Kapitel 22

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„Da seid...da seid...", hechelte Leon „ihr...ihr ja.. ja endlich", hechelte auch Papa. Der Schweiß lief ihm nur so über das Gesicht. „Los, weiterlaufen. Nur keine Pause machen. Das ist tödlich", kam es wieder von Lucy und ich marschierte mit ihr einfach weiter. „Nun wartet doch mal", krähte uns Leon hinterher. Lucy stoppte aber nicht ab und lief weiter. „Ja, ihr braucht doch bestimmt mal eine Pause. Nicht dass ihr euch überanstrengt", rief uns auch Papa hinterher. „Die einzigen, die eine Pause brauchen, sind unsere beiden Sportsmänner", grinste Lucy mir zu und ich musste auch schmunzeln, denn ich hörte hinter uns wieder schwere Schritte und ein gleichmässiges Schnaufen.  „Was ist das denn für ein Mist. Konntet ihr euch nichts aussuchen, wo man mit dem Auto hinkommt?", meckerte Leon hinter uns. „Wir hätten sowieso nur bis zum Parkplatz fahren können", schmunzelte Lucy. „Wieso ich habe eine Geländewagen gemietet. Der hätte das schon den Berg rauf geschafft." Lucy fing an zu lachen „Das schon, aber nicht ohne Forstschlüssel für die Schranken." Dafür erntete sie ein zweistimmiges Brummen. „Brautentführung ist sowieso so ein blöder alter verstaubter Mist", moserte auch Papa herum. Schnaufend liefen sie aber weiter. „Wie weit ist es denn noch?" Lucy stöhnte auf. „Wenn noch einer von euch beiden diese Frage noch einmal stellt, dann jage ich ihn den Berg wieder runter und wieder rauf", knurrte sie genervt. Seit geraumer Zeit hatten nämlich unsere Väter nicht mehr rumgemault, sondern auf quängelnde Kleinkinder umgeschaltet. Alle paar Minuten nervte einer von den beiden und fragte, wie lange es noch dauerte. „Wenn wir wegen euch nicht ständig Pausen machen müssten, wären wir schon dreimal da", setzte sie noch nach. „Das stimmt überhaupt nicht", protestierte Leon. „Genau, wir sind gut trainierte Sportler und machen nur Pausen, damit ihr beiden euch nicht überanstrengt." Papas Blick war total empört, während er sich wieder den Schweiß von der Stirn wischte und schnaufte. „ Ja, klar. So wird's sein. Aber wir müssen nur noch einmal ums Eck und dann sind wir auch schon da." „Echt?!" Beide schauten sie mit großen Augen an. Lucy nickte. „Na, worauf warten wir dann." Wieder stürzten die beiden los. „Also da in der Trinkhalle zieh ich erst einmal ein Bier", grunzte Papa. „Alm", verbesserte Lucy. „Wie, da gibt es doch nicht etwa nur Milch." Papa schaute sie erschüttert an. „Nee, Alter. Das ist hier nur ein anderes Wort für Trinkhalle", klärte ihn Leon auf. Erleichterung machte sich im Gesicht meines Vaters breit. „Egal. Ich habe einfach nur tierischen Durst." Ja, den hatte ich auch. Plötzlich wandte er sich an mich. „Aber damit eins klar ist, wenn du heiratest, dann feiern wir in Dortmund und Umgebung. Da gibt es wenigstens eine bessere Infrastruktur und wir müssen nicht durch den Wald eiern.Oder wenigstens an der Nordsee, wo es nur ein paar mickrige Dünen und den Deich gibt und sonst alles platt ist." Ich nickte nur. Das war ja leider sowieso noch eine Weile hin. Und wenn Luca  dann hier heiraten wollte, hatte Papa seine Abneigung gegen die Berge bis dahin bestimmt schon wieder vergessen. Ich hatte echt keine Ahnung wie lange wir hier schon bei Sonnenschein und sogenanntem Kaiserwetter durch die Natur den Berg hoch liefen. So langsam hatte ich aber auch genug. Ich drehte mich einmal kurz um, um zu schauen, ob uns Luca mit dem Bräutigam und den Trauzeugen schon einholte. Nee, es war weit und breit noch nichts von ihnen zu sehen. Dann waren wir ja vielleicht doch gar nicht so langsam, wie ich dachte. „So, da sind wir." Lucy deutete auf eine schmalen Durchgang neben einem Schild. Papa und Leon drängten sofort an ihr vorbei. Und ließen sich auf der Terrasse auf die nächste Bank plumpsen. Die beiden waren knallrot im Gesicht und scheinbar hatten sie ihre körperliche Grenze erreicht. Ich ging zu dem Geländer und stellte mich neben Lucy. Wir schauten beide ins Tal hinunter. Das war wirklich ein sehr schöner Ausblick. Mein Blick wanderte weiter und ich sah das Fernrohr am Karwendel in dem heute die Hochzeit stattgefunden hatte. Und diese winzig kleine Schachtel von Bergbahn, die dort gerade wieder unterwegs war. Sofort überkam mich wieder ein Gefühl des Unwohlseins. Nee, also mit so einem Ding musste ich wirklich nicht noch einmal fahren.  „Schau nur, wie die Isar in der Sonne türkis glitzert. Fast wie Andis Augen, wenn er mich anschaut." Lucy deutete mit ihrer Hand auf den glitzernden Fluss weit unter uns. Ich musste schmunzeln. Ja, genau so romantisch verstrahlt sollte eine Braut sein. So wie Lucy vor sich hinstrahlte, war das wohl wirklich der glücklichste Tag in ihrem Leben - so sagte man das doch immer. Irgendwann würde ich garantiert auch so eine strahlende Braut. In mir breitete sich schlagartig ein gewisse Sehnsucht nach Luca aus. Wenn er mit dem Bräutigam hier ankam, würde ich ihn erst einmal auch umarmen und küssen, so wie Lucy das garantiert auch mit Andi machen würde. Hoffentlich waren die Männer bald hier.  „Da seid ihr ja endlich. Wir haben uns totale Sorgen gemacht." Wo kam denn Luca her? Und wieso war er so vorwurfsvoll? „Was macht ihr denn schon hier?" Lucy schaute ihren Bruder schockiert an. „Was heißt schon?" Luca schüttelte verständnislos seinen Kopf. „Sohn lass Bier ranschaffen. Mein Kumpel und ich verdursten gleich. Und in so einem richtig schönen großen Glas", machte Leon am Tisch hinter uns auf sich aufmerksam.  „Da seid ihr ja." Andi gesellte sich zu uns und zog Lucy an sich und küsste sie liebevoll. Ich schaute zu Luca, der keinerlei Anstalten machte sich mir ebenso liebevoll zu nähern. Dann halt nicht. Enttäuscht setzte ich mich zusammen mit dem Brautpaar an den Tisch von Papa und Leon. Nur Luca blieb wie ein kleiner Racheengel daneben stehen, während Andi der Bedienung ein Handzeichen gab und sie kühle Getränke vor uns abstellte. Ich griff sofort nach dem Glas Cola und trank es in einem Zug aus. Ehe wir uns versahen, stellte die Bedienung auch noch Teller mit Kartoffelsalat und Leberkas ab. „Den magst du doch so", zwinkerte Andi seiner Braut liebevoll zu. Ja, so sollte das sein. Ich schaute zu Luca, der mich anfunkelte. Wieso? Was hatte ich denn verbrochen?

Schuss und Treffer im Auswärtsspiel - Teil 9  ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt