Prolog

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Der Tag, an dem der Grüne Habicht starb, wird nie vergessen werden. Sein Name war weit bekannt unter allen Gilden, groß und klein, mächtig und bescheiden, unter allen Erzwächtern. Sein Ruf eilte ihm voraus. Er war der Held, der für seinen Herren den Forellen-Pavillon am Seerosen-Ufer erobert hat. Wer ihn bis dahin noch nicht kannte, konnte danach keinem Gespräch über berühmte Schlachten und Kämpfe mehr entfliehen, in dem sein Name nicht genannt wurde. Rin Verran, der Grüne Habicht.

Wäre ich älter, da bin ich mir sicher, hätte ich ihn schon vor seiner Zeit unter Gilden-Anführer Ghan bewundert. Welche Heldentaten mag er wohl vollbracht haben, die nur seine Nächsten kennen? Ich hätte alles gegeben, um mich mit ihm anzufreunden. Vielleicht hätte ich dann sogar in erster Reihe mit ihm kämpfen können. Seite an Seite oder Rücken an Rücken. Ich hätte stolz jedem erzählen können, dass ich mit ihm bei der Val-Gilde war und fleißig mit ihm zusammen gelernt habe.

Wenn ich jünger wäre, hätte ich alles dafür gegeben, um ihn als Meister zu bekommen. Was für ein Glück Sun Shimei doch hatte, zu genau der Zeit alt genug zu sein, zu der der Grüne Habicht zum Meister ernannt wurde. Wie viele Geheimnisse Meister und Schüler wohl hatten? Doch jetzt ist nur noch Sun Shimei übrig.

Ich erinnere mich genau an den Tag, an dem mir mitgeteilt wurde, dass ich unter den Befehl des Grünen Habichts gestellt werde, um mit ihm und vielen anderen die Krieger der Sonne in der Gämsen-Pagode anzugreifen und zu vertreiben. Es gab Gerüchte, dass es für ihn eine Art Strafe war. Dass er Schuld am Tod von Gilden-Anführerin Ghan war und sein Herr ihn in den Tod schickte. Aber ich habe nie daran geglaubt. Der Großteil von uns Erzwächtern hat nicht daran geglaubt, obwohl dieses Gerücht schon fast überall erzählt wurde. Wie konnte ein so rechtschaffener Mann so tief fallen? Nein, unmöglich.

Und dann kam der Tag, an dem er starb. Die Krieger der Sonne hatten sich in der Gämsen-Pagode eingeschlossen und warteten geduldig darauf, dass wir die Brücke betraten und ihnen unter die Pfeile laufen würden. Viele von uns hatten Angst, aber Rin Verran, der Grüne Habicht, gab uns Mut. Als er sein Schwert hob, jubelten alle ihm zu. Ich wahrscheinlich lauter als so einige andere. Wir alle schöpften Hoffnung. Wenn es eine Person gab, die die Gämsen-Pagode erfolgreich zurückerobern konnte, dann war er es.

Ohne zu zögern rannten die ersten Erzwächter auf die Brücke, die Schilde über sich, um dem tödlichen Pfeilhagel zu entgehen. Unsere Bogenschützen schossen zurück. Einige der Rebellen fielen von den Mauern, immer mehr und mehr, bis sie zu wenige waren, um uns weiter mit ihren Geschossen fern zu halten. Ich selbst war bei der zweiten Welle dabei, die vom Grünen Habicht persönlich angeführt wurde. Ich glaubte, dies müsste der glücklichste Tag meines Lebens sein, doch wie sehr hatte ich mich getäuscht.

Wir hatten gerade erst die Mitte der Brücke erreicht, als Rin Verran plötzlich stehen blieb. Er trat zum Rand der Steinbrüstung, blickte hinab in den strömenden Fluss mehrere Schritt unter ihm. Ich verstand nicht, was er vor hatte. Suchte er nach den Leichen der Krieger der Sonne, die von den Mauern gefallen waren? Warum tat er das? Doch dann schwang er sich über die Brüstung und stürzte hinab in den Fluss. Einfach so. Ohne Ankündigung, ohne Warnung, als hätte jemand oder etwas von ihm Besitz ergriffen.

Wir alle waren wie erstarrt. Es war unmöglich, so einen Sturz zu überleben. Jeder wusste, dass direkt unter Wasseroberfläche des Flusses scharfe und harte Steine warteten, an denen jeder Körper zerschellte. Nie werde ich das entsetzte Gesicht von Sun Shimei und seinen verzweifelten Schrei vergessen, als der Schüler nach seinem Meister rief und zur Brüstung stürzte. Es sah aus, als wolle er hinter Rin Verran her springen, hielt sich aber im letzten Moment noch zurück.

Wer zuerst rief, dass der Grüne Habicht tot war, weiß ich nicht mehr. Ich weiß nur noch, dass alle Erzwächter flohen als wäre der Tod selbst hinter ihnen her. Auch ich. Der größte Held unserer Zeit war gestorben. Hatte er wirklich Selbstmord begangen? Warum? Stimmten die Gerüchte also doch? War es ein schlechtes Gewissen, das ihn in den Tod getrieben hat? Bis heute weigere ich mich daran zu glauben. Und bis heute frage ich mich, was damals wirklich passiert ist. Ob ich wirklich alles richtig gesehen habe.

Rin Verran, der Grüne Habicht, ist tot und er wird nicht zurückkehren.

Die Krieger der Sonne in der Gämsen-Pagode haben an diesem Tag ein Fest gehalten. Ihre Musik und ihr Gelächter waren bis zu unserem Feldlager zu hören. Nur eine Gestalt stand einsam und mit traurigem Gesicht oben auf der Mauer und schaute hinunter in den Fluss. Wie seltsam, dachte ich damals noch, es sieht tatsächlich aus, als würde derjenige um den Tod des Grünen Habichts trauern. Aber wahrscheinlich habe ich mich getäuscht und es war eigentlich Hass, der in diesem Gesicht stand. Was sonst könnten die Rebellen für ihn empfinden?

***

Soll er am Grund des Kieselsteinflusses verrotten, wo er auch hingehört. Ich werde nie vergessen, was Rin Verran – möge sein Name für immer verflucht sein – mir und meiner Familie angetan hat. So viele sind wegen ihm gestorben. Was dachte er, wer er war? Der größte Held, den die Welt je gesehen hat?

Hätte ich schon damals, in der Gämsen-Pagode, gewusst, welche Zukunft er uns bringen würde, hätte ich mich mit einem Messer in sein Zimmer geschlichen und ihm die Kehle im Schlaf durchgeschnitten. Und es wäre mir egal gewesen, dass ich dadurch Schande über meine Gilde gebracht hätte. Wie konnte er seine wahre Natur nur so gut verbergen?

Nie werde ich die Schreie der Menschen vergessen, die am Ufer des Stillwasser-Sees von seinen Erzwächtern niedergemetzelt wurden. Der Uferschlamm hätte sich rot färben müssen vom Blut, aber seltsamerweise hat er das nicht. Nur mit Mühe konnte ich fliehen, musste meine Eltern und Geschwister tot zurücklassen. Drei Tage lang wusste ich nicht, was es bedeutete, nicht zu weinen und eine klare Sicht zu haben. Später erzählte man mir, Rin Verran hätte alle Leichen verbrannt, sodass die Rauchsäule noch vom anderen Ufer des Kieselsteinflusses zu sehen gewesen war. Nicht mal ein Grab hat er ihnen schenken wollen.

Orientierungslos wanderte ich durch die Feuerkorn-Steppe, verbarg mich vor den Erzwächtern der Ghan-Gilde, die zu unseren Feinden geworden waren. Es dauerte viel zu lange, bis ich wieder Hoffnung erblickte, wo vorher keine war. Die Krieger der Sonne wurden zu meiner neuen Familie, die es sich zum Ziel gemacht hatte, der Machtgier der Ghan-Gilde Einhalt zu gebieten. Denn es ist nichts anderes als Machtgier, was sie antreibt. Gilden-Anführer Ghan ist wie ein stets hungriges Monster und Rin Verran ist sein treuer Hund, der ihm seine Beute bringt. Doch jetzt hat das Monster seinen Hund verloren.

Als der größte Verräter der Gilden tot war, veranstalteten wir Krieger der Sonne ein Fest, sodass die Feiglinge auf der anderen Seite des Flusses unser Gelächter auch wirklich hörten. Nur einer konnte nicht lachen. Er steht auch jetzt, wo die Sonne fast schon wieder aufgegangen ist, immer noch auf der Mauer und blickt hinab in das wilde Wasserrauschen. Ich frage mich, ob er womöglich nach Rin Verrans Leiche sucht, um sie zu bergen und dann als Mahnmal an der Mauer aufzuhängen. Angeblich sollen die Drachenklauen das mit den Feuerwächtern in Muwam getan haben. Ein Glück, dass es sie nicht mehr gibt. Oder wenigstens behauptet die Ghan-Gilde das. Aber wer kann Gilden-Anführer Ghan schon glauben?

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Das war also der Prolog :) Jede Geschichte hat immer zwei Seiten, aber wie man so schön sagt: Der Sieger schreibt die Geschichte. Wer hat denn jetzt recht? Meistens beide. Am besten, ihr macht euch einen eigenen Eindruck von Rin Verran, dem Grünen Habicht, denn dies ist seine Geschichte...

PS: Die zwei Personen, die hier von Rin Verran schreiben, kommen auch in der Geschichte vor. Ich bin schon gespannt, ob ihr herausfindet, wer sie sind ;)

Grüner Habicht und Roter DracheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt