Kapitel 57

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„Hallo, tut mir echt leid, dass ich nicht zu unserem Treffen kommen konnte. Und danke für den leckeren Tee. Den müssen wir auch noch einmal zusammen trinken." Chris umarmte mich kaum, dass ich den Club betreten hatte und mein Herzschlag verdoppelte sich, während es in meinem Magen kribbelte. „Ich mache das auch wieder gut." Ja, daran würde ich ihn sogar gerne erinnern. Obwohl ich sagen musste, dass der Abend mit Will noch ziemlich lustig und informativ geworden war. Schließlich wusste ich jetzt, dass Chris keinen Fisch mochte, im Gegensatz zu Will, der ihn gerne aß. Und ich wusste, dass die beiden früher ziemlich viel Mist zusammen ausgeheckt hatten. Wobei Chris der Kopf war und Will den Mist dann ausgeführt hatte. „Es tut mir echt leid, dass du heute einfach ohne Probe ins kalte Wasser springen musst." Wie ohne Probe und kaltes Wasser? „Na unser Lied hat doch heute Premiere." Scheinbar war mir wohl anzusehen gewesen, dass ich nicht wusste, worum es ging. „Wir nutzen einfach den Sound Check als Probe und den Rest macht schon Will." Wie, das ging doch nicht. Klar hatte ich mich entschieden die Chance mit Chris zu singen, anzunehmen. Aber das hatte ich ihm doch noch gar nicht gesagt. Marcel plante doch heute ganz sicher mit mir im Service. Das musste doch alles erst noch ordentlich geklärt werden. Außerdem wusste ich gar nicht, ob Phil heute kam und ob Tessa nicht zu müde war für einen Videocall. Nee, das ging nicht. Ich konnte doch heute nicht auftreten. Vielleicht nächste Woche, aber doch nicht heute. Ich musste doch erst einmal das Lied auswendig lernen. In meinem Kopf hörte ich mich selbst auslachen. So oft wie ich das Lied schon gehört hatte, konnte ich es selbst im Schlaf singen. Trotzdem. Das ging nicht und das würde ich jetzt auch Chris klar machen. Garantiert hatte er dafür Verständnis.  „Wie ich sehe, widersprichst du nicht. Na dann ist ja alles klar." Er umarmte mich noch einmal. „Ich gebe dann mal allen Bescheid." Ehe ich das Ganze doch noch aufklären konnte, war er auch schon verschwunden. Was sollte ich denn jetzt machen. Wenn ich doch noch kniff, dann war er von mir enttäuscht.....und das konnte ich ja überhaupt nicht brauchen. Nee, er sollte nicht enttäuscht sondern begeistert von mir sein. „Jo, Maja." Will nickte mir zu und kurz huschte ein Lächeln über sein Gesicht, ehe er wieder zum Muffeltier mutierte und grummelig hinter mich starrte. Schade, dass er nicht öfter so lustig und umgänglich war wie bei unserem Essen. „Kleine Maja, ich stehe dir wieder zu Diensten." Ich drehte mich um und umarmte Phil. Ihn schickte ja der Himmel. Ich wusste gar nicht, ob er heute Dienst in der Tierklinik hatte oder nicht. Aber dann war ja mein erstes Problem gelöst. Jetzt musste ich nur noch mit Tessa sprechen und dann stand dem Auftritt nichts mehr im Weg. „Die zieht die Casanova aber auch an wie die Mücken das Licht", hörte ich es leise hinter mir brummen. Wie bitte? Will dachte..... „Darf ich dir Phil, meinen Bruder, vorstellen? Der, bei dem ich wohne. Und das ist Will, der Bruder von Chris und der Tontechniker hier", wandte ich mich dann, nachdem ich den verwunderten Blick von Will genossen hatte, wieder an Phil. „Ähm, ja schön. Ich kümmere mich dann mal wieder um meine Arbeit, damit du nachher gut klingst." Will hob kurz seine Hand und setzte sich in Bewegung. „Meine Schwester klingt immer gut", brüllte ihm Phil hinterher. Ich stupste ihn vor die Brust. „Nee, tut sie überhaupt nicht, besonders wenn sie nervös ist." Sofort schaute mich mein Bruder besorgt an. „Du wirst schon noch lernen mit dem Lampenfieber umzugehen." Das bezweifelte ich arg, aber es hatte sowieso keinen Sinn mit ihm darüber zu diskutieren. „Ich gehe jetzt erst einmal hinter die Bar und kümmere mich um die Versorgung." Ja, hier fühlte ich mich wohl. Hinter den Zapfhähnen und am Cocktailshaker hatte ich alles im Griff. Ich stellte die ersten Gläser zu recht, denn wenn der erste Ansturm nach der Öffnung kam, hatte ich gelernt gleich genügend Gläser parat zu haben. „Was machst du denn hier?" Nessa umarmte mich kurz und schob mich dann beiseite. „Das ist jetzt mein Job." Wie ihr Job? Das war meiner. Wovon sollte ich denn sonst das Studium finanzieren? „Mensch Maja, ich habe dich schon überall gesucht." Marcel umarmte mich kurz zur Begrüßung. „Du musst noch schnell im Büro deinen neuen Vertrag unterzeichnen. Das muss ja alles seine Ordnung haben." Wie neuer Vertrag? „Ich freue mich wirklich, dass du unser neuer Musikact bist. Chris hat mich vorgestern angerufen und mir Bescheid gegeben." Chris hatte bitte was? Und was hieß hier neuer Musikact? Aber ich brauchte doch mein Einkommen und... „Da bekommst du natürlich auch mehr Geld als hinter der Bar, weil ja das Trinkgeld wegfällt. Es gibt einen Festbetrag und du wirst nicht nach Stunden bezahlt." Ich hörte nur mehr Geld. Das war eigentlich alles, was ich wissen musste. Mein Hirn kreiste ab sofort um andere Dinge und ich hörte Marcel gar nicht mehr zu, während er mir alles mögliche aus dem Vertrag erklärte. Ich würde zusammen mit Chris auftreten. Das war schon einmal gut. „Zeit für den Auftritt." Der dunkle Haarschopf von Chris tauchte grinsend in Marcels Bürotür auf und ich unterschrieb schnell den Vertrag, ohne ihn mir durchzulesen. Ich hatte nur mein Gehalt gesehen und das war alles was wichtig war. Es würde mir wirklich einen größeren finanziellen Spielraum ermöglichen. Bei Marcel brauchte ich ja keine Angst zu haben, dass er mir etwas unterschob. Dazu war er viel zu fest mit meiner Familie verbunden. „Na dann." Ich stand auf und folgte Chris zur Bühne. Wie lange hatte ich eigentlich da in Marcels Büro verbracht? Was war mit dem Soundcheck? Wir mussten doch noch proben. Wo kamen denn schon die ganzen Leute her? Mein Herz begann in meiner Brust zu sprinten und mir wurde ganz übel.  Auf der Bühne standen schon zwei Barhocker und zwei Gitarren. Mühsam erklomm ich den einen und zog die Gitarre auf meinen Oberschenkel. Wie von alleine setzten sich meine Finger in Bewegung und und legten sich auf den Bund. Das war ein gutes Gefühl. Ich schaute zu dem anderen Hocker, auf dem Chris auch Platz genommen hatte. Er lächelte mich an und zwinkerte mir zu. Ja, wenn er mit auf der Bühne war, würde nichts schief gehen. Und Phil war ja auch da. Ich suchte den Raum nach ihm ab und entdeckte ihn lässig an das Mischpult von Will gelehnt, der in seine ganzen Regler und den Monitor vertieft schien. Phil zeigte auf das Handy in seiner Hand. Das Display leuchtete. Mit viel Vorstellungskraft sah ich sogar das Gesicht von meiner anderen Hälfte. Dann konnte doch gar nichts schief gehen.....hoffentlich. Mein Gehirn fühlte sich nämlich gerade wie ein riesengroßes Vakuum an. Dieses Gefühl kannte ich von der Matheprüfung. Das war überhaupt nicht gut. Panisch schaute ich zu Chris, der die Ruhe selbst zu sein schien. „Ich bin sehr stolz euch zusammen mit Maja unser neuestes Lied vorstellen zu können." Applaus und Pfiffe brandeten auf. Bei dem Getose wurde mir gleich noch mulmiger. Was wenn ich sie alle enttäuschte? Was wenn ich Chris enttäuschte? Was, wenn ich wieder versagte?

Schuss und Treffer im Auswärtsspiel - Teil 9  ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt