Die Versammlungshalle des Krähen-Palastes war so prall mit Menschen gefüllt, dass die Tische und Stühle, die normalerweise an beiden Seiten des Mittelgangs aufgereiht waren, rausgeschafft worden waren. Rin Verran sah von seinem Platz schräg hinter Ghan Shedor auf die versammelte Menge hinab und versuchte dann, einen Blick auf den Brief zu erhaschen, den der Gilden-Anführer in der Hand hielt, konnte aber nichts erkennen. Er ahnte, dass es sich um die Antwort der Rin-Gilde handelte. Die Val-Gilde hatte bereits verkündet, dass sie neutral bleiben würde, und die Dul-Gilde hatte sich ihnen im nahenden Krieg gegen die Mahr-Gilde angeschlossen. Er konnte es immer noch nicht fassen, dass Ghan Shedor auf Mahr Yuzhus Behauptungen reingefallen war. Doch er ließ auch nicht mit sich diskutieren. Sobald Rin Verran versuchte, ihn zur Vernunft zu bringen, wurde er sofort mit einer herrischen Geste zum Schweigen gebracht.
»Selbst wenn es die Drachenklauen sind, wer sagt, dass sie nicht mit der Mahr-Gilde unter einer Decke stecken?«, hatte Ghan Shedor gefragt. »Ich werde alle vernichten, die zu ihnen gehören könnten.«
Rin Verran vermutete, dass Ghan Shedor seinen Frust, die echten Drachenklauen nicht fassen zu können, an der Mahr-Gilde auslassen wollte. Er brauchte einen Schuldigen für Ghan Minues schwere Verletzung. Die junge Frau lag immer noch im Krankenzimmer. Ihre Wunde heilte nur langsam, was laut dem Heiler aber noch im akzeptablen Bereich lag. Rin Verran hatte bisher nur ein einziges Mal unter Ghan Shedors aufmerksamen Blick mit ihr geredet und sie gefragt, ob sie Mahr Yuzhu kannte. Immerhin war er ihr Halbbruder. Sie hatte verneint und gleichzeitig erklärt, das wäre nichts Ungewöhnliches, denn Mahr Hefay hole nicht alle seine Bastardkinder zu sich in den Rothirsch-Turm. Demnach war es gut möglich, dass sie ihn nie gesehen hatte.
Als offenbar alle erwarteten Personen die Versammlungshalle betreten hatten, erhob Ghan Shedor sich von seinem Platz und hob den Brief hoch. »Die Rin-Gilde hat geantwortet!«, verkündete er. Für einen Moment sah es aus, als würde er etwas Triumphierendes hinzufügen, doch dann schleuderte er den Brief mit Wucht auf den Boden. »Sie stellt sich gegen uns und hat sich mit der Mahr-Gilde verbündet!«
Rin Verran gefror das Blut in den Adern, während im Rest der Halle Tumult ausbrach. Doch er hörte gar nicht, was die Erzwächter und anderen Anhänger der Ghan-Gilde miteinander beredeten. Er umklammerte Habichtfeder mit festem Griff. Vater hat sich gegen uns entschieden. Hat sich gegen Jadna entschieden. Warum? Wie konnte er!
Sein Blick wanderte zu seiner Schwester, die mit aufgerissenen Augen neben Ghan Idos stand. Sie klammerte sich an den Mann neben ihr, die Fingerknöchel fast weiß und das Gesicht bleich wie ein Totenschädel. Ghan Idos wirkte ebenfalls mitgenommen. Er schob Ghan Jadna unauffällig hinter sich, um sich zwischen ihr und einigen streitenden Erzwächtern zu platzieren. Seine Augenbrauen waren leicht zusammengezogen.
Rin Verran kämpfte mit dem Instinkt, nach unten zu stürmen und sich ebenfalls schützend vor seine Schwester zu stellen. Es würde nicht lange dauern, bis jemand auf die Idee kam, ihr etwas vorzuwerfen.
»Wie kann Rin Baleron es wagen!«, rief ein Erzwächter und schüttelte wütend die Faust. »Jeder weiß, dass die Ghan-Gilde die größte und mächtigste Gilde ist! Indem er sich gegen uns stellt, hat er sein eigenes Todesurteil unterschrieben!«
»Soll er doch!«, entgegnete jemand anderes. »Oder hast du etwa Mitleid mit der Rin-Gilde? Rin Baleron besitzt kaum Pferde und damit keine Reiterei! Seine Erzwächter können vielleicht gut mit ihren Waffen umgehen, aber was bringt ihnen ein Schwert, wenn wir sie einfach umreiten können?«
Ghan Jadna wurde noch blasser.
»Außerdem haben wir viel mehr Krieger!«, fügte eine ältere Erzwächterin hinzu, die einer anderen, kleineren Gilde angehörte. Sie trug auffällige, hellgrüne Kleidung, die mit den Umrissen orangener Buchenblätter geschmückt war. An ihrem breiten Gürtel hing ein Kurzschwert. »Unser Territorium ist groß und es gibt viele kleine Gilden! Einige von ihnen haben sich schon um den Krähen-Palast und in den nahegelegenen Städten versammelt! Nur ein Befehl, Gilden-Anführer Ghan, und wir brechen auf!«
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Grüner Habicht und Roter Drache
AdventureBis zu seinem fünfzehnten Lebensjahr wächst Rin Verran mehr oder weniger behütet in seinem Zuhause, dem Phönix-Hof, auf. Obwohl er nur der uneheliche Sohn des Gilden-Anführers ist, träumt er davon, ein berühmter Erzwächter und Krieger zu werden. In...