Kapitel 139

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Ich beeilte mich hinter Will hinterher zu kommen. Aber so wütend wie er losmarschiert war, war er wahrscheinlich schon sonst wo. Wieso war er überhaupt so wütend? War er auf mich wütend, weil wir Mädels uns den Stalker alleine geschnappt hatten? Oder glaubte er Tom nicht, dass er sein Bruder war? Das ganze befreite Gefühl von vorhin war schlagartig wieder verschwunden und ich spürte wie mein Magen sich grummelnd zusammenzog. Am Strandzugang blieb ich kurz stehen, um mir einen Überblick zu verschaffen. Auf den ersten Blick konnte ich Will nirgends entdecken. Aber er war doch bestimmt nicht die Straße in Richtung Ort gelaufen. Das machte doch eigentlich gar keinen Sinn. Da gab es nur Restaurants und ein paar kleine Strandbasare, wo man Luftmatratzen und Schwimmtiere kaufen konnte. Ich spürte ein leichtes Stupsen an meinem Bein. „Susi, was machst du denn hier?" Schnell bückte ich mich und hob unser Baby auf meinen Arm. Sofort bekam ich einen feuchten Hundekuss. „Was meinst du, wo unser Papa hin verschwunden ist?" Ich folgte dem Blick des kleinen Hundemädchens. Und Tatsache dort ganz hinten am Ende der Bucht entdeckte ich Will, der im Sand saß und auf das Meer starrte. „Na komm, meine Süße! Nachher schauen wir mal, wie du es geschafft hast aus der Finca auszubüxen, aber erst einmal kümmern wir uns um den Papa." Mit der Kleinen auf dem Arm machte ich mich auf den Weg zu meinem Muffeltier. Ich ließ mich einfach neben ihm in den Sand gleiten und legte meinen Arm um seine Taille, während ich meinen Kopf an seine Schulter kuschelte. Da er sich mir nicht entzog, war er wohl nicht sauer auf mich. Das war schon einmal gut. Vielleicht war es ganz gut, wenn wir einfach erst einmal so sitzen blieben und ich schwieg. Er würde sicher schon ganz von alleine mit der Sprache herausrücken. Vor uns schlugen sanft die Wellen an den Strand und in einiger Entfernung plantschten ein paar Kinder im Wasser herum. Susi hatte sich vor uns in den Sand gelegt und beobachtete uns. „Was will Tom von mir?", platzte es auf einmal aus Will heraus. „Warum behauptet er mein Bruder zu sein?" Weiterhin war sein Blick starr auf das Meer gerichtet. „Na ja, so wie es aussieht behauptet er nicht nur, dass er dein Bruder ist, sondern ist es wirklich." Will schüttelte sauer seinen Kopf. „Will er mir zeigen wie toll er es zusammen mit unserem Vater hat und wie toll die Familie ist, die mir und Chris vorenthalten wurde?" Ich schaute Will an und sah in seinen Augen nicht nur Wut, sondern auch die jahrelange Enttäuschung eines kleinen Jungens, der gerne die Aufmerksamkeit und Liebe seines Vaters gehabt hätte, stattdessen aber mit den Sorgen um seine Mutter viel zu schnell erwachsen werden musste. Mein Herz zog sich zusammen. Auch wenn ich wusste, wie Wills bisheriges Leben verlaufen war, tat es mir jedesmal auf's neue weh. So etwas sollte einfach kein Kind mitmachen müssen. Und kein Kind sollte auf so viel verzichten müssen, weil Erwachsene keine Lust hatten, Verantwortung zu tragen. Sollte mir jemals dieser Vater über den Weg laufen, würde ich ihm meine Meinung aber mal so richtig geigen. So wie es aussah, standen dafür aber die Chancen ziemlich schlecht. „Weißt du, was dann vielleicht wieder mit Tanja abgeht, wenn sie etwas von William hört? Wahrscheinlich bekommt sie gleich wieder einen Rückfall und macht sich irgendwelche irrwitzigen Hoffnungen. Dabei interessiert sich der Penner nicht im Geringsten für sie oder für mich." Wills Angst war greifbar zu spüren und der letzte Satz klang sehr verbittert. „Sie ist doch gerade das erste Mal auf einem echt guten Weg. Ich will nicht, dass das alles wieder den Bach runtergeht. Ich habe einfach beschissene Angst um sie." Ich sah jetzt Tränen in seinen Augen glitzern und strich ihm sanft über den Rücken. „So wie ich es verstanden habe, ist Tom auch ohne Vater nur mit seiner Mutter aufgewachsen. Euer Vater ist wohl mit seiner neuen Familie in Südamerika." „Was?!" Will drehte seinen Kopf zu mir und schaute mich schockiert an. „Jedenfalls hat Tom uns das so erzählt." „Dieser elende Wichser. Wie viele Frauen reißt er noch ins Unglück und wie viel Kinder setzt er noch in die Welt, um die er sich nicht kümmert!" Wills Augen funkelten jetzt förmlich vor Wut, als er sich die Tränen wegwischte, die ihm eben noch aus Angst um seine Mutter über die Wangen gekullert waren. „Egal", er machte eine wegwerfende Handbewegung. „Irgendwann wird das Arschloch seine Quittung dafür bekommen. Aber was will Tom hier? Warum hat er dich verfolgt und dir Angst eingejagt?" Wills Blick wechselte sofort von wütend auf besorgt. Ja, so kannte ich mein Muffeltier. Ich schmiegte mich noch etwas enger an ihn. „Er dachte ich wäre seine Schwester und wollte auf mich aufpassen." Will schüttelte seinen Kopf und verzog sein Gesicht. „Wie kam er denn darauf?" „Seine Mom hat ihm einen Zettel mit dem Namen Wolter und unserer Adresse in die Hand gedrückt und gesagt er soll seine Familie suchen. Und dass sein Bruder oder seine Schwester nach einer Zeichentrickbiene benannt ist. Mehr wusste sie wohl nicht von dir." „Okay, das erklärt Maja anstatt Willi, aber warum schickt sie ihn aus England hierher? Wie alt ist er? Zwanzig? Warum jetzt?" Ich sah Verständnislosigkeit in Wills Gesicht. „Wenn sie einen mit uns auf Familie hätte machen wollen, dann hätte sie sich doch schon viel früher dem Wir-wurden-von William-in-den-Arsch-getreten-Club anschließen können. Sie hätte genau wie Tanja zusammen mit Chris Mutter dem Scheißkerl hinterher heulen und ihren Sohn mit uns zusammen aufwachsen lassen können. Aber nee, vorher hatte sie ja noch William, diesen Bastard. Da war ja noch alles rosarot. Jetzt wo er sie auch abserviert hat, da fällt ihr auf einmal ein, da gibt es ja noch andere Leidensgenossen. Jetzt, wo er ihr auch so richtig in den Arsch getreten und sie durch eine neue ersetzt hat, sind wir auf einmal gut genug und interessant. Sie war es doch garantiert, die damals als Tanja mit mir in England war, dafür gesorgt hat, dass er uns nicht einmal sehen wollte. Kannst du dir das vorstellen? Er hat abgelehnt seinen eigenen siebenjährigen Sohn zu sehen." Wieder brach sich die tiefe Enttäuschung Bahn und in Wills wütenden Augen, schimmerte es verdächtig. „Das weiß ich nicht, ob sie dafür verantwortlich ist. Ich weiß nur, dass sie im Februar an Krebs gestorben ist und dass Tom deshalb jetzt seine Familie suchen sollte."

Schuss und Treffer im Auswärtsspiel - Teil 9  ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt