Kapitel 39: Gefühle - Teil 1

81 15 5
                                    

Im Forellen-Pavillon angekommen ging Rin Verran ohne Umschweife in seinen Gebäudeteil und setzte sich dort an den Tisch im Eingangsbereich. Seine Gedanken waren im Chaos. Er blieb nur wenige Sekunden sitzen, bevor er wieder aufstand, sich mehrere leere Blätter, eine Feder und Tinte holte und zurückkehrte. Ich muss nachdenken.

»Verran?«, erklang die aufgeregte und vielleicht auch verärgerte Stimme von Rin Veyvey von draußen. Es war das erste Mal, dass sie so vertraulich nach ihm rief, aber er war jetzt weder in der Stimmung noch hatte er die Geduld, mit ihr zu reden geschweige denn sie zu sehen.

»Nicht jetzt!«, schrie er zurück und atmete erleichtert auf, als ihre Schritte sich tatsächlich entfernten. Das werde ich heute Abend wahrscheinlich ausbaden müssen, dachte er, doch das war ihm gerade egal. Mit finsterem Gesicht starrte er auf die ausgebreiteten Zettel vor sich. Entschlossen nahm er die Feder in die Hand, tunkte die Spitze in die schwarze Tinte und fing an zu schreiben.

›Drachenklauen‹ lautete die erste Überschrift. ›Grinsegeist‹ schrieb er dadrunter. ›Ritzt seinen Opfern ein Grinsen ins Gesicht. Vermutlich ein Mann. Anwesend beim Angriff auf Muwam und heute. Ausnahme: Es gibt zwei von ihnen oder sie wechseln sich mit dieser Aufgabe ab. Warum macht er das? Wer ist er? Wo kommt er her?‹

Darunter zog er einen Strich und machte einen neuen Punkt. ›Person mit einem Breitschwert. Sehr geübt und geschickt. Eventuell früher ein Schüler in der Gämsen-Pagode? Anwesend heute.‹ Rin Verran hielt kurz inne und versuchte, sich zu erinnern. ›Anwesend beim Angriff auf das Waldlager.‹

›Junger Mann mit Kurzschwert‹, schrieb er in die nächste Zeile. Seine Hand zitterte leicht. ›Heute getötet.‹

Eine Weile starrte er auf die drei Absätze. Das waren die drei Drachenklauen des heutigen Angriffs. Beim Angriff auf das Waldlager damals hatte es jedoch vier von ihnen gegeben. Waren es die gleichen? Bei der Person mit dem Breitschwert war er sich ziemlich sicher. Nie würde er den Moment vergessen, in dem die Waffe sich in Rin Raelins Bauch gebohrt hatte. Aber die anderen? Einer von ihnen hatte mit zwei Dolchen gekämpft, das wusste er noch.

Nach kurzem Zögern schrieb er beim Grinsegeist noch hin: ›(Anwesend beim Angriff auf das Waldlager?)‹.

Dann machte er einen größeren Absatz und schrieb: ›Brandstifter‹ und weiter unten ›Bogenschütze‹. Er überlegte kurz und malte neben das letzte Wort ein großes Fragezeichen, das er mit den oberen drei Personen verband. Es konnte gut sein, dass der Bogenschütze einer von ihnen war. Schließlich konnte er selbst auch mit Pfeil und Bogen umgehen, obwohl er hauptsächlich mit dem Schwert kämpfte. Wenn er genauer darüber nachdachte, könnte der Brandstifter eigentlich auch jeder von ihnen sein. Vorsichtshalber schrieb er dahinter trotzdem ›Anwesend beim Angriff auf Muwam und allen anderen niedergebrannten Dörfern und Städten‹.

Rin Verran überflog den Zettel nochmal, legte ihn beiseite und holte sich den nächsten. Die Feder flog über das Papier: ›Yodha. Ein Mann. Anwesend beim Zatos im Territorium der Ghan-Gilde.‹ Er war sich nicht sicher, ob dieser geheimnisvolle »Wohltäter«, wie er sich selbst nannte, wirklich zu den Drachenklauen gehörte oder ob er auf eigene Faust agierte. Daher behielt er für ihn einen eigenen Zettel.

›Wusste von Raelins Verrat‹, schrieb er weiter. ›Die dunkle Gestalt, die ich damals im Wald gesehen habe? Warum ist er mir gefolgt?‹ Diese Frage hatte er sich bisher noch gar nicht gestellt, konnte sie aber genauso wenig beantworten wie die, warum Yodha überhaupt mit ihm in Kontakt getreten war und was er wollte. ›Wusste von meiner Verstoßung aus der Rin-Gilde. Hat davon aber später erfahren.‹ Das hatte er selbst gesagt. ›Befindet sich also normalerweise weiter vom Territorium der Dul-Gilde entfernt? Wie hat er dann davon erfahren?‹ Rin Verran war sich ziemlich sicher, dass Dul Nehmon sein Versprechen gehalten und niemandem den wahren Grund für seine Verstoßung erzählt hatte. Rin Baleron hätte das erst recht nicht getan, da es nur seinem Ruf geschadet hätte. Wie also hatte Yodha erfahren, dass er im Forellen-Pavillon gefangen gehalten worden war und auf eine Strafe gewartet hatte? Hatte jemand es ihm im Geheimen geschrieben? Hatte er hier vielleicht Spione?

Grüner Habicht und Roter DracheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt