„Ich muss heute in die Klinik. Kommst du alleine klar?" Phil schaute mich skeptisch an. Ich nickte und drückte meinen Teddybären wieder fest an meine Brust, ehe ich mit der anderen Hand das Deckbett bis zu meinen Ohren zog. „Okay, dann bin ich mal weg." Er beugte sich zu mir und drückte mir einen Kuss auf meinen Scheitel. „Ach ja, falls du einen Salat machen willst. Das Grünzeug dafür liegt in der Küche. Und für das Öl brauchst du nur deine Haare auswringen", kam es von ihm mit leicht angewidertem Gesicht, ehe es wieder einen besorgten Ausdruck annahm und er mein Zimmer verließ. Das war dann wohl seine Art mir zu sagen, dass ich mal wieder unter die Dusche musste. Wahrscheinlich hatte er damit recht, denn seit Mama und Tessa am Mittwoch wieder früh zurück nach Dortmund gefahren waren, hatte ich mich nicht mehr aus dem Bett bewegt. Nicht einmal um mich zu waschen oder zu essen. Na ja, das Essen hatte mir immer Phil gebracht und sich zu mir gesetzt, damit ich es nicht nur stehen ließ. Ein paarmal hatte er auch auf mich eingeredet, dass ich aufstehen und mit ihm etwas meine neue Heimat erkunden sollte. Bei den Worten neue Heimat rollten dann jedes Mal wieder die Tränen, genau wie jetzt. Ich hatte nur eine neue Heimat, weil ich durch meine Heimlichtuerei nicht mehr in meiner alten leben konnte. Luca hatte mich immer noch blockiert. Ja, das wusste ich, weil ich bestimmt alle halbe Stunde auf meinem Handy nachschaute. Schnell griff ich wieder danach. Natürlich hatte sich nichts daran geändert, sagte mir mein geübter Blick und ich drückte deprimiert mein Gesicht in das Plüschfell des Teddys, nachdem ich das Handy auf die Matratze hatte plumpsen lassen. Ich hatte Luca verloren. Genau in dem Moment, in dem sich alle meine Wünsche erfüllt hätten. Wie lange hatte ich schon davon geträumt mit ihm zusammenzuziehen. Und alles nur, weil ich so saublöd war. Gefrustet warf ich den Teddy ans Fussende. Der kleine Kerl konnte doch auch nichts dafür, dass ich eine Versagerin war. Ich griff ihn mir wieder und strich entschuldigend über seinen Kopf, ehe ich ihn an meine Brust drückte. Was noch viel schlimmer als der Verlust von Luca war, war, dass Papa sich nicht bei mir meldete. Normalerweise rief er seine Kinder täglich an, so bald sie nur weiter als 50 Kilometer von ihm entfernt waren. Mich ignorierte er aber weiter. Ich spürte schon wieder eine Träne über meine Wangen kullern. Das mit dem Reset hatte irgendwie noch nicht wirklich geklappt. Scheinbar brauchte ich etwas länger für das booten. Als Mama und Tessa hier waren, war ich fest entschlossen dazu alles in meine eigenen Hände zu nehmen. Mama hatte mir sogar wirklich einen Job bei Marcel im Club besorgt. Aber seit sie hier aus der Tür heraus waren, schaffte ich es nicht mehr mich überhaupt aus dem Bett aufzuraffen. Wofür auch? Die Uni begann erst in ein paar Wochen und arbeiten musste ich auch erst am Samstag. Das war erst morgen. Und was gab es sonst schon für mich, was Sinn machte aus dem Bett zu krabbeln. Nichts! Mein Handy begann die Melodie von Cats zu spielen. Ich schniefte, ich hatte sie seit dem Tag als Luca mich ins Musical nach Köln eingeladen hatte. Das war an unserem Jahrestag vor zwei Jahren. „Mensch, wie lange brauchst du denn, um auf den grünen Button zu drücken?" begrüßte mich Tessa ungeduldig. Ja, sie und Mama riefen mich jeden Tag an. Tessa meist nicht nur einmal. Sie schickte mir auch ständig Fotos von sich und meinen beiden Nichten. Auf jedem Foto zog sie irgendwelche lustigen Grimassen. Wenn ich mir die Fotos anschaute, waren das die kurzen Momente, in denen ich wirklich grinsen musste. „Ich habe gerade mit Phil telefoniert. Er hat mir gesagt, dass du wie eine Kuh nach einer Kolik stinkst und aussiehst wie ein ungepflegter ausgesetzter Welpe. Kannst du mir mal sagen, was das soll?" Mein Zwilling gab einen sauren Schnaub-Laut von sich. „Ich.....ich bin halt....halt ein Versager." Man, das hörte sich sogar für mich jämmerlich an. „Wage es dich nicht so etwas noch einmal zu behaupten", fuhr sie mich sofort an. „Denn dann wäre ich das auch, weil wir als Zwillinge gleichgepolt sind. Wir beide sind keine Versager, sondern ehrgeizige Frauen, die allen zeigen, was sie können. Hast du das jetzt begriffen? Oder muss ich mich wieder ins Auto setzen und nach Berlin kommen?" So wie ich sie kannte, hatte sie schon ihre Autoschlüssel in der Hand. „Ja, habe ich", antwortete ich also schnell und so überzeugend, wie es mir im Moment möglich war. „Gut. Dann bewege jetzt deinen Arsch in die Dusche und mache dich fertig. In Kürze ist nämlich dein Berlin Guide da, um dir ein bisschen was von dieser tollen Stadt zu zeigen. Wird ja Zeit, dass du dich da mal ein bisschen auskennst." „Was?" entfuhr es mir schockiert. Da....da war ich doch gar nicht drauf eingestellt. Und noch viel weniger war ich dazu in Stimmung. Ich wollte hier einfach nur im Bett liegen und mich in meinem Selbstmitleid ertränken. „Ja, du dürftest noch knapp fünf Minuten haben. Das letzte Mal als ich mit deinem Guide telefoniert habe, war er schon an dem Platz mit den einbetonierten Autos. Ich würde mich an deiner Stelle also beeilen, wenn du ihr nicht wie ein verwahrloster Welpe unter die Augen treten willst. Also Tschö mit ö. Ich rufe heute Abend noch einmal an." Damit war das Gespräch beendet. Bei dem Guide konnte es sich doch nur um Nessa, Tessas beste Freundin und Marcels Tochter handeln. Nessa war noch weniger feinfühlig als meine Schwester und würde mich garantiert erst einmal mit einer männerfeindlichen Rede überziehen, wenn sie mich so sah. Ja, Männer standen bei ihr im Ansehen noch hinter einem akuten Blinddarm. Mit Sicherheit würde sie über Luca herziehen.Das wollte ich auf keinen Fall, denn es war doch alles meine Schuld. Ich sprang also schnell aus dem Bett und lief ins Bad. Einige Minuten später stellte ich fest, dass das warme Wasser, das bei der Dusche über meinen Körper gelaufen war, mir wirklich gut getan hatte. Ich würde zwar nicht so weit gehen zu behaupten, dass ich mich wie neugeboren fühlte, aber doch irgendwie besser. Mit dem Handtuch um mich gewickelt lief ich zurück in mein Zimmer. Auf dem Flur stoppte ich. Man, duftete es hier lecker. Es hatte doch aber noch gar nicht geklingelt. Hatte Phil Nessa auch einen Schlüssel zur Wohnung gegeben? Wahrscheinlich, die beiden waren ja gut befreundet. Ich machte einen Abstecher in Richtung Küche, um sie kurz zu begrüßen. „Hallo, ich bin gleich so weit." „Das ist prima, Süße. Dann können wir ja gleich frühstücken." Was machte denn Oma hier? Oma war mein Guide! Das war... keine Ahnung. Aber sofort überkam mich das Gefühl, dass alles wieder gut werden würde, als Oma mich zur Begrüßung fest in ihre Arme zog.
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Schuss und Treffer im Auswärtsspiel - Teil 9 ✔️
Ficção AdolescenteMaja hat ihre große Liebe in Luca schon sehr früh getroffen. Jedenfalls glaubte sie das. Mittlerweile ist sie sich da nicht mehr ganz so sicher. In letzter Zeit kommt es immer öfter zum Streit und nicht selten ist das Studium der Auslöser. Hat sie w...