Kapitel 30

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Phil zog mich in seine Arme. „Du packst jetzt einfach deine Sachen und kommst mit mir nach Berlin. Du wirst sehen, es dauert nicht lange und es tut den beiden Idioten leid. Dann können sie zu dir angekrochen kommen." Ich nickte nur, auch wenn ich nicht wirklich seiner Meinung war. Da kannte ich Luca besser. Wenn er einmal eine Entscheidung getroffen hatte, dann ging er davon auch nicht mehr ab. Selbst wenn ich betteln würde. Und Papa?! Der würde bestimmt nur seine Meinung ändern, weil Mama ihm keine andere Möglichkeit ließ. Ich musste an seinen enttäuschten Blick denken. Sofort kullerten mir Tränen über die Wangen. „Ich....ich ....wol...wolllte Papa doch nicht enttäu....enttäuschen und....und...an....anlü....lügen", schluchzte ich. Nein, ich hatte es ihm doch gerade deshalb nicht gesagt, weil ich ihm zeigen wollte, dass ich das selbst wieder hinbekam, damit er stolz auf mich war. Phil strich beruhigend mit seiner Hand über meinen Rücken und drückte mich noch fester an sich. „Da wird er schon noch drüber hinwegkommen. Und dann wird er sehen, dass du erwachsen bist und deine Probleme selbst löst. Und er wird stolz auf dich sein. Das eigentliche Problem ist nämlich, dass der alte Mann Angst hat nicht mehr von seinen Küken gebraucht zu werden. Und was hat er dann noch? Nichts - keine Aufgabe. Was meinst du, warum er sich schon so an seine Enkelinnen krallt?" Das hörte sich logisch an. Trotzdem war ich mir nicht so sicher, dass mein Bruder damit recht hatte. Papa konnte ziemlich nachtragend sein. Und ich..... ich konnte es nicht ertragen, wenn er oder Mama auf mich böse waren.....oder auch andere. Ich mochte es, wenn alles harmonisch war. Manchmal auch, wenn ich dafür zurückstecken musste. Ja, irgendwie war ich ein ziemlich harmoniebedürftiger Mensch. Aber an Harmonie war im Moment überhaupt nicht zu denken. Und ich wusste auch nicht, wie ich das ändern konnte. In meinem Magen hatte sich ein riesiger Stein manifestiert. „Komm, lass uns deine wichtigsten Sachen zusammenpacken und dann machen wir einen Abgang. Den Rest kann Tessa holen und dir nach Berlin nachschicken." Ein Schluchzer entrang sich mir. Oh mein Gott, was hatte ich nur verbrochen! „Wahrscheinlich wird Papa mit deinen Sachen in Berlin angekrochen kommen und dich anbetteln zurückzukommen", tröstete mich Phil. Oder besser gesagt, er versuchte es. Denn wirklich überzeugen konnte er mich nicht. Ich fühlte mich gerade wie der schlimmste Mensch auf Erden, der alle enttäuscht hatte. Nein, wenn ich ehrlich war, war ich von mir selbst unendlich enttäuscht, weil ich so versagt hatte und weil ich alle vor den Kopf gestoßen hatte. Ich schaute nur zu, wie Phil einen Koffer aus seinem alten Zimmer holte und auf mein Bett warf. „Deiner ist ja noch voll. Du kannst meinen nehmen." Ich nickte wie durch Watte. Irgendwie konnte ich noch immer nicht glauben, dass das gerade alles wirklich passierte. „Na los, greif alles zusammen, was du am dringendsten brauchst", holte mich Phil aus meinen Gedanken. Wie ferngesteuert zog ich die Schublade mit meiner Unterwäsche auf und schnappte mir danach irgendwelche Klamotten aus dem Schrank. Keine Ahnung, ob das alles zusammenpasste. Aber das war ja auch egal. Wer schaute schon, ob ein Loser gut angezogen war. Und ehrlich gesagt, war mir das momentan auch völlig unwichtig, wie ich herumlief. Ich war doch sowieso nur noch Dreck in den Augen der anderen. Ich hatte versagt. Ich war nichts mehr wert. „Mensch, Maja! Jetzt schau nicht so traurig. Wir bekommen das alles wieder hin." Keine Ahnung zum wievielten Mal zog mich Phil in seine Arme. Und wieder rannen mir Tränen über die Wangen, die er vorsichtig mit seinem Daumen wegstrich. Ich schaute zu meinem Bücherregal. Nee, diese ganzen Informatikkrempel würde ich nie wieder brauchen und nie wieder anfassen. Ich griff mir nur ein ganz altes schon ziemlich abgegriffenes Buch. Auf dem Cover war eine kleine Biene mit ihrem Freund zu sehen. Ja, es war ein Buch von Biene Maja. Das hatte mir einmal Mama gekauft und ich hatte es so unglaublich geliebt, als ich klein war. Ich stopfte es in meinen Rucksack. Ups, da waren ja noch die ganzen Mitbringsel. Schnell zog ich sie heraus und legte sie auf meinen Schreibtisch. Mit einem Stift schrieb ich schnell noch die Namen auf die einzelnen Tüten, damit sie wussten, für wen das Geschenk war. „Hast du auch schon deine Unterlagen eingepackt, damit wir dann von Berlin aus alles mit der Uni klären können?" Was sollte es da schon noch zu klären geben? Ich hatte versagt, Punkt und aus. Trotzdem griff ich nach dem Ordner in dem Regal und packte ihn auch in den Rucksack. „Na dann los." Phil schnappte sich meinen Koffer und meinen Rucksack. Ich schaute mich noch einmal in meinem Zimmer um. Da saß noch der Plüschteddy auf meinem Bett, den ich mal von Luca bekommen hatte. Ich griff ihn mir und drückte ihn fest an meine Brust. Wieder spürte ich Tränen über meine Wange kullern und das Schluchzen konnte ich auch nicht unterdrücken. Ich war die einzige von meinen Geschwistern, die in Schimpf und Schande vom Hof gejagt wurde. Nicht einmal Tessa hatte solchen Ärger bekommen, weil sie schwanger war und heimlich geheiratet hatte. Was hatte ich nur verbrochen. Ich würde mich selbst im Spiegel nicht mehr anschauen können. Phil griff meine Hand und zog mich zur Tür. „Wir fahren jetzt gleich nach Berlin. Und da erholst du dich erst einmal von dem Schock und übermorgen nehmen wir dann alles in Angriff, um dich wieder auf den richtigen Weg zu bringen. Du wirst es ihnen allen noch zeigen." Ich war mir nicht sicher, ob ich meinen Bruder nicht auch noch mit seinem Glauben an mich, enttäuschen würde. „Gib mir die Schlüssel für dein Auto." Er streckte mir seine Hand entgegen und ich zog den Schlüssel zögerlich vom Schlüsselbord. „Aber das ist doch auch Papas." Phil schüttelte entschieden seinen Kopf. „Nee, den hast du zu deinem Geburtstag geschenkt bekommen. Also ist es deiner. Es steht auch dein Name in der Zulassung." Trotzdem hatte ich ein schlechtes Gefühl, das in mir aufstieg. Aus dem Wohnzimmer hörte ich laut Papas und Mamas aufgebrachten Stimmen. Manno, sie sollte sich nicht streiten. Das hatte ich doch nie gewollt. Ich wollte doch genau das vermeiden. Ich wollte nicht, dass sie von mir enttäuscht waren. Das war doch der einzige Grund, warum ich das alles so lange verschwiegen hatte. Ich wollte erst alles alleine wieder gerade rücken. Naja, und vielleicht hatte ich auch geschwiegen, weil ich genau vor dieser Situation jetzt Angst hatte. „Na dann auf nach Berlin!" Phil hatte das ganze Gepäck in meinem Auto verstaut und hielt mir die Beifahrertür auf. Als ich zögerlich eingestiegen war, beugte er sich über mich und legte mir den Gurt an, ehe er mir einen Kuss auf die Wange drückte. „Keine Angst, kleine Maja. Wir schaffen das zusammen." Ich schluckte. Genau diesen Satz hatte früher immer Max zu mir gesagt, als ich noch klein war, wenn er mir bei etwas geholfen hatte. Was würde wohl Max von mir denken?

Schuss und Treffer im Auswärtsspiel - Teil 9  ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt