Rin Verran war einer der letzten, der am Ufer ankam, und fast alle Boote waren schon auf dem Wasser. Nicht weit entfernt sah er Nan Fe – jetzt wahrscheinlich Tar Fe –, die zusammen mit ihrem Ehemann in das letzte Gefährt einstieg. Tar Shano stieß es mit einem Ruder vom Ufer ab und stakte dann weiter, bis es tief genug war.
Ich hätte mich nicht so lange mit Mahr Lesara aufhalten dürfen, dachte Rin Verran verärgert über sich selbst. Trotzdem war es noch nicht zu spät, um auf eine der anderen Inseln zu kommen, bevor das Lautsignal kam, das den Beginn der Jagd ankündigte. Nach einer ziemlich weiten Strecke am Ufer entlang entdeckte er tatsächlich ein Boot, das übrig gelassen worden war. Allerdings war bereits jemand dort, der leise fluchend versuchte, es alleine aufs Wasser zu bringen, was natürlich nicht klappen würde. Die rotbraune Kleidung ließ erkennen, dass derjenige aus der Mahr-Gilde stammte.
»Man kann nur zu zweit mit dem Boot fahren«, rief Rin Verran der Person rüber, die gleichzeitig den Kopf hob. Sofort blieb er stehen, fluchte innerlich. Von allen Erzwächtern der Mahr-Gilde musste ich unbedingt ihn erwischen!
»Weil du das sagst oder weil es wirklich so ist?«, fragte Mahr Xero und richtete sich auf. Bevor Rin Verran antworten konnte, lachte er jedoch auf und schlug sich mit der Hand vor die Stirn. »Natürlich musst du ja jetzt alles über Boote wissen. Schließlich hat dein Vater dich aus deiner Gilde verstoßen und du hast wie eine Frau in die Dul-Gilde eingeheiratet.«
Rin Verran presste die Kiefer fest zusammen und ballte die Fäuste, fühlte eine heftige Wut in sich aufsteigen. Er wollte ihm irgendwas ähnlich Beleidigendes entgegen schleudern, aber ihm fiel einfach nichts ein. Plötzlich gab es einen lauten Knall, bei dem die Vögel in den Bäumen erschrocken in die Luft flogen. Mahr Xero griff sofort nach seinem Bogen, legte einen Pfeil auf und schoss auf eines der Tiere. Zu Rin Verrans Überraschung traf er tatsächlich und die Krähe schlug mehrere Schritte neben ihm am Ufer auf. Rin Verran war ehrlich beeindruckt.
»Steh nicht rum und hilf mir, das Boot ins Wasser zu schieben«, sagte Mahr Xero auf einmal.
»Du wirst die Krähe nicht markieren?«
»Warum sollte ich. Die gibt sowieso wenig Punkte. Ich lasse sie lieber für die liegen, die schlechter sind als ich. Jetzt beweg dich hier rüber! Die Jagd hat schon angefangen und ich habe nicht ewig Zeit!«
Rin Verran wollte im ersten Moment antworten, dass er sich zu gewissen ungemütlichen Orten scheren sollte, aber in nächster Nähe sah er weder ein weiteres Boot noch eine weitere Person, mit der er eines lenken konnte, weswegen er seinen Ärger herunterschluckte. Während er Mahr Xero im Stillen ein Schimpfwort nach dem anderen entgegen warf, half er ihm, das Boot aufs Wasser zu bringen, bevor sie beide einstiegen.
»Ich lenke!«, bestimmte Mahr Xero sofort und drückte ihm entsprechend das Ruder in die Hand.
»Zurück fahre ich mit jemand anderem«, grollte Rin Verran, setzte sich aber auf die Ruderbank und fing an, das Boot vorwärts zu bewegen. Die Strömung war hier zwar nicht so stark, trieb sie aber trotzdem weiter nach rechts als es wahrscheinlich geplant war. »Möchtest du in die Mitte des Stillwasser-Sees, oder was? Du weißt schon, dass die Jagd nur auf den Inseln und nicht auf dem Grund des Sees stattfindet?«
»Halt die Klappe«, stieß Mahr Xero nur hervor, hängte sich aber stärker in das Steuerruder und schaffte es so, sie wieder auf Kurs zu bringen. Nach einiger Zeit kamen sie endlich am Ufer an. Rin Verran sprang aufs Trockene und zog das Boot an Land, während Mahr Xero gleichzeitig mit dem Ruder nachhalf. Dann stieg auch er aus.
»Ich muss sagen, ich bin beeindruckt, dass du mich nicht ins Wasser gestoßen hast«, sagte er, während er die Arme vor der Brust verschränkte.
»Warum hätte ich das tun sollen?«, presste Rin Verran hervor. »Wir sind keine Feinde oder sowas. In der Gämsen-Pagode waren wir viel jünger und da macht man manchmal unanständige Sachen.«
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Grüner Habicht und Roter Drache
AbenteuerBis zu seinem fünfzehnten Lebensjahr wächst Rin Verran mehr oder weniger behütet in seinem Zuhause, dem Phönix-Hof, auf. Obwohl er nur der uneheliche Sohn des Gilden-Anführers ist, träumt er davon, ein berühmter Erzwächter und Krieger zu werden. In...