Kapitel 57: Meister - Teil 1

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»Was ist das?«, fragte Rin Verran und deutete auf eine Broschüre mit dem Titel ›Gesuchte Verdächtige‹. Die Zeit, die er nicht bei Rin Kahna war, weil Rin Veyvey sie zusammen mit Ghan Minue und ihrem Sohn Ghan Irvan im Garten des Krähen-Palastes spazieren ging, verbrachte er in Ghan Edhors Studierzimmer. Es war nicht das erste Mal, das ihm diese Broschüre ins Auge gefallen war, aber jetzt konnte er sich nicht davon zurückhalten, nachzufragen.

»Die hier?«, hakte Ghan Edhor nach und hob sie hoch. »Das ist ein Büchlein, das ich Ende letzten Jahres zusammengestellt habe. Bevor du den Forellen-Pavillon erobert hast. Ich habe ganz viele Briefe in alle Dörfer und Städte geschickt, in denen die Drachenklauen einst gewütet haben, und um eine Beschreibung verdächtiger Gestalten gebeten. Einige waren sogar so nett und haben sie gezeichnet. Deine Notizen waren übrigens sehr hilfreich«, fügte er hinzu, bevor er niedergeschlagen seufzte. »Nur bringt die Broschüre wahrscheinlich nichts mehr. Immerhin sind die Drachenklauen jetzt mit der Dul-Gilde untergegangen. Dabei wollte ich sie vervielfältigen und an alle Feuerwächter schicken, damit sie die verdächtigen Personen nicht in das Dorf oder die Stadt lassen.«

»Darf ich?« Als Ghan Edhor nickte, nahm Rin Verran ihm die Broschüre aus der Hand und blätterte durch die Seiten. Nacheinander schaute er sie sich an.

Ghan Edhor hatte tatsächlich Teile seiner Notizen in diesem Büchlein verarbeitet. Die erste Überschrift lautete ›Grinsegeist‹ und darunter war geschrieben, dass er seinen Opfern ein Grinsen ins Gesicht ritzte. Neu war eine ungefähre Körpergröße von ungefähr fünf Fuß und sechs bis sieben Zoll und die Tatsache, dass er anscheinend blaue Augen hatte. Mehr war hinter den schwarzen Stoffbahnen auch wirklich nicht zu sehen gewesen. Ein Bild gab es nicht.

Auf der zweiten Seite ging es um jemanden namens ›Steinherz‹. Offenbar war es eine Frau, die mit einem Breitschwert kämpfte. Diejenige, die Rin Raelin im Waldlager verletzt hatte. Im selben Moment erinnerte Rin Verran sich daran, dass Yodha behauptet hatte, ›eine gute Freundin‹ von ihm hätte in Muwam den Pfeil mit der Nachricht abgeschossen. Und auch, dass sie bei Ghan Kedrons Ermordung dabei gewesen war. Kurz ging er in Kopf die Gestalten durch, die er damals gesehen hatte. War Steinherz diese Frau?

Er tippte nachdenklich mit dem Finger auf die Seite. »Sie war vielleicht diejenige, die mir in Muwam den Pfeil mit der Nachricht zugeschossen hat. Yodha hat eine gewisse ›gute Freundin‹ von ihm erwähnt.« Den Tod von Ghan Kedron vor dessen Sohn zu erwähnen, wagte er nicht, weswegen er diese Information wegließ.

Ghan Edhor hob überrascht die Augenbrauen. »Du bist ihm nochmal begegnet?«

»Ja«, gab er zu. »Direkt nach dem Attentat auf Ghan Minue. Ich bin ihm gefolgt, aber dann hat er mich selbst gefunden.«

»Und was wollte er?«

»Dass ich mich den Drachenklauen anschließe, um mich mit ihnen für die Mehn-Gilde zu rächen. Ich hatte recht mit meiner Vermutung.«

»Und du hast so lange geschwiegen, weil...?«

»Tut mir leid«, sagte er zerknirscht. »Es sind so viele Sachen auf einmal passiert. Ich habe es einfach vergessen.«

Ghan Edhor nickte, bevor er ihm die Broschüre aus den Händen nahm, weiter nach hinten blätterte und ruckartig eine Seite herausriss. Dann zerknüllte er sie und warf sie ins Kaminfeuer. »Damit ist also geklärt, dass der Bogenschütze kein Mann, sondern eine Frau ist und zwar vermutlich Steinherz.«

Er reichte Rin Verran das Büchlein zurück.

›Feuerfuchs‹ stand auf der nächsten Seite. Daneben war das erste Bild gezeichnet. Beim Anblick des jungen Mannes mit den hellen Sommersprossen auf den Wangen zog sich Rin Verrans Herz zusammen. Dies war der erste Mensch, den er getötet hatte. »Er ist der Brandstifter gewesen?«, fragte er, nachdem er die Beschreibung durchgelesen hatte.

Grüner Habicht und Roter DracheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt