Kapitel 37: Inseln - Teil 3

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Als Rin Verran auf der kleinen Lichtung ankam, blieb er wie erstarrt stehen. Diese Szene kam ihm bekannt vor, viel zu bekannt. Keine fünf Schritte von ihm entfernt klaffte ein Loch in der Erde. Eine Falle für Wild. Die Markierungen waren entfernt worden. Wie damals, bei seiner allerersten Jagd. Nur, dass dieses Mal nicht er in die Grube gefallen war, sondern Rin Raelin.

»Hilfe!«, schrie sein Bruder wieder, der noch nicht bemerkt hatte, dass bereits jemand da war.

Wer hat die Markierungen entfernt?, schoss es Rin Verran durch den Kopf. Ist derjenige wieder hier? Ganz in der Nähe?

Leise fluchend eilte er zum Rand der Falle und schaute hinunter. Rin Raelin war offenbar nicht verletzt – diese Grube war auch nicht so tief wie die, in die Rin Verran damals gestürzt war –, aber er kam trotzdem nicht alleine hinaus. Als er den Kopf hob, um erneut um Hilfe zu rufen, und dabei sah, dass bereits jemand da war, verschluckte er sich und hustete.

»Warte kurz! Ich suche nach dem Seil!«, rief Rin Verran zu ihm hinab.

»Du!«

Rin Raelins entsetzter Tonfall brachte ihn dazu, mitten in der Bewegung inne zu halten.

»Warum ausgerechnet du!«, schrie Rin Raelin zu ihm hoch. Seine Stimme überschlug sich fast. »Ist das deine Art, dich zu rächen? Erst die Fallenmarkierungen entfernen und dann zurückkommen, um mir rauszuhelfen als wäre nichts passiert? Damit ich in deiner Schuld stehe? Niemals! Einen Scheiß wirst du! Hau ab!«

»Verdammt, ich möchte dir doch nur helfen!«, rief Rin Verran. »Wir sind trotz allem noch Brüder! Denkst du wirklich, ich würde dich einfach in dieser Grube sitzen lassen? Außerdem fängt es bald an zu regnen.«

Ein Haufen Flüche kam von unten zu ihm hoch geflogen. »Wenn du gewusst hast, dass ich es war, warum hast du mich nicht zur Rede gestellt!«, zischte Rin Raelin schließlich. »Wie hast du es überhaupt herausgefunden!«

Rin Verran seufzte. Er ignorierte das Geschrei seines Bruders und machte sich auf die Suche nach dem Seil, mit dem man normalerweise das Wild hoch ziehen würde. Hat er wirklich gedacht, ich wüsste nicht, dass er mir die Droge gegeben hat, um Rin Veyvey nicht heiraten zu müssen? Ich hätte ihn aber nie im Leben genauso verraten wie er mich an diesem Abend. Rache ist nichts, was einen antreiben sollte. Er weiß das auch.

»Niemand war da, der es hätte sehen können!«, hörte er immer noch Rin Raelins wütende Stimme. »Aber ich schwöre dir, ich wollte das nicht! Ich wollte dir nur einen Schrecken einjagen und dich aus dem Spiel bringen!«

Worüber redet er da? Verwirrt rollte Rin Verran das Seil zusammen, das er jetzt endlich gefunden hatte, und kehrte zum Rand der Falle zurück.

»Egal, was du machst, du bist immer besser als ich!«, wütete Rin Raelin. »Weißt du, wie das ist? Der Bastardsohn ist besser als der rechtmäßige Nachfolger! Die Leute lachen über mich! Sie denken, ich sehe es nicht, aber ich sehe es sehr wohl! Sie tuscheln darüber, dass ich zu nichts fähig bin! Untalentiert! Und dich loben sie als wärst du der größte Held, den die Welt je gesehen hat! Obwohl du beim Zatos nie auf den ersten Plätzen warst! Obwohl du aus deiner Gilde verstoßen wurdest! Sie loben dich sogar dafür, dass du mir meine Verlobte ausgespannt hast, weil sie bei dir doch besser aufgehoben wäre als bei so einem Arschloch wie mir! Weißt du, wie sich das anfühlt? Wenn ich es mir recht überlege, tut es mir auch gar nicht leid, dass du dir damals den Arm gebrochen hast! Ich wünschte, du hättest dir noch weitere Knochen gebrochen!«

Rin Verran hielt mitten in der Bewegung inne. Eine Welle des Schocks flutete durch seinen Körper. »Was hast du eben gesagt?«, krächzte er.

»Ha!«, lachte Rin Raelin. »Jetzt bist du doch nicht mehr so rechtschaffen und gutherzig wie alle sagen! Meintest du nicht vor Kurzem noch, wir wären Brüder und du würdest mich nicht hier sitzen lassen? Ich wusste, dass das alles deine Rache ist! Deine perfide Rache für den gebrochenen Arm!«

Grüner Habicht und Roter DracheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt