Kapitel 10

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Ziemlich geschlaucht saß ich neben Luca auf dem Beifahrersitz und gähnte möglichst unauffällig. Ich hatte vorhin gerade einmal eine halbe Stunde Zeit, um zu duschen und mich umzuziehen, denn meine Ablösung bei den Stadiontouren war krank geworden und ich hatte für sie übernehmen müssen. Das hieß dann heute vier anstatt zwei Touren. An sich war das nicht schlimm, denn es machte mir mittlerweile echt Spaß mit den Leuten zu interagieren und jede Tour war anders. Klar hatte ich schon einen Standardtext, den ich vortrug, aber es kamen doch jedesmal andere Fragen und auch andere Reaktionen. Heute hatte es mich aber schon ganz schön in die Bredouille gebracht, länger zu machen, weil ich mit Luca verabredet war. Manno, eigentlich hatte ich mich so darauf gefreut Zeit mit ihm zu verbringen, jetzt war ich aber nur müde und mir taten die Füße weh. Das war doch echt blöd. „Na, Biene. Bist du k.o. vom Lernen?" Er legte seine Hand auf meine und strich sanft mit seinem Daumen über meinen Handrücken. Ich nickte schnell - was sollte ich denn sonst machen - und genoß trotz meines schlechten Gewissens seine Berührung. Wir sahen uns seit wir studierten einfach viel zu selten. „Und läuft es gut? Oder hast du irgendwo Probleme?" Ich schüttelte den Kopf. Keine Lüge! Er hatte nicht explizit nach dem Studium gefragt. Und bei den Stadiontouren hatte ich keine Probleme, also definitiv keine Lüge. „Das ist schön, dann haben wir es ja bald geschafft und sind durch." Zufrieden schaute er auf den Verkehr vor uns. Der Begriff bald hatte ja für jeden scheinbar eine andere Bedeutung. Denn selbst bei positivem Verlauf, würde das Studium noch mindestens zwei Jahre bis zum Bachelor dauern und zum Master noch mindestens zwei länger. Das nannte ich nicht bald, sondern unendlich. Besonders, wenn ich darauf warten musste dann endlich mit ihm zusammen zu ziehen. „Da, da ist ein Parkplatz." Ich deutete mit meinem Finger auf die Parklücke und Luca trat sofort auf die Bremse, um einzuparken. Ein lautes Hupen ertönte hinter uns. „Deine Schwester soll sich mal nicht so haben und sich einen anderen suchen. Mit ihrer kleinen Quetsche ist das ja nicht so schwer." Oh oh, das sollte er mal nicht Tessa hören lassen. Emma und kleine Quetsche, das war so etwas wie Blasphemie. „Wir sehen dann mal zu, dass das hier nicht so lange dauert." Luca zwinkerte mir zu. „Und dann kann ich dich nachher noch ein bisschen zur Entspannung verwöhnen. Mein Proseminar ist glücklicherweise nicht so anstrengend wie deine Prüfungsvorbereitung." Sofort brandete in mir wieder das schlechte Gewissen auf. Luca beugte sich zu mir und küsste mich zärtlich. Das schlechte Gewissen war schlagartig verschwunden und ich genoss seinen Kuss. Man, wie hatte ich das in letzter Zeit vermisst. Wir brauchten dringend wieder mehr gemeinsame Zeit. Nachdem wir uns voneinander gelöst hatten, ging mein sehnsuchtsvoller Blick zu der leerstehenden Wohnung im Haus von Leo und Max. Ja, so eine eigene Wohnung würde genau für diese gemeinsame Zeit sorgen. Auch neben des Studiums...... naja oder der Ausbildung. Wenn ich dann erst einmal eine hatte. Mit dem Gehalt könnte ich sie bestimmt finanzieren. Vielleicht würde Luca dann ja auch einsehen, dass so eine Ausbildung für mich viel besser als das Studium war. „Hallo, ihr Knutschbacken." Tessa umarmte mich übermütig und Leo schlug mit Luca ein. „Na dann lasst uns mal zu den beiden hochgehen und flott was planen."  Ja, wir trafen uns bei Leo und Max, um für Lucys Hochzeit uns etwas einfallen zu lassen. „Wir wollen ja alle pünktlich nach Hause. Schließlich schlafen die Windelpupse heute bei Papa und Mama. Zwei sturmfreie Abende in einem Monat, das ist purer Luxus. Das müssen wir nutzen. Nicht wahr, Erpel?" Leo nickte nur schmunzelnd. „Ach ja, die Fritteuse, die den BVB Walzer spielt ist echt der Hammer. Bei uns gibt es im Moment nur noch Pommes", grinste mich meine Schwester breit an. Gut, dann hatte ich ja genau das richtige Hochzeitstagsgeschenk gefunden. Gemeinsam liefen wir Richtung Haustür. „Schaut mal, da ist ja eine Wohnung frei." Tessa deutete in Richtung der leeren Fenster und mit dem Finger auf das freie Klingelschild. Wie gut, dass ich ihr gar nicht davon erzählt hatte. Ironie off. Bestimmt wäre sie ihr sonst nicht einmal aufgefallen. „Die wäre doch etwas für euch. Also wenn ich dann auch meinen Lieblingsbabysitter im Nachbarhaus verlieren würde." Luca neben mir brummte nur undefinierbar. War ja klar! Ich lächelte meine Schwester trotzdem dankbar an und bekam ein Zwinkern zurück. Dieses Zwinkern kannte ich. Das hatte sie früher auch immer bei Papa drauf. Und es bedeutet, dass sie noch lange nicht fertig war. Der Summer ertönte und wir vier marschierten die Treppen hinauf. An der Tür empfing uns Leokardia. „Kommt mit auf den Balkon. Max hat schon den Grill angeworfen und ich habe ein paar Salate zusammengerührt." „Wuhu, das ist genial. Essen regt meine Denkprozesse immer ungemein an", lachte Tessa.  „Dann würdest du ja ständig nur denken." Nanu, wo kam denn Phil her? „Was machst du denn hier?" schoss es mir heraus. Er zuckte mit den Schultern „Ich freue mich auch dich zu sehen, Schwesterchen. Wenn meine beste Freundin heiratet, muss ich doch wohl bei der Planung einer Überraschung dabei sein." Ja, stimmt, da war ja was. Ich konnte mich noch gut an den Aufstand erinnern, den Luca gemacht hatte, weil er erst dachte Phil wäre scharf auf seine Schwester. Aber seit sie mit Andi zusammen war, hatte er wohl endlich begriffen, dass die beiden wirklich nur beste Freunde waren. Na ja, bei dem Ruf, den mein Bruder hatte, war es auch wirklich kein Wunder, dass Luca so reagiert hatte. Er war halt ein besorgter großer Bruder. Genau wie Max, der mich zur Begrüßung in seine Arme zog. „Und geht es dir gut? Du siehst ziemlich müde aus. Du musst darauf achten, dass du genug Schlaf bekommst. Man kann nicht immer nur lernen. Wie viele Prüfungen hast du denn noch vor dir? Vielleicht solltest du etwas Vitamin B nehmen." Da kam gleich wieder der Mediziner durch. „Mir geht es übrigens prima. Danke deiner besorgten Nachfrage", mischte sich Tessa ein und umarmte ihn auch. „Aber ich habe Hunger. Was hast du denn da schon auf dem Grill fertig?" Sie streckte neugierig den Hals und zwinkerte mir zu. Dankbar für den Themenwechsel zwinkerte ich zurück. Ja, das Thema Studium konnte ich überhaupt nicht gebrauchen. Wieder einmal war ich dankbar dafür eine Zwillingsschwester an meiner Seite zu haben.

Schuss und Treffer im Auswärtsspiel - Teil 9  ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt