ich es schaffte Leute so zu begeistern, dann konnte ich doch eigentlich kein Loser sein. Ich schluckte einmal schnell diesen fetten Kloß in meinem Hals herunter und legte meine Finger an den Bund. Mein Blick ging wieder in die Menge. So begeistert wie sie alle schauten, hatten sie es verdient, dass ich mich für sie anstrengte und ihnen eine gute Show bot. Mein Blick wanderte zu Wills Mischpult, der mir sofort beide Daumen nach oben zeigte. Neben ihm stand Phil und hielt zwei Handys in der Hand. Das waren wieder Leo und Tessa mit ihren Männern. Mein Blick wanderte weiter, denn da leuchteten noch zwei Handys. Und die leuchtete in Onkel Felix Hand. Was machte der denn hier? Sofort überkam mich wieder so ein blödes Gefühl. Ehe ich dem aber nachgeben konnte, erklangen schon die ersten Töne von Teddy und seiner Leadgitarre. Schnell konzentrierte ich mich auf die Musik...
„Das war echt der Wahnsinn." Begeistert umarmte mich mein Onkel eineinhalb Stunden später. Ja, heute hatten wir nicht nur zwei Zugaben geben müssen, heute hatte sich auch die anschließende Autogrammstunde in die Länge gezogen. Ich war immer noch verwundert, dass immer noch irgendwelche Leute von mir bekritzelte Fotos haben wollten. So langsam müssten doch die Leute hier schon alle eins haben. Unauffällig rieb ich mir mein Handgelenk. Scheinbar nicht unauffällig genug, denn Onkel Felix griff sofort danach und bewegte es hin und her. „Du musst aufpassen, dass du da nicht eine Tendovaginitis bekommst." Was sollte das sein? „Eine Sehnenscheidenentzündung", klärte mich mein Bruder auf. Phil? „Musstest du nicht dringend in die Klinik?" Verwirrt schaute ich ihn an. „Hat sich erledigt." Ich kannte ihn gut genug, um ihm anzusehen, dass da etwas faul war. Aber was? „Da ist ja mein Superstar!" Franky umarmte mich überschwänglich. „Das Interview gestern ist wie ein Meteor eingeschlagen. Hast du schon auf die neusten Charts geschaut?" Ich schüttelte den Kopf. Was interessierten mich denn die anderen Musiker? Obwohl das stimmte nicht ganz. Ab und zu schaute ich schon, wo Chris dort stand. Er hielt sich tapfer zwischen dem 80. und 90. Platz. „Du bist auf Platz 40 eingestiegen." Ich war was? Das war.....das war..... „Wahnsinn!" Ja, da hatte Phil recht. Ich zog ihm sein Handy aus der Hosentasche. Das musste ich mit eigenen Augen sehen. Schnell tippte ich seine ID ein. Wie gut, dass ich die alle kannte, seit wir zusammengewohnt hatten. Tatsache. Dort stand definitiv auf dem Platz 40 mein Name. Mein Bruder hatte über meine Schulter geschielt und riss mich jetzt von meinen Füßen und drehte uns im Kreis. „Wahnsinn, klein Maja." „Ihr habt ja noch nicht einmal alles gehört", grinste uns Franky an. Was denn noch? In meinem Magen kribbelte es ganz fürchterlich. „Thomas hat mich heute früh angerufen. Weil das Interview so ein Erfolg war, möchte er, dass du in drei Wochen beim großen Sommerfest in der Waldbühne auftrittst. 25.000 Tickets sind schon verkauft." Ich in der Waldbühne? Mir klappte mein Kiefer herunter. Hatte er 25.000 Tickets gesagt? Das waren dann ja 25.000 Leute, die mich anstarren würden. Sofort hatte ich nicht nur ein Kribbeln im Magen sondern auch einen Stein und 25.000 Knoten. Hilfe! Das konnte ich auf keinen Fall. „Ich habe ihm auch schon zugesagt", grinste mich Franky breit an. Was hatte er? Das ging doch nicht. Hatte er Phil nicht gehört? Ich war nur die kleine Maja! „Alles okay?" Will legte seinen Arm um meine Schulter und schaute mich besorgt an. Scheinbar spürte er meine Verzweiflung. „Also aus ärztlicher Sicht muss ich erst einmal auf eine kleine Auszeit für Maja bestehen", mischte sich Onkel Felix ein. Franky schaute ihn verwirrt an. „Maja muss erst einmal eine kleine Auszeit nehmen. Nach ihrem Zusammenbruch Ende letzter Woche, muss sie sich unbedingt noch etwas erholen. Ich habe da auch schon eine kleine Erholungskur im mediterranen Klima angeleiert." Was meinte er denn damit? Das ging doch nicht. Ich musste mich auf die anderen Prüfungen vorbereiten und was war mit meinen Auftritten? Die konnte ich doch nicht einfach sausen lassen. Was würde wohl Marcel dazu sagen? Er zählte doch auf mich. Genau wie die Jungs von der Band. „Also an mir soll es nicht scheitern. Ich habe das schon mit Marco geklärt", ertönte hinter mir Marcels Stimme. Mit Marco? Das war ja Papa. „Er holt Will und dich übermorgen am Flughafen in Ibiza ab. Tickets sind schon gebucht. Ihr müsst nur noch packen." Was sagte Marcel da? Ich schaute zu Will, der kein bisschen überrascht schien. „Ich habe das auch mit Torte geklärt. Ihr habt bis zur Waldbühne Urlaub." Franky zeigte grinsend beide Daumen nach obern. Das konnte doch nicht sein. Hatten die das einfach alles hinter meinem Rücken angeleiert? Noch im Zweifel, ob ich sauer sein sollte oder mich freuen, entschied ich mich für letzteres. Verflucht, freute ich mich auf Ibiza. Ich spürte förmlich die Sonne in meinem Gesicht, den Sand unter meinen Füßen und hörte das Rauschen des Meeres. „Kommst du auch mit?" Mein Blick ging zu Phil. „Was denkst du denn?" Er zwinkerte mir grinsend zu. Boah, Ibiza mit meinen zwei Lieblingsmännern und meiner Familie. Eine plötzliche Welle der Wärme durchzog mich und ich umarmte spontan Felix. „Danke", flüsterte ich ihm ins Ohr. Er strich mir sanft über den Rücken. „Da nicht für", kam es genauso leise zurück.  „Achtung, Adler auf neun Uhr." Was meinte Will denn damit? „Ich bin dann auch mal weg." Phil stürzte fluchtartig los. Ich schaute fragend zu Will, der mich nur breit anschmunzelte. Was hatte das denn zu bedeuten? „Das war ein supermegahammergeiler Auftritt!" Sina umarmte mich total begeistert. Als sie sich von mir gelöst hatte, schaute sie sich um. „War Phil nicht eben noch hier?" Sie wirkte enttäuscht. „Na ja, ist ja auch egal", winkte sie lässig ab. „Jetzt müssen wir erst einmal feiern." Feiern? Dafür hatte ich keine Zeit. Ich musste flott nach Hause und packen. Im Kopf ging ich schon schnell meinen Kleiderschrank durch. Hilfe! Ich musste noch schnell ein paar Sachen waschen. Der Wäschekorb quoll über, weil ich gestern nicht mehr dazu gekommen war. „Entspann dich, Snugglebee. Wir schaffen das." Will zog mich an sich und drückte mir einen zärtlichen Kuss auf. Ich liebte es, dass er scheinbar immer meine Gedanken lesen konnte.

Schuss und Treffer im Auswärtsspiel - Teil 9  ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt