Kapitel 44

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In meiner Hand hielt ich mit Silberspray angesprühte Tannenäste und verteilte sie auf den Tischen in der Lounge. Der Club sah so langsam wirklich weihnachtlich aus. „Hier, die musst du noch aufsetzen." Nessa stülpte mir eine rote Nikolaus-Zipfelmütze mit weißem Plüschrand auf den Kopf. Wie alle anderen trug ich heute auch ein rotes Shirt und eine rote Hose. Die Klamotten hatte Marcel uns extra spendiert. „Und hast du schon den Santa Claus drauf?" Nessa grinste mich an. „Bei mir wird das eher ein Santa Graus." Ja, Cocktails waren nicht so ihr Spezialgebiet. Ich fand sie gar nicht so schwer, wenn man sich genau wie beim Kochen an das Rezept hielt. Und dieser Weihnachtscocktail war echt interessant. Irgendwie wie kalter Glühwein mit einer Zimtnote. Natürlich hatte ich den alkoholfreien probiert. Wie sollte ich ihn denn sonst anbieten können, wenn ich nicht einmal wusste, wie er schmeckte. „Mädels nicht sabbeln, weitermachen." Kevin, der DJ grinste uns frech an und sah dabei ziemlich dämlich mit seiner Nikolausmütze auf dem Kopf aus. „Die beiden müssen doch nichts machen. Die bekommen auch so das Geld. Sind halt die Lieblinge vom Chef", grummelte dieser ätzend Will neben ihm. Der glaubte auch er wäre als Tontechniker wohl was besseres. „Pass mal auf, du Clown. Ich muss genau wie alle anderen hier meine Leistung bringen. Und stell dir mal vor, ich bekomme dafür nicht einmal was, weil ich meinem Dad auch gerne so helfe. Aber du denkst wohl, es ist eine schwere Leistung an ein paar Reglern herumzuschieben oder auf einer Tastatur herumzuhacken und auf einen Monitor zu starren." Nessa funkelte den Kerl sauer an. So wie es aussah, hatte er mit dem Echo wohl nicht gerechnet, denn er starrte sie nur kurz an und senkte dann seinen Kopf. Ich musste mir ein Grinsen verkneifen. Das Echo geschah ihm ganz recht. Ich konnte diesen Idioten einfach mit seinen ständigen Sticheleien und der schlechten Laune nicht leiden. Ohne ihn weiter zu beachten, liefen wir wieder zur Theke. „So Mädels, ihr beide bildet heute hier das Team. Tom und Laura bilden das Team auf der anderen Seite." Marcel lächelte uns zufrieden an. „Wir sind heute total ausverkauft. Es gibt nicht einmal mehr Tickets an der Abendkasse." Ja, er hatte sich extra ein besonderes Programm einfallen lassen. Chris würde mehrere Sessions haben und seine Auftritte bestanden diesmal aus bekannten Weihnachtssongs. Ich war schon gespannt, wie er die so rüberbrachte. Ich hatte ja auch schon begonnen auf meiner Gitarre ein paar Weihnachtsklassiker zu üben. Damit wollte ich meine Familie dann Heiligabend überraschen. „Ich habe euch schon...." „Chef, wir haben ein riesiges Problem." Will hatte Marcel rücksichtslos unterbrochen. Das war ja klar für diesen Egomanen. Der kannte auch nur sich und seine Probleme. Obwohl, irgendwie wirkte er total durch den Wind. „Chris hat gerade angerufen. Er hatte einen Unfall." Erschrocken schauten wir ihn alle an. Hoffentlich war Chris nicht verletzt. „Schlimm?" Marcel stellte die Frage, vor der ich Angst hatte. Will schüttelte den Kopf und gab einen Schnauber von sich. Erleichtert atmete ich auf, denn Chris mochte und bewunderte ich und es hätte mir überhaupt nicht gefallen, wenn ihm etwas passiert wäre. „Nee, nur Blechschaden an seiner alten Möhre, aber weil das andere ein Firmenwagen ist, muss er auf die Polizei warten. Und das kann dauern." Marcel nickte und schaute auf seine Uhr. „Bis zu seinen Auftritten sind es noch glatte drei Stunden. So lange braucht nicht einmal die Berliner Polizei", gackerte Nessa. „Dann ist doch alles bestens", rutschte es mir heraus. „Ist es nicht, du Klugscheißerin. Wer soll bitte den Soundcheck machen und die Bühnenausleuchtung?" Will schaute mich herausfordernd an. „Oder willst du dich da auf die Bühne setzen, Gitarre spielen und singen, damit ich das machen kann." Was hatte ich dem Idioten eigentlich getan, dass er mich immer so blöd anging? „Das ist doch die perfekte Idee." Nessa klatschte in die Hände und schob mich Richtung Bühne, bevor ich auch nur nein sagen konnte. Hatte sie einen Knall? Ich konnte mich da doch nicht hinsetzen und so tun, als wäre ich Chris. Klar konnte ich auf der Gitarre klimpern, doch aber nicht so wie er. Wie stellte sie sich das denn vor? „Ich brauche da keinen Statisten auf der Bühne, sondern jemanden, der Gitarre spielen und singen kann." Will schaute Nessa an, als wäre sie von allen guten Geistern verlassen. „Du studierst doch Musik." Ich sah die Hoffnung in Marcels Augen aufblitzen. „Auf Lehramt", konkretisierte ich das Ganze, bevor hier völlig falsche Hoffnungen aufkamen. „Das hat meine alte Musiklehrerin auch und die konnte nur auf der Blockflöte spielen. Bestimmt beherrschst du die Blasinstrumente auch gut." Der Ton in dem er das sagte, deutete an, dass er wohl nicht die Trompete, das Saxophon oder ähnliches meinte. Ich spürte wie die Wut in mir hochkroch. „Wo soll ich mich hinsetzen? Und welche Lieder stehen auf dem Plan?" Ohne weiter nachzudenken lief ich die Stufen zur Bühne hinauf. Dem Idioten würde ich es jetzt aber mal zeigen. Mich hier so blöd von der Seite anzumachen. Was war das denn für ein Chauvi. Ich schnappte mir die Gitarre, die dort bereits stand und auf Chris wartete. Okay, sie lag etwas anders im Arm als meine. Egal. Ich atmete noch einmal durch und begann zu spielen. Spontan kam mir Last Christmas in den Kopf. Das hatte ich schon geübt, weil Mama es so mochte.  Ohne weiter nachzudenken, begann ich zu singen und verschwand in meiner eigenen Welt, wie immer, wenn ich Gitarre spielte. Am Ende des Lieds schaut ich auf. Warum starrten die mich denn alle so an? Hatte es sich so schrecklich angehört? Ich spürte, wie mir die Hitze ins Gesicht schoss. Plötzlich fing Marcel an zu applaudieren und die anderen stiegen mit ein. „Wow, du hast ja eine hammergeile Stimme. Das war perfekt." Na ja, Marcel war jetzt nicht wirklich der Fachmann. Ich schaute zu Will. Bestimmt hatte der gleich etwas auszusetzen. Erstaunt stellte ich fest, dass er gar nichts sagte und mich nur anstarrte. Das sah fast so aus, als spiegelte sich etwas Anerkennung in seinem Gesicht. Nee, ich musste mich irren. „Ich brauche noch ein Lied, dann bin ich durch." Okay, ich hatte mich geirrt. Er war genauso unfreundlich wie immer. „I'm driving home for Christmas", startete ich nach den ersten Akkorden und versuchten den Kerl auszublenden. In der Mitte des Lieds spürte ich, dass sich jemand hinter mich gestellt hatte. Im nächsten Moment ertönte eine Stimme, die ich schon ziemlich gut kannte. Das war Chris, der einfach mit eingestiegen war, Boah, das wurde jetzt peinlich. Da bekamen alle erst richtig mit, wie wenig Talent ich besaß. Erleichtert atmete ich auf, als der letzte Ton verklungen war. Ich würde einfach aufstehen und mich hinter der Bar verkriechen. Diesmal klatschten alle noch wilder. Es war unglaublich, wie viel Krach so ein paarLeute vom Personal machen konnten. „Das war die geilste Version, die ich jemals gehört habe. Das müsste ihr nachher unbedingt als Duett singen." Marcel kam auf uns zugestürzt und war völlig aus dem Häuschen. „Auf alle Fälle", nickte auch Chris mir zu. „Du hast echt eine geile Stimme und kannst mit der Gitarre umgehen. „Wahnsinn, was Will." Die Begeisterung des Tontechnikers zeigte sich durch ein  Brummen. „Kannst du auch Last Christmas, Feliz Navidad und All I want for Christmas is you?" Ich nickte. Ja klar, das waren ja Klassiker.  „Perfekt" Er wandte sich an Marcel „Du hast doch wohl nichts dagegen, wenn wir nachher ein paar Duette einbauen." Wie bitte? Ich hatte mich doch wohl verhört. Nein, so wie Marcel begeistert zustimmte, wohl nicht.

Schuss und Treffer im Auswärtsspiel - Teil 9  ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt