Kapitel 119

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Die Ampel sprang auf rot. Ich bremste und schaute zu beunruhigt zu Will, der mit vor der Brust verschränkten Armen auf dem Beifahrersitz saß und aus der Seitenscheibe starrte. Seit wir die Praxis von Felix verlassen hatten, hatte er noch nicht ein Wort gesagt. Das war......das war echt Mist. So kannte ich ihn überhaupt nicht. Was sollte ich den jetzt machen? Vielleicht erst einmal mit ihm reden. Aber das musste warten bis wir zu Hause waren. Die Ampel sprang wieder auf grün. Ich schaute auf das Navi. Das waren noch dreißig Minuten. Nee, so lange hielt ich das Schweigen nicht mehr aus. Ich hatte schon einmal zu lange geschwiegen. Und an das Ergebnis konnte ich mich sehr gut erinnern. Nee, das wollte ich auf keinen Fall noch einmal. Und schon gar nicht mit Will. Kurzentschlossen setzte ich den Blinker und parkte in der nächsten Parklücke ein. Nach dem ich den Motor abgestellt hatte, drehte ich mich zu Will, der immer noch mit verschränkten Armen da saß und aus dem Fenster starrte. Ich stupste ihn am Arm an. „Was ist los? Bitte rede mit mir." Will drehte sich schlagartig zu mir um und schaute mich mit einem Blick an, der mir durch und durch ging. „Du fragst mich, was los ist?", schnaubte er wütend. „Das sollte ich vielleicht lieber dich fragen. Weißt du, wie ich mich gefühlt habe, als dein Onkel mich rund gemacht hat? Ganz abgesehen davon, dass ich nicht einmal gewusst hätte, dass er uns heute erwartet, wenn mir Phil das nicht am Samstag im Club durch Zufall erzählt hätte." Okay, ich hatte Will nichts von meinem Arzttermin gesagt, weil ich der Meinung war, dass Onkel Felix da ein wenig übertrieb nur wegen eines blöden Attests für die Uni. Aber Phil hatte ja sein Plappermaul nicht halten können. „Du hast mir nicht einmal erzählt, dass du in der Uni fast zusammengebrochen bist." Wills enttäuschter Blick traf mich mitten ins Herz „Zusammengebrochen ist ja auch ein bisschen übertrieben. Ich hatte nur etwas Panik vor der Prüfung und davor, dass ich wieder versage", versuchte ich die ganze Situation abzumildern. „Übertrieben?!" Will schüttelte seinen Kopf. „Hast du deinem Onkel eben nicht richtig zugehört? Das war eine Panikattacke. Und von deinen Werten und deinem körperlichen Zustand stehst du kurz vor einem Zusammenbruch." Felix hatte da echt mächtig übertrieben. Er hatte sogar das Wort Burnout in den Mund genommen. „Das ist doch Quatsch. Ich hatte in der letzten Zeit nur etwas zu viel Streß. Wenn ich das reduziere, wird es keine Probleme mehr geben", versuchte ich ihn zu beruhigen. Wieder schüttelte Will seinen Kopf und schaute mich mit wütenden Augen an. „Weißt du, wie oft ich diese beschissene Ausrede schon bei Tanja gehört habe?" Viel zu oft, beantwortete ich diese Frage lautlos und bekam ein unglaublich schlechtes Gewissen. Wie konnte ich Will nur in diese blöde Situation bringen? Und warum konnten Phil und Felix nicht einfach ihre Klappe halten. Verflucht, ich hätte einfach ein paar Ruhetage eingelegt, ohne dass er etwas mitbekommen hätte und dann wäre alles wieder im grünen Bereich. Aber nee, die beiden mussten ihn ja da mit reinziehen und ihn beunruhigen. „Ich verspreche dir, dass ich mich ein paar Tage ausruhe und dann bin ich wieder komplett fit." Will verzog sein Gesicht. „Das hat mir Tanja auch immer versprochen. Willi, ich esse ein paar Tage richtig und dann habe ich ganz schnell wieder zugenommen", äffte er seine Mutter nach. „Und was kommt dann nach den paar Tagen? Dann geht alles von vorne los." Er winkte mit seiner Hand ab und lehnte seinen Kopf gegen die Seitenscheibe. Dieser enttäuschte und verzweifelte Anblick traf mich wie ein Schlag. Verflucht, was hatte ich ihm da zugemutet. „Ich habe doch mitbekommen, dass du manche Nacht kaum geschlafen hast. Und ich habe doch auch gemerkt, dass du abgenommen hast. Wieso habe ich dich nicht einfach ausgebremst?" Wütend schlug er mit seiner flachen Hand auf das Armaturenbrett. Nee, er sollte sich doch jetzt nicht auch noch Vorwürfe machen. Es war doch nicht seine Schuld, dass ich nicht so stressresistent war. Will drehte seinen Kopf zu mir. Seine Augen glitzerten feucht. „Mensch Snugglebee, ich habe ganz beschissen Angst um dich." In meinem Hals bildete sich ein dicker Kloß bei seinem Anblick. Er machte sich wirklich riesige Sorgen um mich, das war ihm mehr als deutlich anzusehen. Wie würde ich mich wohl an seiner Stelle fühlen? Es würde mich auch total fertig machen. Schon alleine der Gedanke, dass es ihm überhaupt irgendwie schlecht ging, ließ mich schlucken. Und ich hatte noch nicht einmal die Vorgeschichte mit seiner Mutter. Was konnte ich machen, um ihm seine Sorge zu nehmen? Spontan beugte ich mich zu ihm und schlang meine Arme um seinen Hals und drückte mich an ihn. Er drückte sein Gesicht in meine Haare und hauchte mir einen Kuss auf meinen Scheitel. „Ich verspreche dir, dass ich jetzt erst einmal ein paar Tage relaxe, um mich zu erholen", nuschelte ich an seine Brust. „Und danach versuche ich ein besseres Zeitmanagement." Er nickte leicht. „Und ich passe auf, dass du auch vernünftig isst und genug schläfst." Er platzierte seine Hände an meinen Wangen und bewegte meinen Kopf so, dass er mir in die Augen schauen konnte. „Und falls es dir jemals wieder schlecht geht, rufst du mich sofort an. Dann lasse ich alles stehen und liegen. Ist das klar!" Ich nickte. „Snugglebee, du bist das Wichtigste für mich auf der Welt, vergiss das nie." Ich musste schlucken. Mein Muffeltier hatte mich mit diesem Satz total überrascht. Er war zwar total liebevoll, aber er war nicht wirklich der, der seine Gefühle auf der Zunge trug. Nein, das war eine Seltenheit. Umso mehr bedeuteten sie aber auch. Mir wurde spontan etwas klar. Ja, er war auch das Wichtigste für mich auf der Welt. Umso mehr ärgerte ich mich, dass ich ihm solche Sorgen bereitet hatte. „Und das mit der  Uni bekommen wir auch zusammen hin", zwinkerte er mir zu. „Ich rede erst einmal mit Franky, dass du etwas kürzer trittst." Wie, er redete mit Franky? Aber es stand doch der Auftritt im Radiosender am Ende der Woche an. Da konnte ich doch nicht absagen. Was würden denn die Jungs von der Band dazu sagen. Die zählten doch auch auf mich.

Schuss und Treffer im Auswärtsspiel - Teil 9  ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt