Kapitel 64

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„Das ist kein Kosename, sondern mein richtiger Name", knurrte Will.....ähm Willi. „Du heißt Willi Wolter?" Ich musste mir ein Kichern echt verkneifen, denn das klang irgendwie total lustig. „Warum nennst du dich dann Will?"  Er schaute mich kopfschüttelnd an. „Fragst du mich das gerade wirklich? Meinst du ich sehe nicht, dass du dir das Lachen verkneifen musst. Und so geht es allen. Deshalb Will. Das kommt cooler." „Ja, definitiv. Und irgendwie passte das Will auch viel besser zu deiner muffeligen Art. Bei Willi denkt man ja eher an eine liebenswürdige nette Biene." Ups, hatte wirklich ich das gerade gesagt? Will fing an zu glucksen. „Na da weiß ja die kleine, schlaue Biene Maja genau Bescheid." Er zwickte mich leicht in die Seite und ich fing lauthals an zu lachen. „Dann haben wir wohl beide eine ziemliche Bienen Phobie, nicht wahr Willi?", entkam es mir. „Nenn mich nie wieder Willi, Biene Maja." Er schaute mich sauer an und musste dann aber doch wieder lachen. So viel hatte ich ihn noch nie lachen sehen. „Wie heißt du überhaupt mit Nachnamen? Vielleicht Imker oder so?" Will schaute mich schmunzelnd an. Das würde sich gleich legen, wenn ich meinen Nachnamen sagte. Entweder schauten die Leute ehrfürchtig und gingen in den Schleimmodus über oder sie fingen eine Fragerunde über meinen berühmten Vater an. Das war echt der Moment, den ich immer fürchtete und versuchte so lange wie möglich herauszuschieben. Jedenfalls in Dortmund. Hier in Berlin war es bisher noch nicht zu der Situation gekommen. Hier war ich bis jetzt eben nur Maja. Und ehrlich gesagt wäre es mir lieber gewesen, wenn es auch so geblieben wäre. „Reus", gab ich also nur ganz leise von mir und wartete die Reaktion ab. Will fing an zu kichern. „Die kleine Maja von den Rolls-Royce-Werken." Konnte es sein, dass er meinen Papa gar nicht kannte? „Dafür fährst du aber ein viel zu kleines Auto und von der falschen Marke. Ach ist ja auch egal, wo dein Alter seine Arbeiter ausquetscht und die Kohle macht, die du ablehnst. Komm lass uns lieber an deinem Lied weiter basteln." Wir setzten uns an den kleinen Tisch. Erst jetzt nahm ich diesen aromatischen Duft wahr. Hatte Will hier irgendwo Duftkerzen oder Dufthölzer? Es roch total lecker nach Früchten. „Du kannst den Tee wohl auch erschnüffeln wie ein Hund." Will grinste breit und holte eine dampfende Tasse von einem kleinen Beistelltisch. „Bitte, ich bin ja vorbereitet." „Früchtetee für mich?", fragte ich total überrascht. „Ja, ich habe doch bei Chris mitbekommen, wie gerne du Tee trinkst."  „Ja, mein Willi ist schon ein sehr liebevoller und aufmerksamer junger Mann." Erschrocken drehten wir uns beide zur Tür, wo Wills Mutter mit einem unglaublichen Lächeln im Gesicht stand. „Mama, was willst du denn hier? Du sollst dich doch schonen." Es war schon total süß, wie er immer rot anlief, wenn seine Mutter oder sein richtiger Name ins Spiel kam.  „Ich habe euch ein paar Sandwiches gemacht. Ihr braucht ja Energie, wenn ihr an der Musik arbeiten wollt." Sie fing noch breiter an zu grinsen. „Und so ist Energie auch nie falsch. Hier Willi." Sie reichte ihrem Sohn einen vollbelegten Teller. „Ich bin dann auch sofort wieder weg und mache die Tür hinter mir zu, damit ihr ganz ungestört seid." Kurz bevor sie die Tür ganz schloss, öffnete sie sie noch einmal und streckte ihren Kopf herein. „Ach ja, und ich würde mich sehr, sehr freuen dich jetzt öfter hier zu sehen, Maja." Meinen Namen betonte sie wieder besonders und ich hörte wie Will ein leises Stöhnen entkam. Irgendwie war diese Frau eigenartig. Jedenfalls was meinen Namen anging. Vielleicht sollte ich Will dazu mal fragen. Obwohl nee. Das Ganze war ihm schon peinlich genug. Ansonsten machte seine Mutter aber einen sehr netten Eindruck, auch wenn man sich bei ihrem Anblick ständig sorgte, dass sie gleich auseinanderbrach. „Sie sollte mal lieber selbst etwas essen, anstatt uns etwas zu bringen", hörte ich leise Will brummen, als er den Teller abstellte. Ich konnte seinen Vorwurf bei dem Anblick seiner Mutter gut verstehen. Wenn er mich schon so schockte, wie furchtbar musste er dann erst für ihr eigenes Kind sein? Wenn ich mir vorstellte, dass meine Mama so krank wäre, ich würde verzweifeln. „Wollen wir gleich essen oder erst uns um die Musik kümmern?" Will schaute mich unentschlossen an. „Gleich essen. Die Sandwiches sehen total lecker aus und ich hatte heute noch kein Mittag." Er musterte mich kurz. „Regelmäßiges Essen ist wichtig. Das weißt du hoffentlich." Ich nickte. „Ich hatte heute ein spätes ausgiebiges Frühstück mit Phil. Wenn mein Bruder schon einmal Pancakes macht, kann ich schlecht nein sagen." Will nickte nur und ich griff mir schnell ein Sandwich. „Mm, die sind total lecker." Das waren sie wirklich. „Ja, das sind sie. Meine Mom ist eine super Köchin. Wahrscheinlich bringt sie uns in einer Stunde spätestens das nächste Essen." Ich schaute ihn irritiert an. „Meine Mutter hat eine Essstörung, falls du das nicht bemerkt haben solltest.  Und solche Leute essen selbst nichts, versuchen aber alle anderen dick zu füttern." Ich nickte „Okay, das wusste ich nicht. Also das mit dem Dick-Füttern. Das andere ist ziemlich offensichtlich. Aber kann man denn da nichts mit einer Therapie machen?" Ich hatte mich mit diesem Thema noch nie ernsthaft beschäftigt. „Kann man schon, aber irgendwie hält das nie lange bei ihr. Ende des Monats haben wir endlich wieder einen Therapieplatz für sie in Lüdenscheid." „Das ist ja ganz in der Nähe von Dortmund", platzte es aus mir heraus. „Ähm ja. Du hast wohl in Erdkunde aufgepasst." Will schaute mich irritiert an. „Nee, ich komme aus Dortmund. Meine ganze Familie wohnt da", erklärte ich ihm. „Wie ist es bei deiner Mutter denn zu der Essstörung gekommen? Und wieso rutscht sie da immer wieder rein?" Das Thema interessierte mich irgendwie. Will zuckte mit den Schultern. „Angefangen hat es wohl ziemlich kurz nach meiner Geburt nachdem mein Erzeuger die Flatter gemacht hat. Sie war wohl der Meinung, dass er nur wegen ihres unförmigen Körpers abgehauen ist." Er schüttelte seinen Kopf. „So ein Blödsinn. Der Kerl war einfach nur ein untreues flatterhaftes Arschloch." Seiner Stimme war die geballte Wut anzuhören, die hinter dieser Aussage steckte. „Und immer wenn sie sich gefangen hatte, kam irgendein neuer Tritt vor das Schienbein. Das ist ein ständiges Auf und Ab. Und jedes kleine Problem kann ein neuer Auslöser sein." Will fuhr sich mit seiner Hand durch die Haare. „Diesmal war es der Verlust ihres Jobs. Sie hat in so einem kleinen Theater als Kostümbildnerin gearbeitet. Die sind aber insolvent gegangen. Und dann Versuch mal mit der Erkrankung in deinem Lebenslauf einen neuen Job als gelernte Schneiderin zu finden." Er verzog sein Gesicht. „Dabei ist sie echt gut." Ich folgte seinem Blick zu der Patchworkdecke auf dem Bett, die wirklich ein kleines Kunstwerk war. Es war unschwer zu erraten, wer sie gestaltet und genäht hatte. „So, dann lass uns mal los legen und einen Welthit komponieren. " Will war schlagartig aufgesprungen. Damit war das Thema dann wohl beendet. Auch wenn er versuchte Enthusiasmus und gute Laune zu verbreiten, sah ich doch die traurige Nachdenklichkeit in seinem Blick. Wie oft musste er sich wohl schon Sorgen um seine Mutter gemacht haben!

Schuss und Treffer im Auswärtsspiel - Teil 9  ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt