Letztendlich war Ghan Jadna diejenige, die Ghan Idos Bescheid sagte, der wiederum seinen älteren Bruder darum bat, ein paar Erzwächter zum Drachen-Heim zu schicken. Ghan Shedor war zuerst nicht begeistert von dieser Idee gewesen, aber da es eine Theorie war, die Ghan Edhor aufgestellt hatte, und es zudem um die Drachenklauen ging, stellte er trotzdem eine kleine Gruppe zusammen. Ghan Leddan meldete sich freiwillig, um sie anzuführen. Immerhin war sein Bruder wegen der Drachenklauen gestorben und angeblich war Ghan Leddan dabei gewesen, als die Mehn-Gilde ausgelöscht wurde – auch wenn er darüber ein Tuch des Schweigens ausbreitete. Er kannte die Gegend dort und würde die Ruinen schnell finden, hatte er versprochen. Sollte das Drachen-Heim wirklich der Schlupfwinkel der Drachenklauen sein, würde er Ghan Shedor sofort benachrichtigen.
Die Tage und Wochen vergingen wie im Flug. Ghan Jadna hatte Rin Verran schon so viele ihrer eigenen Stücke vorgespielt, dass einige der Diener bereits flüchteten, wenn sie wieder Traumfänger heraus holte. Aber der Grund dafür war nicht, dass sie die Musik schrecklich fanden, sondern dass sie fürchteten, nicht mit ihrer Arbeit fertig zu werden, wenn sie stehen blieben und lauschten. Rin Verran hörte die Diener oft bewundernd über seine Schwester reden. Sie nannten sie Turmalin, wie das allererste ihrer Stücke, das erfolgreich gewesen war und sie unter Musikern berühmt gemacht hatte. Wahrscheinlich wussten sie einfach nicht, wie die anderen hießen.
Rin Veyvey versuchte – wie immer – ihn mit ihren neuen Kleidern, Frisuren und Schmuckstücken zu beeindrucken, aber mit der Zeit waren seine Sinne schon abgestumpft. Egal, was sie an hatte, es wirkte genauso wie das vorherige. Wenn Rin Verran seiner Aufgabe als Ghan Shedors Leibwächter nachkam, ging sie oft draußen im Garten des Krähen-Palastes spazieren, wo sie irgendwann auf Ghan Minue traf, deren gewölbter Bauch bereits deutlich zu sehen war. Die beiden Frauen schienen sich gut zu verstehen und redeten oft stundenlang miteinander, was Rin Verran nur gefiel.
Mit Ghan Edhor traf er sich nur noch selten. Der jüngste der drei Ghan-Brüder schloss sich fast den ganzen Tag in seinem Zimmer ein und brütete über Schriften, die sonst niemand lesen, geschweige denn verstehen konnte. Ob es um die Drachenklauen oder etwas anderes ging, konnte Rin Verran nicht sagen.
Als Hochsommer einbrach, informierte Ghan Shedor ihn darüber, dass bald ein Fest – das Getreidekornest – stattfinden würde, um die harte Arbeit der Bauern auf den Feldern zu würdigen. Rin Verran hörte zum ersten Mal von so einem Fest, aber offenbar war das für die Menschen hier etwas Selbstverständliches. Es würde eine große Parade durch Tahma geben, eine Stadt etwas nördlich der Stelle, wo die Straße zum Krähen-Palast in den Silbermistel-Wald einbog. Es würden Menschen aus den entlegensten Dörfern und Städten auf dem Territorium der Ghan-Gilde kommen, um am Fest teil zu haben.
Rin Verran fiel die Aufgabe zu, die Plattform zu bewachen, auf der Ghan Shedor und Ghan Minue durch die Straßen gefahren wurden. Die Pferde, die sie zogen waren mit weißen und gelben Blüten in Mähne und Schweif und einem bunten Blumenkranz um den Hals geschmückt. Die Hufe klackerten über die Steine, doch das war kaum zu hören, da die Menschen ringsum dem Gilden-Anführer und seiner Ehefrau begeistert zu jubelten. Sie hielten eigene Blumenkränze und aus Stroh geflochtene Figuren hoch in der Hoffnung, Ghan Minue würde die Geschenke annehmen. Die Gilden-Anführerin galt bei diesem Getreidekornfest sowieso schon als Personifikation der Fruchtbarkeit und ihre Schwangerschaft verstärkte den Effekt noch zusätzlich.
Aufmerksam beobachtete Rin Verran wie die junge Frau gemächlichen Schrittes von einer Seite der Plattform zur anderen ging und die Geschenke einsammelte. Wenn sie so viele hatte, dass sie sie nicht mehr tragen konnte, eilte sie nach hinten und übergab sie einem Diener, der sie wiederum in den Wagen legte, der hinter ihnen fuhr. Später würden die ganzen Kränze und Figuren dann in einem großen Feuer außerhalb der Stadt verbrannt werden, um böse Geister vom geernteten Korn fern zu halten. Wahrscheinlich würde es dieses Jahr jedoch weniger Zuschauer geben. Viele befürchteten, die Drachenklauen könnten dies als Einladung zu einem Angriff sehen. Dabei waren sie in letzter Zeit wieder ungewöhnlich still gewesen. Lag es daran, dass sie sich wirklich in den Ruinen des Drachen-Heims versteckten?
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Grüner Habicht und Roter Drache
AventuraBis zu seinem fünfzehnten Lebensjahr wächst Rin Verran mehr oder weniger behütet in seinem Zuhause, dem Phönix-Hof, auf. Obwohl er nur der uneheliche Sohn des Gilden-Anführers ist, träumt er davon, ein berühmter Erzwächter und Krieger zu werden. In...