Der Krieg kam in mehreren Wellen, die vom Westen aus über den Osten hinweg fegten. Da die Val-Gilde neutral blieb, mussten die Truppen der Ghan-Gilde einen Umweg in den Süden einschlagen, um auf die andere Seite des Windlilien-Hangs zu kommen, von wo aus sie über die Feuerkorn-Steppe herfallen konnten. Angeführt wurden sie von Gilden-Anführerin Han, die – obwohl sie aus einer kleineren Gilde stammte – von allen respektiert und geachtet wurde. Etwa die Hälfte ihrer Truppen bestand aus Reiterei, die mit einiger Mühe über den Fluss gebracht wurde, sich dann aber in ungeheurer Geschwindigkeit durch die Landschaft bewegte. Währenddessen näherten sich die Erzwächter der Dul-Gilde vom Norden aus, überquerten den Fernen Strom und arbeiteten sich weiter in Richtung Phönix-Hof vor.
Doch natürlich ließ die Rin-Gilde das nicht klaglos über sich ergehen. Schon an den Grenzen der Feuerkorn-Steppe gab es erste Auseinandersetzungen. Schwerter prallten aufeinander, Pfeile wurden abgeschossen, Blut vergossen. Jemand von der Dul-Gilde kam auf die Idee, die Steppe in Brand zu setzen, sodass auf diese Art mehrere Kriegslager und Militärstützpunkte kampflos erobert werden konnten. Die Anhänger der Rin-Gilde mussten ein Stück weit fliehen, bevor sie sich wieder sammelten und einen Gegenangriff begannen.
Aber egal wie viel Kraft und Mühe sie aufwendeten: Gegen die vereinten Kräfte der Ghan-Gilde und Dul-Gilde kamen sie nicht an. Nachdem die Truppen der beiden Verbündeten endlich zusammentrafen, hatte die Rin-Gilde so gut wie verloren. Ein Dorf und eine Stadt nach der anderen fiel. Viele kleinere Gilden ergaben sich, damit ihre Anhänger nicht getötet wurden. Dennoch rollten Köpfe. Einige wurden im Eifer des Gefechts einfach niedergestochen. Anderen wurde keine Gnade zuteil, weil sie den feindlichen Erzwächtern irgendwie geschadet hatten. Sie wurden aufgeknüpft oder öffentlich hingerichtet. Je weiter der Krieg fortschritt, desto grausamer wurden die Gedanken der überlegenen Erzwächter.
In Ridike wurde eine Musikschule niedergebrannt. Jemand hatte behauptet, sie wäre von Ghan Jadna gegründet worden, woraufhin mehrere Anhänger der Ghan-Gilde sich fanden, um sie anzuzünden. Die Kinder auf den Straßen weinten. Ein Mädchen rannte noch in das brennende Gebäude hinein, um ihr Instrument zu holen und wurde unter einer zusammenstürzenden Decke begraben. Die Schreie waren herzzerreißend, aber die meisten waren der Meinung, sie hätten es verdient. Nur wenige der feindlichen Erzwächter gaben sich die Mühe, die toten Feinde zu begraben und den einfachen Bewohnern zu versichern, alles würde gut werden.
Zum Ende des Herbstes hin stockte der Vorstoß der Ghan-Gilde und der Dul-Gilde. Die Rin-Gilde hatte es irgendwie geschafft, in kürzester Zeit eine Art Blockade in einem weiten Radius um den Phönix-Hof zu errichten. Es gab Fallen, ähnlich Tierfallen, die in die Erde gegraben waren. Sie waren mit Gras bedeckt und von außen kaum zu erkennen. Erst, wenn man rauf trat und auf einem der Holzpfähle am Grund der Grube aufgespießt wurde, wurden sie sichtbar. Der erste, der einer solchen Falle zum Opfer fiel, war ein junger Mann mit abstehenden Ohren. Einige sagten, er wäre der Diener von Rin Verran und zudem mit Meisterin Zha verwandt. Aber wer konnte das schon genau wissen. Sein Leichnam wurde nicht mal aus der Grube geholt. Es gab zu wenig Zeit, um sich um sowas zu kümmern. Bald würde der Winter einbrechen. Und das war etwas, wovor viele sich fürchteten.
»Der Phönix-Hof muss vor Einbruch des Winters erobert werden«, hatte Ghan Shedor befohlen. »Sonst wird es zu gefährlich, sich ins Gebirge zu begeben, um den Rothirsch-Turm anzugreifen.«
Nach einiger Zeit des Nachdenkens und der kleineren Scharmützel kam Gilden-Anführerin Han die Idee, die Tiere, die eigentlich als lebender Nahrungsvorrat mitgenommen worden waren, und die Pferde, die ihre Reiter verloren hatten, voraus zu schicken, damit sie die Fallen zuerst auslösten. Der Plan ging auf. In Schlangenlinien näherten sich die Truppen dem Phönix-Hof, dessen Außenmauer von Weitem wie ein schwarzer, undurchdringlicher Wall aussah. Es kam zu einem großen Kampf.
DU LIEST GERADE
Grüner Habicht und Roter Drache
AventuraBis zu seinem fünfzehnten Lebensjahr wächst Rin Verran mehr oder weniger behütet in seinem Zuhause, dem Phönix-Hof, auf. Obwohl er nur der uneheliche Sohn des Gilden-Anführers ist, träumt er davon, ein berühmter Erzwächter und Krieger zu werden. In...