Kapitel 60

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Unser Auftritt im Radiosender war gut gelaufen. Ich hatte es wirklich geschafft mich auf meine Gitarre und den Gesang zu konzentrieren. Gestern als ich mit Phil zum Einkaufen gefahren war, hatten sie wirklich unser Lied im Radio gespielt. Das war irgendwie voll komisch, sich dort selbst singen zu hören. Man schwankte dazwischen peinlich berührt zu sein und vor Stolz fast zu platzen. Während Phil den Takt auf dem Lenkrad mitgeklopft und gegrinst hatte, hatte ich eher darauf geachtet, ob sich nicht doch irgendwo ein Fehler eingeschlichen hatte. Chris hatte mich schon vorgewarnt, dass wir demnächst zu Will in das Tonstudio gehen würden, um das Lied richtig aufzunehmen. Alleine der Gedanke machte mir schon Angst. Ich war noch nie in einem professionellen Tonstudio. Die bisherigen Aufnahmen hatten wir ja in der provisorisch als Tonstudio umgebauten Küche gemacht. „Da bist du ja" Chris kam mir entgegen und umarmte mich liebevoll. Da ging mein Herz sofort auf und mein ganzer Körper kribbelte. Scheinbar freute er sich genauso mich zu sehen, wie ich mich über ihn freute. „Wir haben heute hier volle Bude. Das Radiointerview hat uns einen echten Schub gegeben." Er fuhr sich durch seine Haare und strahlte mich an. So sah er wirklich wie eine fröhlichere Version von Luca aus. Der hatte nicht so oft gelächelt und schon gar nicht so gestrahlt. „Meinst du wirklich?" Ich konnte das nicht so recht glauben. „Klar, schau doch wie viele da schon an der Bühne herumlungern und auf unseren Auftritt warten." Ich ließ meinen Blick hinübergleiten und war sprachlos. Er hatte recht. Da standen wirklich jede Menge Leute. Ich spürte, wie schlagartig mein Mund trocken wurde und mein Herz anfing zu rasen. Oh mein Gott, die warteten alle darauf, dass ich sang. Was, wenn ich plötzlich keinen Ton herausbekam und sie enttäuschte? „Wahnsinn, so viel war noch nie im Club los. Ihr seid echt der Reißer." Marcel war zu uns getreten und hatte seinen Arm um meine Schulter gelegt. „Maja, ich muss echt deinen Dad anrufen und ihm das zeigen. Der wird vor Stolz platzen." Da war ich mir nicht so sicher. Eine bestandene Prüfung würde ihm wahrscheinlich mehr Freude entlocken. Marcel drehte mich zu sich und starrte mich erschrocken an. „Du bist ja ganz blass. Geht es dir nicht gut?" Ich schüttelte den Kopf. „Alles okay. Ich bin nur ein wenig aufgeregt." Er fing an zu schmunzeln. „Lampenfieber. Das kenne ich von früher auch noch. Da ging es mir auch vor jedem Auftritt schlecht und ich hatte Bammel, dass ich die Schritte vergesse." Ich hatte ganz vergessen, dass er ja auch mal als Tänzer aufgetreten war. Klar, kannte er dann auch dieses Gefühl. Das beruhigte mich. Also war ich nicht der einzige Mensch auf Erden, dem es so ging. Ich wollte nicht schon wieder ein Versag......nein, was hatte Mama gesagt? Ich war kein Versager, sondern nur jemand, der sich das falsche Fach ausgesucht hatte. Aber was, wenn ich mir schon wieder das Falsche ausgesucht hatte? Meine Zweifel wischte ich schnell wieder weg, als ich zu Chris schaute, der immer noch strahlte. Nein, das war so schon völlig in Ordnung, wenn ich mit ihm zusammen sang. Was sollte es Schöneres geben. Ich musste mir das nur oft genug sagen, dann würde das auch mein Kopf begreifen und ich würde nicht mehr in Panik geraten. Chris würde schon auf mich aufpassen und dafür sorgen, dass auf der Bühne nichts schief ging. „Komm mal kurz mit in mein Büro, Maja." Marcel griff sich meine Hand und zog mich durch die Menge. Als hinter uns die Tür zu fiel, verstummte schlagartig das Stimmengewirr und die laute Musik aus dem Club. „So, du setzt dich jetzt einmal kurz und machst das, was ich dir sage. „Arme über den Kopf, Tief einatmen und die Arme langsam sinken lassen und dabei doppelt so lange ausatmen, wie du eingeatmet hast." Ich machte es einfach nach. Was auch immer es bringen sollte. „Das hat mir immer gegen das Lampenfieber geholfen. Das Atmen kannst du auch noch ganz kurz auf der Bühne vor dem Auftritt machen. Dann natürlich ohne die Arme." Ich nickte. Das half wirklich. Ich fühlte mich schon etwas ruhiger. Ich wiederholte das Ganze noch ein paarmal. Ja, jetzt ging es mir gut. Ich war total ruhig. Nicht einmal meine Hände zitterten mehr. „So, dann kannst du jetzt raus gehen und es allen zeigen", zwinkerte mir Marcel zu und öffnete die Tür. Sofort war dort wieder der Lärmpegel. „Los, komm! Wir müssen auf die Bühne." Chris hatte vor der Bürotür gewartet....und Phil auch. Er ließ mich einmal kurz auf sein Handy Display schauen. Heute schauten mich die Gesichter von Tessa und Leo aufmunternd an und reckten mir ihre Daumen entgegen. Ich schickte den beiden ein Küsschen und lief mit Chris auf die Bühne. „Weißt du wer heute hier ist?", zischelte er mir zu, während ich nach der Gitarre griff, die an dem Barhocker lehnte. Jede Menge Leute würde ich auf den ersten Blick sagen. Da ich nicht reagierte, schien er das wohl als Zeichen dafür zu nehmen, mich aufzuklären. „Siehst du dahinten in der Lounge den Typen sitzen, der mit dem Chef redet?" Ich schaute dort hin. Da waren mehrere Leute. Neben einem saß Marcel und unterhielt sich. Also wer auch immer das war, ich kannte ihn nicht. „Das ist der Chef von Universal. Der ist garantiert nur wegen uns hier." Universal? Das war doch dieses weltweit agierende Unterhaltungsunternehmen, das einen Sitz hier irgendwo auch in Berlin hatte. Oh mein Gott, wenn der Typ wirklich wegen uns hier war. Nein, vielleicht war er ja auch nur zum Spaß hier. Oder er kannte Marcel und stattete ihm nur einen Besuch ab. Ja, so musste es sein. Warum sollten die beiden sich sonst unterhalten? Ich setzte mich auf den Hocker und legte die Gitarre auf meinem Knie ab. Ich spürte wieder eine leichte Übelkeit. Mein Blick ging zu Phil, der neben Will am Pult lehnte. Seit der wusste, dass Phil mein Bruder war, hatten die beiden wohl Frieden geschlossen. Mein Bruder hielt das beleuchtete Handydisplay hoch und reckte seinen Daumen in die Höhe. Ich hörte Chris, der schon mitten in dem eröffnenden Geplänkel mit dem Publikum war. Das würde ich niemals hinbekommen. Nein, ich schloss lieber einmal kurz die Augen und atmete tief ein, so wie Marcel es mir vorhin beigebracht hatte. Meine Finger wanderten zum Bund und ich wartete nur auf ein Zeichen von Chris.

Schuss und Treffer im Auswärtsspiel - Teil 9  ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt