Kapitel 102

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„Das ist doch nicht dein Ernst?" Ich konnte nicht glauben, was ich da sah. Kopfschüttelnd drehte ich mich in dem riesigen Wohnzimmer, in dem sogar ein Flügel stand. „Na ja, ihr braucht doch genug Platz für die Instrumente, wenn ihr komponieren wollt." „Marco, das ist ja alles schön und gut, aber wir können uns diese Wohnung von meinem Gehalt garantiert nicht leisten. Selbst, wenn wir es wollten", mischte sich Will ein. „Außerdem haben wir eine Wohnung in Berlin, wo unser Lebensmittelpunkt liegt." Das musste ja auch mal gesagt werden. „Was ich auch nicht wüsste, wenn Will mir nicht erzählt hätte, dass du bei ihm eingezogen bist. Dabei hast du mir Ostern versprochen...." Er winkte ab. „Ist ja auch egal, ihr gehört zusammen. Das habe ich ja verstanden. Trotzdem finde ich es schade, dass du mir das nicht selbst erzählt hast." Und da war wieder der Schmollmund und der enttäuschte Blick. Heute zog er wirklich alle Trümpfe, um mich weich zu kochen. Er wandte sich wieder Will zu. „Das tolle ist doch, dass ihr hier keine Miete zahlen müsst. Das ist eine Eigentumswohnung, die Maja von uns geschenkt bekommt, wie jedes unserer Kinder zum Abitur." „Mein Abi war vor zwei Jahren", knurrte ich. Ja, damals hätte ich mich über die Wohnung riesig gefreut. Aber heute? Heute hatte ich in Berlin zusammen mit Will eine. Und ich fühlte mich in Berlin sogar mehr als nur ein bisschen wohl. In Berlin hatte ich endlich begonnen mein eigenes Leben zu leben. So, wie ich es mir vorstellte. Ganz ohne Einmischung. In Berlin hatte ich einen Studienplatz an einer der besten Universitäten Deutschlands. Dort hatte ich eigentlich gleich nach dem Abitur studieren wollen. Leider hatte ich ja erst einen Umweg machen müssen, um dort anzukommen. Um bei mir selbst anzukommen. Wollte ich das wieder aufgeben und wieder hierher zurück? Nee, nicht wirklich. Das wäre so, als würde ich mich selbst wieder aufgeben.  „Da ist das irgendwie wegen .... Na ja, da ist das halt untergegangen." Glücklicherweise hatte er sich verkniffen Luca zu erwähnen. Wenigstens etwas. „Du stehst auch schon im Grundbuch. Ihr müsstet nur noch die Möbel aussuchen und einziehen." Ein Schnauben entwich mir. „Du meinst die Möbel, die du bezahlst?!" Papa nickte. „Mama und ich.", korrigierte er dann doch noch schnell. „Lass mich da raus, Schnutzelchen", fuhr Mama dazwischen. „Ich habe gesagt, dass ich aus Gerechtigkeitsgründen dafür bin, dass Maja auch endlich ihre eigene Wohnung bekommt. Aber ich habe dir auch gesagt, dass ich finde, sie sollte sie sich selbst aussuchen. Entweder hier, in Berlin, Timbuktuk oder wo immer sie sie haben möchte." Papa gab einen Schnauber von sich. Mamas Ausführungen gefielen ihm wohl überhaupt nicht. „Aber du sagst doch selbst ständig, dass Maja dir fehlt." Mama schüttelte ihren Kopf. „Das sage ich von Phil auch und trotzdem kaufst du ihm hier keine Wohnung." Papa winkte ab. „Der studiert ja auch in Berlin, was soll er da hier mit einer Wohnung?" Nee, oder? „Ich studiere auch in Berlin", platzte es sauer aus mir heraus. „Ja, aber das ist doch ganz was anderes. Du könntest hier genauso gut studieren und für Will wäre es ein Karriereschritt nach vorne." Ich hasste es, wenn Papa mit so unfairen Mitteln kämpfte. Er wusste genau, dass ich Will niemals im Weg stehen würde. „Und außerdem bist du mein kleines Mädchen." Er machte eine kurze Pause und schaute mich liebevoll an. „Mein kleines Bienchen. Ich muss doch auf dich aufpassen." Okay auch noch die Papa-Beschützer-Karte. Die Maja von früher hätte sich seinem Wunsch niemals widersetzt, sondern wäre ihm dankbar um den Hals gefallen und hätte begonnen die Koffer zu packen. Ja, aber diese Maja gab es nicht mehr. Ich war jetzt Maja 2.0. Ich konnte auf mich selbst aufpassen und auch für mich selbst sorgen. Ich überlegte kurz, wie ich ihm das ein für alle Male klar machte, ohne ihn zu sehr zu verletzen. Man sah Papa an, dass es ihm langsam etwas unangenehm wurde, weil seine erwartete Reaktion nicht erfolgte. Das war auch gut so, denn er musste endlich lernen, dass er sich nicht einfach in unser Leben einmischen konnte, wie es ihm gerade gefiel. Eigentlich sollte ich mich zwar über dieses großzügige Geschenk meiner Eltern freuen. Aber ich spürte nur, wie sich ganz tief in mir eine ziemliche Gewitterwolke zusammenbraute. Interessierte es ihn überhaupt, was wir wollten? Oder ging es ihm nur darum uns wieder unter seine Fittiche zu bekommen? „Also Marco, Maja kann ganz gut auf sich selbst aufpassen. Und wenn nicht bin ich ja auch noch da." Ja, verflucht. Damit hatte Will absolut recht. Ich spürte, wie er mir seine Hand in den Rücken legte und mit seinem Daumen ganz sanft Kreise malte. Sofort verzog sich meine Wut wieder etwas. „Das weiß ich ja. Aber....", versuchte Papa einzulenken. Sein flehender Blick suchte meinen. „Vielleicht überlegt ihr es euch noch einmal in aller Ruhe und besprecht das gemeinsam. Tanja würde sich bestimmt auch freuen, wenn...." „Wenn die Kinder glücklich sind. Egal wo", unterbrach sie ihn resolut. Mama schmunzelte schon wieder. „Ich hab dich gewarnt, Schnutzelchen!" Papa lief knallrot im Gesicht an. „Dann halt nicht." Blitzartig drehte er sich um und dann war nur noch das Knallen der Wohnungstür zu hören. „Der kann doch nicht einfach über uns entscheiden und dann auch noch sauer sein, wenn wir nicht funktionieren", schnaubte ich wütend. „Na ja, es ist schon ein ziemlich großzügiges Geschenk an dich. Und da ist es doch klar, dass er enttäuscht ist, wenn du dich nicht freust. Wie hättest du dich denn an seiner Stelle gefühlt?" Ich schaute Will schockiert an. Er war auf Papas Seite? Andererseits hatte er auch irgendwie recht. „Geh ihm hinterher und erkläre ihm ganz ruhig deine Sicht der Dinge." Ich nickte und machte mich auf den Weg. Unten vor der Haustür tigerte Papa kopfschüttelnd auf und ab, als führte er einen inneren Monolog mit sich. „Papa, wir müssen reden." Erschrocken blieb er stehen und schaute mich an. „Es ist wirklich lieb, dass ihr mir die Wohnung gekauft habt, ich will aber nicht einfach alles hinschmeißen und hier Knall auf Fall wieder her. Das wäre so, als würde ich wieder alles in den Sand setzen, was ich mir gerade erarbeitet habe. Kannst du das verstehen, Papa?" Er nickte. „Ich bin sehr stolz, was du in der kurzen Zeit auf die Beine gestellt hast. Aber ich vermisse dich so. Ich möchte dich einfach wieder in meiner Nähe haben." Seine Augen glitzerten verdächtig. „Papa, ihr fehlt mir doch auch alle, aber ich will mein eigenes Leben selbstbestimmt führen.... in Berlin. Ich will euch und mir beweisen, dass ich es auch ganz alleine schaffe. Ich komme gerne her zu Besuch. Aber mehr auch nicht." Bei den letzten Worten war er unmerklich zusammengezuckt. „Jedenfalls jetzt noch nicht", setzte ich abmildernd nach. Man, er schaute wie ein geprügelter Hund. Ich musste schwer schlucken. Ich konnte es einfach nicht ertragen, wenn mein Papa so traurig schaute. Und das wegen mir. „Was hältst du davon, wenn wir die Wohnung einrichten und Will und ich dann immer hier wohnen, wenn wir euch besuchen kommen. Und wer weiß, was ist, wenn ich mit dem Studium durch bin." Den letzten Satz ließ ich einfach in der Luft hängen. Papa fing an zu grinsen. „So machen wir das. Und vielleicht überlegt ihr es euch ja auch noch vorher anders. Aber dann kann ich mich schon freuen, dass ihr in spätestens vier Jahren herzieht. Ich kann ja auch schon mal mit dem Rektor von deiner alten Schule sprechen, dass er dir schon einmal eine Referendariatsstelle frei hält." Sofort war er wie ausgewechselt und voller Tatendrang.  „Paaappaaa!" „Ja, ja. Ich habe ja verstanden. Ich soll mich nicht einmischen. Das ist dein Leben." Auch wenn er sich alle Mühe gab mit seiner Miene dem gesagten Ausdruck zu verleihen, war ich mir ziemlich sicher, dass das nicht lange anhielt. Egal, dann würde ich es ihm halt immer wieder klar machen müssen. „Aber ich will doch nur, dass es dir gut geht und du glücklich bist, meine kleine Biene." „Das bin ich, Papa" Ich musste ihn einfach umarmen und es genießen von ihm auch fest in seine Arme gezogen zu werden. Ganz tief in mir wusste ich ja, dass er es nur gut meinte. Verflucht, ich hatte meinen Papa einfach so doll lieb.

Schuss und Treffer im Auswärtsspiel - Teil 9  ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt