Kapitel 18: Briefe - Teil 2

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Rin Verran hatte sein Zimmer im Sonnen-Palast so sehr vermisst wie die hohen Gräser der Feuerkorn-Steppe. Es tat gut, endlich wieder in seinem Bett zu liegen, das um einiges weicher war als das in der Gämsen-Pagode. Obwohl er so lange weg gewesen war, war alles sauber und ordentlich. Wahrscheinlich hatten einige Diener die Aufgabe bekommen, es regelmäßig zu putzen. Er hatte sich gerade wieder daran gewöhnt, wieder lange schlafen zu können, als eines Morgens auf einmal Rin Raelin reinplatzte.

»Verran!«, schrie er so laut, dass sein Bruder sofort wach war und sich im Bett aufsetzte. Die Sonne war gerade erst aufgegangen, aber da sein Zimmer auf der Westseite des Gebäudes lag, war es noch ziemlich dunkel und er begriff erst nach einigen Sekunden, wer herein gestürmt war.

»Was ist los?«, fragte Rin Verran verschlafen und rieb sich die Augen. Gestern hatten sie bis tief in die Nacht mit Rin Jadna zusammen gesessen und sich Geschichten aus ihrer Zeit in der Gämsen-Pagode erzählt. Eigentlich hatten sie auch Bao Jenko holen wollen, aber er war nirgendwo aufzufinden gewesen. Allgemein wirkte der Junge in letzter Zeit leicht nervös.

»Gilden-Anführer Ghan ist da«, sagte Rin Raelin finster und hämmerte die Faust gegen den Türrahmen. »Er und Vater sitzen gerade zusammen und besprechen etwas.«

»Und was ist so schlimm daran?«, seufzte Rin Verran und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand. Lass mich einfach weiterschlafen...

»Ich habe sie belauscht. Sie wollen Jadna mit Ghan Idos verheiraten.«

Sofort war Rin Verran hellwach. »Was?«

»Du hast richtig gehört! Sie wollen sie miteinander verheiraten!« Rin Raelin schlug wieder mit der Faust gegen die Wand. In seinen Augen brannte eine unbändige Wut. »Unsere Schwester mit diesem arroganten Arschloch!«

»Was? Aber...« Rin Verran verstand das alles nicht. »Warum? Warum sollten sie? Warum jetzt? Warum so plötzlich? Bist du dir sicher, dass du es richtig gehört hast? Warte, du hast ernsthaft gelauscht?«

»Das tut jetzt nichts zur Sache!«, presste Rin Raelin hervor. »Was weiß ich, was in deren Köpfen vorgeht! Ich kann mich nicht verhört haben!« Er stampfte mit dem Fuß auf. »Wir dürfen das nicht zulassen! Hast du vergessen, wie Ghan Idos sich in der Gämsen-Pagode aufgeführt hat? Und der soll jetzt unsere Schwester heiraten? Niemals!«

Rin Verran stand auf und zog sich so schnell er konnte an, während er sagte: »Wie konnte Vater nur auf eine so dämliche Idee kommen? Weiß Jadna überhaupt davon? Warum hat er das hinter ihrem Rücken beschlossen?«

»Sie wäre nicht begeistert davon gewesen, obwohl sie vielleicht nichts gesagt hätte«, grollte Rin Raelin. »Du weißt, wie sie ist. Immer auf Frieden bedacht. Aber das arrogante Arschloch wird sie einfach nur kaputt machen!« Er drehte sich auf dem Absatz um.

»Wo gehst du hin? Was hast du vor?« Rin Verran beeilte sich, hinter ihm her zu kommen.

»Ich gehe da jetzt rein!«

Rin Verran stellte sich erschrocken vor ihn und versperrte ihm mit ausgebreiteten Armen den Weg. »Das kannst du nicht machen! Vater wird wissen, dass du gelauscht hast und zusätzlich auch noch sein Gesicht verlieren, weil du, sein eigener Sohn, dich gegen ihn stellst! Er wird so wütend sein wie noch nie!«

»Soll ich also einfach rumstehen und nichts tun?« Rin Raelin funkelte ihn wütend an. »Geh mir aus dem Weg! Wenn du nicht mitkommen möchtest, dann geh einfach wieder zurück!«

Er wird eine große Dummheit begehen, wenn ich ihn nicht aufhalte! Verzweifelt dachte Rin Verran an alternative Möglichkeiten, diese Verlobung zu verhindern, die ihm ebenfalls überhaupt nicht behagte. Ghan Idos war niemand, der zu Jadna passte. Sie war sanft und bescheiden, während er arrogant und angeberisch war. Er würde sie einfach zerbrechen wie eine dünne Nadel. Es quälte ihn, allein daran zu denken!

Grüner Habicht und Roter DracheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt