Kapitel 150

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„Snugglebee, was ist denn los? Geht es dir nicht gut? Du bist ja käseweiß!" Wo kam Will denn her? Wieso war er nicht im Studio? Er war doch vor einer halben Stunde abgehauen. „Komm erst mal mit und setz dich hin." Er legte eine Hand um meine Taille und führte mich in unser Wohnzimmer, wo Tom auf dem Sofa saß. „Ich habe ihn angerufen, als ich gesehen habe, dass du nicht gut bist." Tom schaute mich entschuldigend an. „Und das war auch gut so. Danke, Bro." Will schob mich neben Tom auf das Sofa und klopfte seinem Bruder auf die Schulter. „Aber wie bist du so schnell wieder hier? Ich habe mich doch gerade erst übergeben. Und das ist auch nicht weiter schlimm. Ich muss gleich los in die Uni." Wenn ich da früher hinfuhr, vielleicht konnte ich dann ja auf magische Weise doch noch schnell alles lernen, was ich nicht wusste. Bong! Es traf mich wie ein Stahlhammer. Nein, da half auch keine Magie und auch kein Glück. Ich wusste nichts. Da half nicht einmal ein Wunder. Ich schnappte nach Luft, weil ich das Gefühl hatte gleich zu ersticken. „Was ist denn los, Maus" Mama beugte sich über mich „Du zitterst ja wie Espenlaub." Auch Papas Gesicht tauchte vor mir auf und schaute mich besorgt an. Ich spürte seine heiße Hand auf meiner Stirn. „Fieber hat sie nicht, sie ist ja ganz kalt. Du gehst jetzt sofort ab ins Bett!" Ich schüttelte heftig den Kopf und schnappte wieder nach Luft. „Ich...ich muss in die...die Uni!", presste ich heraus. „In dem Zustand musst du nirgends hin", kam es bestimmt von Mama. Die ließen mich garantiert nicht zur Prüfung gehen. „Aber....aber wenn ich.....nicht....schreibe...., dann......" Ich brach mein Gestotter ab. „Was dann? Dann schreibst du ein anderes Mal, wenn es dir besser geht." Papa zuckte mit den Schultern. Der war ja lustig. Was dachte er, wie viele Male das ging? Außerdem, wie sah das denn bei Onkel Felix aus, wenn ich schon wieder ein Attest schnorrte. Und was sollten die in der Uni denken? Wieder erfasste mich ein neuer Schub und ich begann zu zittern. „Ich....muss heute schreiben, sonst...sonst ist es....ein Fehlver.....Fehlversuch", schluchzte ich. „Nee, musst du nicht. Und es ist auch kein Fehlversuch." Phil zwinkerte mir zu. „Ich....ich kann. Doch nicht schon wieder zu Onkel Felix." Ich schüttelte entschlossen meinen Kopf und versuchte aufzustehen, wurde aber sofort von Will zurück auf das Sofa gedrückt. „Du bleibst hier." Seine Stimme ließ keinen Widerspruch zu. „Du brauchst keine Angst haben. Es ist kein Fehlversuch, weil ich dich gestern von der Prüfung abgemeldet habe." Phil hatte was? „Du hast was?" Ich starrte meinen Bruder schockiert an. „Ich habe dich von der Prüfung abgemeldet, weil ich mir das hier schon fast gedacht habe." Mit seiner Hand deutete er auf mich. „Wie soll das gehen?" Der wollte mich doch nur beruhigen und dann hatte ich nachher doch einen Fehlversuch. Und so wie es bis jetzt lief, würde ich alle Versuche brauchen. „Du erinnerst dich vielleicht, dass du mal bei mir gewohnt hast und ich deine Matrikelnummer und dein Passwort kenne. Du bist ja nicht mehr so ein paranoider Nerd, der ständig sein Passwort ändert." Er grinste mich breit an. „Aber was nützt das Abmelden?" Das brachte doch garantiert nichts so kurzfristig. „Also früher hat es gereicht, wenn man sich 24 Stunden vor einer Prüfung abgemeldet hat, damit es nicht als Versuch zählte", mischte sich Mama ein. „Das ist auch heute noch so", grinste Phil. Das hatte ich gar nicht gewusst. Toll, scheinbar kannte ich mich nicht nur mit dem Stoff nicht aus, sondern auch mit den Regularien nicht. Ich wusste gerade nicht, ob ich meinem Bruder dankbar sein sollte, weil er mich gerettet hatte oder ihn dafür verfluchen, dass er mir die Chance genommen hatte die Prüfung überhaupt zu machen. „Toll, dann habe ich nicht einmal eine Prüfung gemacht. Was bin ich denn dann für eine Studentin? Und wie soll das mit den Auftritten und der Tour dann erst nächstes Semester werden?" Ein Schluchzer entschlüpfte mir und ich spürte eine Träne über meine Wange laufen. Nee, das ging so nicht weiter. Ich konnte unmöglich auf Tour gehen. Ich musste studieren. Ich wollte doch Lehrerin werden und Papa stolz machen. Mein Blick ging zu ihm, er hatte sich in den Sessel gegenüber vom Sofa niedergelassen. Irgendwie starrte er vor sich hin. Das war doch das beste Zeichen, dass er von mir enttäuscht war. Ich spürte wieder den Druck in meiner Brust. Nein, verflucht! Ich wollte ihn auf keinen Fall enttäuschen. „Ich würde dir raten im nächsten Semester einfach ein Urlaubssemester zu beantragen." Urlaubssemester? Was meinte Mama denn damit? „Dann kannst du dich danach wieder voll reinknien, hast aber genug Zeit dich auf deine Musik und die Tour zu konzentrieren." „Oder du machst ein Teilzeitstudium. Das machen viele, wenn sie nebenher einen Job haben", schlug Phil vor. „Dann brauchst du nur den halben Aufwand pro Semester. Okay, das dauert dann zwar auch doppelt so lange, aber das ist ja egal. Das Ergebnis am Ende zählt." Die Idee war gar nicht so verkehrt. Obwohl ich mir noch nicht richtig vorstellen konnte, wie das funktionieren sollte, wenn ich ständig an einem anderen Ort war. Sollte ich da ständig zurück nach Berlin fliegen, um an einigen Vorlesungen und Übungen teilzunehmen? „Geht nicht auch ein Fernstudium? Dann musst du nicht immer vor Ort sein und kannst trotzdem studieren, wenn du gerade Zeit hast und es dir passt." schlug Will vor. Die Idee von meinem Muffeltier hörte sich genial an. „Geht bei Lehramt nicht", zerstörte mein Bruder sofort wieder meine Hoffnungen. „Aber du könntest mit Sicherheit Soziologie oder einfach Pädagogik Kurse im Fernstudium belegen und dir dann später bei deinem eigentlichen Studiengang anrechnen lassen." Mm, das hörte sich nicht verkehrt an. Ich wollte und musste diesen Studiengang unbedingt schaffen. Mein Blick ging wieder zu Papa, der bis jetzt noch nicht einen Ton gesagt hatte. War das gut oder schlecht? Wie aus dem Nichts schlug er plötzlich mit der Hand auf den Wohnzimmertisch.

Schuss und Treffer im Auswärtsspiel - Teil 9  ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt