Kapitel 93

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„Du musst schnell ins Studio kommen"  Das war die Nachricht, die ich ohne weitere Zusätze von Will bekommen hatte.  Ich schaute auf die Uhr im Display. Das war jetzt ungefähr eine Dreiviertelstunde her. Verfluchter Berufsverkehr. In Sichtweite vor mir tauchte bereits der Hubschrauber auf. Erleichtert atmete ich auf. Wahrscheinlich hatte Will gerade eine absolut megageile Idee für ein Lied gehabt, an dem wir gerade schrieben und wollte es sofort zur Probe aufnehmen. Eigentlich war es nämlich fertig, aber irgendwie gab es eine Stelle in der Melodie, die wir noch nicht perfekt fanden. Ja, die letzten drei Wochen seit meine Familie wieder abgereist war, nutzten wir nur zum Komponieren, denn wenn ich den Vertrag bei Franky wirklich unterschrieb, dann mussten wir ja auch etwas zum Aufnehmen haben. Und wenn nicht, dann......dann hatte ich halt neue Lieder für den Club. Papa wollte das mit dem Check durch den Anwalt ja übernehmen. Obwohl wir täglich telefonierten, hatte er sich dazu aber noch überhaupt nicht geäussert. Vielleicht hatte er einfach zu viel um die Ohren, es war schließlich der Schlussspurt der Fußballsaison und so viel ich von Tessa wusste, kämpfte ihre Mannschaft um die Meisterschaft. Ja, da hatte er garantiert andere Dinge im Kopf, als für mich zum Anwalt zu laufen. Das hatte ja auch Zeit, denn mir war der Vertrag nicht wirklich wichtig. Auch wenn es schon irgendwie cool wäre, spürte ich doch noch immer die Angst in meinem Bauch, das Ganze nicht zu schaffen. Jedenfalls nicht ohne Verluste. Und dann war es doch die Frage, ob ich zu den Verlusten bereit war. Also wenn es um Will gehen würde definitiv nicht. Das Gleiche galt für mein Studium und Marcels Club. Ich schüttelte meinen Kopf. Was machte ich mir überhaupt Gedanken? Das war doch gerade überhaupt kein Thema. Sofort sprang mein Kopf wieder auf Vorfreude. Mal schauen, was Will eingefallen war? Und noch viel mehr freute ich mich darauf ihn zu sehen, denn wir waren immerhin schon seit dem Frühstück getrennt und das waren unglaubliche sieben Stunden. Also eine Ewigkeit. Schnell parkte ich vor dem Studio ein. Man, da standen ja eine Protzkarre. Dann war wohl Franky auch da und hatte ein Gespräch mit einem potentiellen Auftraggeber. Das war gut, denn Will hatte sich letztens schon Sorgen gemacht, weil bei den Aufträgen ziemliche Flaute herrschte und er nur ein paar kleine Werbespots hatte aufnehmen müssen. Ich sprang aus meinem Auto und marschierte zum Studio. Mit beiden Händen öffnete ich die schwere Metalltür, die einen immer ein dunkles Gewölbe erwarten ließ. Selbst ihr Quietschen konnte für einen Horrorfilm herhalten. „Da bist du ja endlich." Will kam mir entgegen und begrüßte mich mit einem schnellen Kuss. Wenn er so ungeduldig war, dann musste eine wirklich megageniale Idee durch seinen Kopf schwirren. Er zog mich an der Hand in Richtung Frankys Büro. Wollte er ihm Bescheid geben, dass wir jetztProbeaufnahmen machten? „Du, ich glaube er hat eine Besprechung. Da draußen steht so eine Protzkarre. Da sollten wir lieber nicht stören", warnte ich ihn. Durch die geschlossene Tür waren auch schon mehrere Stimmen zu hören. Will schien das aber überhaupt nicht zur Kenntnis zu nehmen und griff bereits nach der Türklinke. Manno, er konnte da doch nicht auch noch einfach so reinplatzen. Wie sah das denn aus? Schnell klopfte ich mit meiner Hand zweimal gegen die schon leicht geöffnete Tür.  Die Stimmen verstummten sofort. Als Will die Tür komplett geöffnet hatte, schaute ich in die Gesichter von Papa, Mama und Jasi. „Was macht ihr denn hier?", rutschte es mir überrascht heraus. „Na auf dich warten." Papa wippte mit seinen Füßen, wie er es immer tat, wenn er ungeduldig war. „Wieso hat das so lange gedauert?" Ja, er war ungeduldig. Aber warum? Auf mich warten, war ja auch eine komische Antwort. „Mensch Schnutzelchen, ich habe dir doch gleich gesagt, dass das um die Zeit etwas länger dauert. Ist halt Berufsverkehr." „Warum seid ihr hier?", stellte ich meine Frage noch einmal in einer anderen Form. „Und was machst du hier?", wandte ich mich an Jasi, die in einem Sessel neben Mama saß und vor sich hinlächelte. „Ja Mädel, deine Eltern sind mit deiner Managerin hergekommen, damit du endlich den Vertrag unterschreiben kannst", half mir Franky auf die Sprünge. „Managerin!?", schoss es mir ungläubig aus dem Mund und Jasi nickte mir zu. „Ja klar, meinst du, ich lasse dich da einfach so in das Haifischbecken? Du brauchst schon jemand, der deine Termine koordiniert, damit du deine künstlerischen...." Sie machte eine kurze Pause und zwinkerte mir zu „und privaten Freiräume hast. Dafür bin ich und die Agentur zuständig." Das war......das war perfekt. Bei ihr konnte ich mich darauf verlassen, dass alles genau so lief, wie ich es mir vorstellte.  Ich lief zu ihr und umarmte sie, genau wie Mama. „Und ich werde nicht umarmt?", schmollte Papa sofort. Natürlich umarmte ich ihn auch und wandte mich dann Franky zu, um ihn zu begrüßen. „So, jetzt wo wir alles geklärt haben, steht ja der Unterschrift nichts mehr im Weg." Er schob mir ein mehrseitiges Dokument zu. Ich blätterte kurz durch. Das waren mindestens acht Seiten, engbedruckt. Verzweifelt schaute ich zu meinen Eltern. Ich wusste doch gar nicht, was da drin stand. „Du kannst ruhig unterschreiben. Unser Anwalt hat alles so geändert wie du es wolltest. Du hast ein Selbstbestimmungsrecht wie oft, wann und wo du auftrittst. Und auch welche Musik du machst", klärte Mama mich auf. „So einen Knebelvertrag hat wahrscheinlich noch kein Label unterschrieben", stöhnte Franky grinsend. „Dein Alter ist echt ein harter Hund." So zufrieden wie Papa grinste, hatte er wohl wirklich alles durchgesetzt. Ich griff mir den Stift, der auf dem Tisch lag und setzte die Stiftspitze auf das Papier. Mein Herz begann zu rasen. Ich unterschrieb hier gerade meinen ersten Plattenvertrag. War das wirklich okay? Ich wollte doch Lehrerin werden. Ja, war es, beruhigte ich mich schnell. Ich würde mein Studium durchziehen und nebenher Musik machen. Was sollte daran schon verkehrt sein. Entschlossen kritzelte ich meinen Namen auf das Papier und reichte es Franky. „So und jetzt noch du." Er schob Will ein ebenso dickes Papier über den Tisch. „Ich?" Er schaute Franky verwirrt an. „Ja klar, du bist schließlich an den Kompositionen beteiligt und gehörst auch zum Team", klärte Mama ihn auf. Sofort machte mein Herz einen Hüpfer. Das war gut. Dann war Will auch zusätzlich abgesichert. „Wir haben den Vertrag ausgehandelt und aufgesetzt, also kannst du ihn guten Gewissens unterschreiben. Der Halsabschneider wollte ja erst nur einen Vertrag.", mischte sich auch Papa ein und deutete grinsend auf Franky, der wieder nur stöhnte. Will blätterte trotzdem kurz durch das Papier. „Ich bin an den Erlösen beteiligt?", fragte er schockiert. „Ja klar, du bist ja auch an der Entstehung beteiligt", kam es prompt von Mama. Das war super. Warum war ich nicht schon auf die Idee gekommen.  Will griff sich auch den Stift und unterschrieb. „So, dann können wir ja zur Feier des Tages was Essen gehen. Ich habe schon einen Tisch in der Britzer Mühle reserviert", lachte Mama und umarmte mich. „Oma und Opa kommen auch.". „Man, endlich mal wieder dir Mühlenpfanne", kam es von Jasi. „Die gibt es doch noch?" Sie schaute Mama unsicher an, die sofort nickte. „Und ihr seid extra wegen des Vertrags hier nach Berlin gekommen?" Papa legte einen Arm um meine Schulter und zog mich an sich. „Wenn meine Tochter ihren ersten Plattenvertrag unterschreibt, muss ich doch dabei sein. Ich bin stolz auf dich, meine kleine Biene." Er drehte sich zu Will um, der hinter uns stand. „Und du kannst mir morgen helfen die Sachen für deine Mutter in den Umzugswagen zu verfrachten. Ich habe mir extra einen von einem Kollegen ausgeliehen." Will schaute mich irritiert an. „Kollegen?" Ich nickte ja, was war daran komisch? „Er meint Kumpel", griff Mama ein. „Nee, der ist von keinem Bergmann. Der Bergbau ist doch schon lange Geschichte", schüttelte Papa vehement den Kopf. „Der Wagen ist von einem Kollegen, mit dem ich zur Schule gegangen bin." „Schnutzelchen, dein Kollege heißt in Berlin Kumpel." Diesmal war es Mama, die den Kopf schüttelte. „Ich frage mich manchmal echt, wann du endlich von deinem Ruhrdeutsch wegkommst und Hochdeutsch sprichst." Papa ignorierte das einfach und wandte sich wieder an Will, der gerade unauffällig zu Franky schaute. Er musste ja morgen arbeiten. „Ich habe das schon geklärt. Du hast morgen frei. Und zu meinem Geburtstag hast du auch  ein paar Tage frei." Scheinbar hatte Papa wohl schon alles durchgeplant. „So, und jetzt lasst uns feiern gehen." Papa hatte immer noch seinen Arm um meine Schulter, als wir Frankys Büro verließen. „Und hast du dich über die Überraschung gefreut?" Papa und seine Überraschungen. Ich musste schmunzeln. Die waren in der ganzen Familie gefürchtet, weil man wirklich ahnungslos hineintappte. Aber sie waren auch immer toll. Okay, manchmal schoss er über das Ziel hinaus. Aber heute.....heute war die Überraschung ihm wirklich gelungen und meine Aufregung war einer riesigen Freude gewichen. Ich hatte einen Plattenvertrag...... und die wichtigsten Leute waren an meiner Seite. Konnte es etwas schöneres geben?

Schuss und Treffer im Auswärtsspiel - Teil 9  ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt