Kapitel 78

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„Um dich zu sehen, muss ich wohl extra in den Club kommen." Phil schaute mich gespielt sauer an und umarmte mich. Ja, wir hatten uns nicht wirklich viel in der letzten Woche gesehen, seit er aus Dortmund zurück war. Scheinbar wollte Will wohl kein Risiko eingehen doch noch mit dem Skalpell meines Bruders Bekanntschaft zu machen. Er hatte mir einen Schlüssel für die Wohnung, die eigentlich seiner Mutter gehörte, in der er aber zur Zeit mit wohnte, gegeben. So konnte ich kommen und gehen wie ich wollte. Okay, wenn ich ehrlich war, wollte ich überhaupt nicht gehen und hatte deshalb ein paar von meinen Sachen in Wills Schrank deponiert. Natürlich wollten wir jede freie Minute miteinander verbringen. Aber das war ja auch normal, wenn man verliebt war. In der Zeit, in der Phil weg war, hatten wir uns total daran gewöhnt immer zusammen zu frühstücken und abends zusammen gekocht. Und naja abends zusammen einzuschlafen und morgens zusammen aufzuwachen. Ehrlich gesagt war ich nicht im geringsten bereit, darauf wieder zu verzichten. Aber mit dem Bruder im Nachbarzimmer war es halt irgendwie komisch. Und so lange Tanja auf Kur war.... weiter wollte ich erst einmal nicht denken. „Du siehst richtig glücklich aus, kleine Maja." Phil schaute mich zufrieden an. „Verwöhnt dich Will auch ordentlich?" Ich nickte. Ja, ich bekam immer noch jeden Freitag eine Rose von ihm und es gab unser Lieblingsessen. „Das will ich ihm auch geraten haben." Phil zwinkerte mir zu. „Du hast dir da echt einen Kerl ausgesucht, der in Ordnung geht. Aber sag ihm das bloß nicht, sonst zittert er nicht mehr vor mir." Phil strich mir über den Rücken. „Für den Fall, dass er aber doch mal Scheiße abzieht, gibst du mir sofort Bescheid. Dann mache ich ihn platt und um den Rest kümmert sich dann Max." Was auch immer das zu bedeuten hatte. „Will macht keine Scheiße. Er ist der tollste, einfühlsamste....", begann ich zu schwärmen. Phil hob seine Hand, um mich zu stoppen. „Okay, okay. Themenwechsel. Was macht die Uni?" Noch vor einem knappen Jahr hätte ich bei dem Thema zu zittern angefangen und nicht gewusst, was ich antworten sollte. Oder ich hätte irgendetwas Unverfängliches von mir gegeben. „Ich habe drei Prüfungen schon hinter mir und jetzt am Dienstag die letzte für dieses Semester", antwortete ich mit gutem Gewissen. „Und wann bekommst du die Ergebnisse?" Phil ließ nicht locker. Aber nicht um mich zu ärgern, sondern um mir zur Seite zu stehen, falls wieder etwas in Schieflage geriet. Das wusste ich. „Dreimal bestanden. Zweimal 1,7 und einmal 2,3." Klar im Vergleich zu meinem Überfliegerbruder waren das nur Durchschnittsnoten, aber ich war stolz darauf, besonders nach meinem Reinfall in Informatik. „Na, da bist du ja voll im Soll. Herzlichen Glückwunsch." Er zog mich wieder in seine Arme. „Dann haben wir wohl den richtigen Studiengang für dich gefunden." „Heh, wer knuddelt hier meine Freundin?" Will war neben uns aufgetaucht und schlug mit meinem Bruder ein. „Du hast bald deinen Auftritt. Hier ist dein Melissentee." Will reichte mir meine Tasse und ich nahm einen großen Schluck. Auch wenn ich nicht mehr ganz so aufgeregt wie am Anfang war, genoss ich dieses Ritual. „Ich gehe dann mal in Marcels Büro noch ein bisschen atmen." Auch dieses Ritual hatte ich lieb gewonnen. Ich setzte mich auf das Sofa im Büro und schloss kurz die Augen, bevor ich tief einatmete. Gerade als ich zum Ausatmen ansetzte, klingelte mein Handy. Das war Tessa. War etwa etwas mit den Kleinen, dass sie anrief, um mir mitzuteilen, dass sie nachher keine Zeit für den Videocall hatte? Oder war etwas mit Leo? Hatte er sich vielleicht verletzt? Nervös nahm ich das Gespräch an. „Du glaubst es nicht", scholl mir schon die aufgekratzte Stimme meiner Schwester entgegen, bevor ich überhaupt ein Wort sagen konnte. „Was glaube ich nicht?" Sie fing an zu lachen. „Ich bin wieder für die Nationalmannschaft nominiert. Und dass obwohl ich noch gar nicht bei den Profis spiele." „Das ist ja super!" Ich freute mich riesig. Ich kannte keinen, der das mehr verdient hatte als sie. „Und weißt du, was das geilste ist?" Ich hatte keine Ahnung. Dass ihr Mann Leo am gleichen Ort spielt? „Da kommst du niemals drauf, deshalb erzähle ich es dir gleich." Ja, das war wahrscheinlich besser, denn ich hatte null Vermutung. „Wir spielen am Ostersamstag in Berlin." „Echt?" Das war....das war ja perfekt. Da konnte ich sie anfeuern. „Ja in echt und in Farbe, du Gurke. Und weißt du, was noch geiler ist?" Noch geiler? Ich hatte keinen Schimmer, also zog ich die Leo Karte. „Leo spielt auch in Berlin bei der Nationalmannschaft?" Tessa schnaubte. „Nee, am Freitag davor in Leipzig." Okay, das war es also nicht. „Wir feiern alle Ostern bei euch in Berlin. Die Drillinge haben Paps und Mama sofort überredet, dass sie mich unbedingt anfeuern müssen. Also kurz und gut, Paps und Mama kümmern sich dann auch um die Windelpupse und Leo kommt gleich nach dem Spiel aus Leipzig auch." Das war......das war ein ziemlicher Hammer. Also nicht, dass ich mich nicht darüber freute, wenn meine Familie kam, aber das bedeutete eine Menge Planung. In meinem Kopf begann es sofort zu rattern. Wo sollten denn alle schlafen? Also ein Teil bei Phil. Das war klar. Das waren mit Sicherheit Papa und Mama und die Drillinge. Dann musste Tessa mit Leo und den Windelpupsen zu Oma und Opa. „Kommen LR und Max auch mit?" Tessa wartete einen Moment mit ihrer Antwort. „Ich denke schon. Das kann ich dir aber erst morgen sagen. Max hat heute Dienst in der Klinik."  Die Tür zu Marcels Büro öffnete sich und  Will steckte seinen Kopf herein. „Dein Auftritt ist gleich." Ich nickte ihm zu. „Tessa, ich muss jetzt auf die Bühne." „Alles klar. Dann Toi, toi, toi. Gib dein Handy einfach dem Vogel vom Ton. Wir können ja dann hinterher weiter quatschen." „Du sollst Will nicht immer so nennen", protestierte ich und reichte meinem Freund das Telefon. „Hallo, hier ist der Vogel vom Ton", hörte ich ihn hinter mir lachen, während ich noch schnell den letzten Schluck Tee austrank und mich auf den Weg zur Bühne machte. Wahnsinn, meine Familie würde Ostern in Berlin verbringen. Vielleicht kamen sie dann ja sogar alle am Ostersamstag zu meinem Auftritt in den Club.

Schuss und Treffer im Auswärtsspiel - Teil 9  ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt