Kapitel 77

377 56 20
                                    


Ich saß über meinen Studienunterlagen, als es klingelte. Das musste Will sein. Glücklicherweise hatte ich ihn doch noch überzeugen können, bei mir in der Wohnung zu übernachten. Das war gar nicht so schwer gewesen. Ja, meine beiden Brüder hatten ihm wohl ziemlich eindrücklich beschrieben, wie gut sie mit einem Skalpell auf Grund ihres Studiums umgehen konnten. Und Phil hatte wohl im weiteren Gespräch dargelegt, dass sein Spezialgebiet Kastration bei Tieren sei, er sich aber auch sehr gut vorstellen könnte mit Max Unterstützung diese mal versuchsweise bei Menschen durchzuführen, wenn er mich nicht glücklich machte. Tja, und das war dann mein Aufhänger gewesen, denn wenn er nicht mitgekommen wäre, hätte ich ja unweigerlich meine Brüder anrufen müssen, weil ich unglücklich war. Das nannte man dann wohl Zwickmühle. Obwohl nicht wirklich, denn in den letzten paar Tagen hatte ich ihm durchaus bewiesen, dass meine Behandlung seiner Genitalien etwas Angenehmes an sich hatte. Und naja er hatte mir das auch bewiesen. Irgendwie war es komisch. Ich war ja fast fünf Jahre mit Luca zusammen. Okay, er war der einzige Mann, mit dem ich geschlafen hatte. Und ich fand es wirklich immer toll. Aber mit Will war es irgendwie total anders. Viel gefühlvoller. So auf einer ganz anderen Ebene. Ich musste grinsen. Ja, seit ein paar Tagen schwebte ich wie auf einer Hormon- und Gefühlswolke. Ich konnte irgendwie überhaupt nicht genug von Will bekommen. Der Sex mit Luca war wirklich auch nicht schlecht. Aber gegen Will war er irgendwie wie ein ...... keine Ahnung.....wie halt jemand, der sich immer genau an die Regeln hielt. Ja, wie ein Buchhalter, der seine Checkliste hatte und alles im Geiste abhakte, während daneben eine Stoppuhr lief, weil Sex genau zehn Minuten zu dauern hatte. Wie gesagt, ich war damit nicht unzufrieden, aber ich kannte es ja auch nicht anders. Ich dachte, das musste so sein. Jetzt wusste ich es besser. Mit Will war das ganz anders. Nee, jedesmal war sogar ganz anders und Zeit spielte für ihn keine Rolle, sondern nur Gefühle....
Es klingelte schon wieder, aber diesmal an der Wohnungstür. Ich riss sie schwungvoll auf und schaute in das strahlende Gesicht meines Freundes. In der Hand hielt er eine langstielige rote Rose. Ich schaute ihn verwundert an, als er sie mir überreichte. „Wir sind heute seit einer Woche zusammen", zwinkerte er mir zu. Dann war ich wohl nicht die einzige, die daran gedacht hatte. Ja, ich hatte mir auch eine Überraschung überlegt. Aber die konnte warten. Ich musste mich erst einmal angemessen bei ihm bedanken.....
Die Rose stand mitten auf dem Tisch in einem Weizenglas. Ja, das war hier doch irgendwie ein echter Männerhaushalt. Ich musste dringend einmal in dieses blaugelbe Möbelhaus fahren und für meinen Bruder ein Vasensortiment kaufen. Ein paar Duftkerzen könnten auch einmal ihren Weg in diesen Haushalt finden. Zum Glück hatte ich wenigstens eine nicht duftende in einem Schubfach im Flur gefunden. Wahrscheinlich war das Phils Notkerze für einen Stromausfall. Auch sie stand auf dem Tisch, den ich mit Servietten und Tischdecke eingedeckt hatte. Wenigstens war die Tischdecke nicht auch noch versteckt gewesen. Ich hörte die Badtür klappen. Dann war Will mit dem Duschen fertig. Ein paar Minuten später breitete sich hinter mir der Duft nach seinem Duschgel und Rasierwasser aus. Man, wie ich das liebte. Aber noch mehr liebte ich die Arme, die sich um meine Taille schlangen und die Küsse, die in meinem Nacken verteilt wurden. Sofort breitete sich wieder eine dicke Gänsehaut über meinen Körper aus.  „Wow, das sind ja Königsberger Klopse und sogar mit Kapern. Das ist mein Lieblingsessen." Ja, um das zu erfahren, hatte ich heute extra bei Tanja in der Klinik angerufen. Sie hatte mir das natürlich sofort verraten, genau wie das Rezept dafür. Ihr war selbst am Telefon anzumerken, wie mächtig sie sich freute, dass ich Willi damit überraschen wollte. Sie hatte mir ein paarmal gesagt, wie glücklich sie war, dass Willi endlich seine Maja gefunden hatte. Irgendwie war sie schon komisch. Meinen Namen sprach sie immer so mit diesem besonderen Klang aus, als hätte er eine besondere Magie. Egal, wie komisch sie war. Ich mochte sie auf Anhieb und scheinbar beruhte das auf Gegenseitigkeit. „Meine Oma hat die früher immer für mich gemacht, als ich klein war. Und dann später meine Mom." Er schaute mich begeistert an. „Komm lass uns essen." Er griff sich die Teller und stellte sie auf den Tisch. Während ich noch mein Besteck griff, schob Will sich schon den ersten Bissen in den Mund. Hoffentlich schmeckte es ihm auch. Ich war mir nicht so sicher, ob sie wirklich gelungen waren, denn ich hatte keine Ahnung, wie sie schmecken mussten. In unserer Familie standen sie nämlich nie auf dem Speiseplan. „Mmm, die sind voll lecker. Die schmecken besser als die von meiner Oma und Mutter zusammen", schmatzte Will begeistert. Ich schob mir auch meine erste Gabel in den Mund. Okay, sie waren durchaus genießbar. Erleichtert atmete ich auf und schob mir die nächste Gabel in den Mund.  „Bist du denn mit dem Lernen vorangekommen?" Das war eine gute Frage. Generell gesehen ja, wenn da meine Gedanken nicht ständig zu einem gewissen Kerl abgeschwenkt wären. „Geht so", war also meine ehrliche Antwort. Ja, das hatte ich aus der Beziehung mit Luca gelernt. Es brachte nichts dem anderen etwas vorzumachen, was gar nicht stimmte. „Na dann lernen wir gleich nach dem Essen zusammen weiter." Und das war der Unterschied zu Luca. Will setzte sich zusammen mit mir hin
und machte nicht nur Druck und hatte Erwartungen. „Erst gibt es aber noch Nachtisch", grinste ich und stand auf. Will zog mich auf seinen Schoß und küsste mich liebevoll. „So, Nachtisch erledigt, dann können wir lernen." Ich schüttelte den Kopf und lief zum Kühlschrank. „Das.... Das ist ja Karamellpudding." Will starrte überrascht auf die Glasschale, die ich vor ihm abgestellt hatte. Er tauchte sofort seinen Löffel in die süße Masse und ließ ihn in seinem Mund verschwinden. „Das ist ein Traum", stöhnte er und schaute mich an. „Falsch, du bist ein Traum." Musste eine Frau mehr hören? Nein, musste sie nicht, besonders wenn sie wusste, dass der Mann es auch so meinte, auch wenn nicht sein Lieblingsessen auf dem Tisch stand. „Ich würde sagen, das machen wir jetzt jeden Freitag so", schlug ich vor. Will grinste begeistert. „Ja, ich bringe jeden Freitag eine Rose mit nach Hause...." „Und dann koche ich dein Lieblingsessen und das für die nächsten hundert Jahre mindestens", unterbrach ich ihn enthusiastisch. Er schüttelte den Kopf. „Nee, wir kochen zusammen. Es geht ja nicht, dass du immer nur die ganze Arbeit hast. Und wir wechseln ab, eine Woche Königsberger Klopse mir Karamellpudding und in der nächsten Woche Curryreis mit Schokopudding und Nüssen." Wow, er hatte sich sogar mein Lieblingsessen gemerkt. Das klang aber wirklich nach einem Superplan. „Und das nicht nur für die nächsten hundert Jahre, denn das mit uns hält bis in alle Ewigkeit", setzte er schmunzelnd nach. „Amen", rutschte es mir heraus und wir fingen an zu lachen. Ja, ich war so mega glücklich wie noch nie. Und aus dem Freitag wurde ab sofort mein Freutag.

Schuss und Treffer im Auswärtsspiel - Teil 9  ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt