Seit heute morgen um 11.59 war es traurige Gewissheit. Ich hatte die Prüfung versemmelt und würde in Kürze keine Studentin mehr sein. Ich hatte mich wie jeden Tag gleich nach dem Aufstehen auf dem Uniserver eingeloggt, um zu schauen, ob die Ergebnisse raus waren. Und heute war es dann soweit. Neben meiner Matrikelnummer stand aber leider keine 4,0. Nachdem meine letzte Hoffnung zerplatzt war, musste ich mir jetzt wirklich etwas einfallen lassen, denn ich hatte immer noch keinen Plan B und C. Und mit Luca hatte ich auch noch nicht gesprochen. Hatte sich einfach nicht ergeben. Blöderweise wurde es nun aber noch schwerer. Ich brauchte unbedingt einen Plan. Und wer war für so etwas am besten geeignet? Meine Zwillingsschwester. Tessa hatte immer Ideen. Ich drückte also den Klingelknopf, neben dem auf einem Messingschild groß Weidenfeller stand. Keine Minute später wurde die Tür aufgerissen. Vor mir stand mein Schwager Leo und hatte eine seiner Töchter auf dem Arm, die scheinbar gar nicht damit zufrieden war, so wie sie strampelte. Er drückte mir zur Begrüßung einen Kuss auf die Wange und drehte sich Richtung Hausinneres. „Maja ist da." Okay, dann wusste jetzt halb Dortmund Bescheid bei dieser Lautstärke. Scheinbar hatte er sich schon an meine Familie angeglichen. „Terrasse", kam es genauso lautstark von meiner Schwester zurück. „Tessa ist mit Alli auf der Terrasse." Okay, die Information hätte es nur bei einem Tauben benötigt. Da Leo in Sportklamotten vor mir stand, wollte er wohl gerade zum Training oder war gerade zurück gekommen und wollte sich umziehen. „Soll ich Chrissi mitnehmen", bot ich daher an. Er schaute skeptisch zu seiner Tochter, die immer noch ungeduldig strampelte. „Das wäre eigentlich toll, aber sie ist gerade ziemlich knörig." Ich musste grinsen. „Damit habe ich genug Erfahrung. Mari ist auch nicht gerade die Geduld in Person." Meine jüngste Schwester war jetzt zwar schon vier, aber sie hatte es echt in sich. Mit einem Lächeln im Gesicht überreichte er mir das Windelpaket. Aber nicht ohne ihr vorher noch einen Kuss auf ihr rotblondes Haar zu drücken. „Prima, dann bin ich mal zum Training. Ihr könnt mir ja schreiben, wenn ich nachher etwas zu essen mitbringen soll." Ich nickte. Leo war so ganz anders als Luca. Er war immer besorgt und bemüht um Tessa. Egal, was sie machte, er fand es gut. Da gab es keinen Druck. Er würde bestimmt auch einfach Tessa nur in den Arm nehmen und trösten, wenn sie ihm erklärte, dass sie gerade in der Prüfung durchgefallen war und vor dem Nichts stand. Bei Luca brauchte ich nicht damit zu rechnen. Für ihn stand das Studium über allem. „Hey, andere Hälfte", begrüßte mich Tessa kaum dass ich einen Fuß auf die Terrasse gesetzt hatte. „Komm, pflanz dich hier her." Sie deutete mit ihrer Hand auf den Platz neben ihr auf dem bequemen Loungesofa. „Aber vorher setz Chrissi, die alte Quengelbacke auf die Spieldecke." Ich folgte der Anweisung und setzte Chrissi zu Alli auf die Spieldecke, die von einer weichen Begrenzung umgeben war, so dass die Spielfläche in ihrem riesigen Ausmaß trotzdem eingrenzte war. „Lass mich raten. Das ist von Papa." Ich deutete mit meinem Zeigefinger auf die Abgrenzung. Tessa fing an zu lachen. „Nee, eine Gemeinschaftsproduktion von ihm und Roman. Sie haben es extra anfertigen lassen, damit die beiden auch genug Aktionsradius haben." Bei Tessa angekommen umarmten wir uns erst einmal, ehe ich es mir neben ihr bequem machte und wir meinen beiden Nichten zuschauten, die wie kleine wild gewordene Hummeln durch die Gegend krabbelten. „Die beiden haben viel Ähnlichkeit mit uns." Ich musste daran denken, wie Tessa und ich früher unzertrennlich waren. Bis...bis die Kerle ins Spiel kamen. Scheiß Kerle. „Das war früher noch schön, als alles so einfach war." Ich konnte meinen Blick nicht von meinen Nichten abwenden und spürte ein Kribbeln an der Nasenwurzel. Damals wusste ich immer, dass da noch wer war, der genauso wie ich funktionierte. Ich musste meine Probleme nie alleine lösen, weil meine Zwillingsschwester genau die gleichen hatte. Im Gegensatz zu heute. Heute stand ich vor einem Berg von Problemen und hatte keinen mit dem ich sie teilen konnte. „Wir beide gegen den Rest der Welt. Egal was kam." Tessa drehte mit ihrer Hand mein Gesicht zu ihr und musterte mich. „Was ist los?" Sie schaute mich besorgt an. „Ich habe das Studium verkackt", schniefte ich und die ersten Tränen rollten über meine Wangen. „Du meinst, du hast so eine blöde Prüfung verkackt", korrigierte mich Tessa. „Dann wiederholst du sie halt." Ich schüttelte schluchzend den Kopf. „Geht nicht, ich habe sie schon zum dritten Mal wiederholt und jetzt fliege ich von der Uni." „Echt jetzt? Sowas gibt es?" Tessa schaute mich schockiert an. Klar, ich war immer die bessere von uns beiden in der Schule. Was aber nur daran lag, dass sie ihre Prioritäten auf Fußball und nicht Lernen gelegt hatte. „Ja, ich kann auch durch Prüfungen fallen." Meine Antwort war ziemlich patzig ausgefallen. „Das meine ich doch nicht, sondern dass die dich da rausschmeißen. Was ist das denn für ein veralteter Blödsinn." Sie schüttelte sauer ihren Kopf. „Und was sagen Mama und Papa dazu? Und was sagt der Erbsenzähler?" Normalerweise hasste ich es, wenn sie Luca so nannte, aber heute war es mir egal. „Die wissen das noch gar nicht. Und ich will es ihnen auch erst sagen, wenn ich weiß, was ich stattdessen mache. Ich brauche ganz dringend einen Plan B und C." Tessa gab einen undefinierbaren Grunzton von sich. „Plan D, E und F könnten auch nicht schaden. Papa ist da manchmal ganz schön stur." Ja, da hatte sie ja auch schon ihre Erfahrungen mit gemacht, als sie mit der Schule nach der 10. Klasse hatte aufhören wollen. „Und schon Ideen?" Ich zuckte als Antwort mit den Schultern. „Also ich kann nur etwas weiter studieren, wo kein Mathe und kein Informatik vorkommt." „Dann sind also alle deine Prüfungen, die du schon bestanden hast, verloren?" Ich verzog mein Gesicht. „Da war nicht viel zu verlieren. Es war bisher meine einzige Prüfung." Ihre Augen waren tellerrund. „Okay, dann können wir bei Papa argumentieren, dass es nicht dein Fach war. Wenn du ihm noch ein paar Fachwörter an den Kopf knallst, wo er auch wie das Schwein ins Uhrwerk guckt, akzeptiert er das sofort.Hast du denn schon eine andere Idee?" Ich schüttelte den Kopf. Ehrlich gesagt sah ich mich nicht so in niederländischer Kunstgeschichte oder anderen angestaubten Sachen. Außerdem wäre das wirklich nur ein Studiengang, den man machte, um sagen zu können, man hatte studiert. Und nicht, um damit nachher Geld zu verdienen. „Ich werde mir einfach so wie du eine Ausbildung suchen und dann im August anfangen." Ja, das war die beste Idee. Tessa fing an zu lachen. „Da bist du aber etwas spät dran. Die werden mindestens ein Jahr vorher ausgeschrieben." „Echt?" Ich schaute sie schockiert an. Was war das denn für ein Blödsinn? Das brachte ja meinen ganzen gerade beschlossenen Plan durcheinander. Ich brauchte sofort einen Ausbildungsplatz. „Aber wie hast du das denn gemacht? Du hast doch auch erst ein paar Monate vorher dich beworben." Ich konnte mich noch gut an die Diskussionen mit Papa und Mama erinnern. „Das war etwas anderes. Ich bin einfach zu Dogan und Kehli hinmarschiert." „Dann mache ich das halt auch." Was bei ihr geklappt hat, würde bei mir auch funktionieren. „Kannst du vergessen. Die Ausbildungsstellen beim BVB sind schon alle weg. Außerdem erfährt Papa da schneller von, als du Ausbildungsplatz buchstabieren kannst." Toll, damit hatte sie mit Sicherheit recht. „Aber was soll ich dann machen?"
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Schuss und Treffer im Auswärtsspiel - Teil 9 ✔️
Ficção AdolescenteMaja hat ihre große Liebe in Luca schon sehr früh getroffen. Jedenfalls glaubte sie das. Mittlerweile ist sie sich da nicht mehr ganz so sicher. In letzter Zeit kommt es immer öfter zum Streit und nicht selten ist das Studium der Auslöser. Hat sie w...