Kapitel 81: Fluss - Teil 3

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Weitere Monate vergingen. Aus Herbst wurde Winter und dann Frühling. Rin Verran hatte sich schon so sehr an das Leben auf dem Hof gewöhnt, dass er jeden Tag pünktlich zum Krähen des Hahns aufstand und anfing zu arbeiten. He Kenje und He Baltabek behandelten ihn fast wie einen eigenen Sohn und obwohl er schon so lange bei ihnen war, baten sie ihn nicht darum, fortzugehen. Dabei waren alle seine Wunden schon verheilt. Nur von den schlimmsten Verletzungen waren einige Narben geblieben.

Eines Nachts wurde Rin Verran von etwas geweckt, das er erst nicht richtig einordnen konnte. Müde mit den Augen blinzelnd rollte er sich auf die andere Seite, wobei das Stroh unangenehm über seine Wange kratzte, aber da hörte er es wieder. Ein leises Klopfen. Zu weit, um an der Scheunentür zu sein, aber doch nah genug, dass er es wahrnehmen konnte. Verwirrt kroch er zu dem Loch im Dach hin, das er im Winter mit Brettern abgedeckt hatte, jetzt jedoch wieder frei lag, und schaute hinaus.

Was zum Henker?

Im ersten Moment dachte er, einer der Nachbarn wäre gekommen, um Ärger mit He Baltabek und He Kenje zu suchen. Vielleicht auch mit ihm. Deutlich sah er die Fackeln, die die Gruppe aus vier Leuten in den Händen hielt. Aber etwas an ihnen kam ihm seltsam vor. Die Kleidung passte nicht. Das ganze Aussehen passte nicht. Diese Leute trugen keine Bauernkleidung, sondern eng anliegende Lederrüstungen. An ihren Seiten blitzte Metall im Fackellicht auf. Waffen?

Rin Verran war sofort hellwach. Ohne nachzudenken kletterte er die Leiter hinunter, um vom Dachgeschoss der Scheune, wo er immer schlief, auf den Boden zu kommen. Instinktiv griff er nach einer der Mistgabeln und quetschte sich mit ihr durch den winzigen Spalt, den er riskieren konnte zu öffnen, ohne von diesen fremden Leuten gesehen zu werden. Doch kaum war er hindurch, sah er, dass He Baltabek ihnen bereits die Tür geöffnet hatte.

Nein! Rin Verrans Herz setzte einen Schlag aus. Er rannte los. Bereit, den alten Mann vor jedem Angriff zu beschützen, der vielleicht kommen könnte. Gerade öffnete er den Mund, um eine Warnung zu schreien, als He Baltabek ihn plötzlich direkt ansah und unauffällig den Kopf schüttelte. Rin Verran blieb sofort stehen. Was? Was will er damit sagen?

Auf einmal verbeugten sich die vier Personen vor dem alten Mann. Dabei hielten sie die rechte Hand über ihre linke Brust; die Finger schienen dabei irgendwas zu formen. Ein Zeichen? Irritiert ließ Rin Verran die Mistgabel sinken. Die Fremden hatten ihn noch nicht bemerkt und He Baltabek schien auch nicht die Absicht zu haben, ihn zu verraten. Also schlich er sich lautlos hinter den Hühnerstall und von dort aus näher zur Haustür. Dabei hielt er sich im Verborgenen, damit man ihn nicht entdeckte. Als er nah genug war, um etwas zu hören, hockte er sich hin und lauschte. Wer sind diese Leute?

»... früher als gedacht«, sagte He Baltabek gerade.

»Der Winter war nicht der beste«, antwortete eine junge Frau, fast noch ein Mädchen. Ihr Tonfall war schnippisch, fast als würde sie sich über die Bemerkung des alten Mannes ärgern. »Also? Hast du etwas für uns?«

»Ja. Ihr findet alles im Stall. Die zwei Säcke. Es sind Kartoffeln und Getreide darin.«

»Nur zwei Säcke?«, beschwerte das Mädchen sich.

»Es ist besser als nichts, Kar Moora«, sagte ein ebenfalls ziemlich junger Mann. »Du solltest froh sein, dass es überhaupt Menschen wie Herr He gibt, die uns helfen. Viele andere würden uns am liebsten tot sehen. Sie denken, wir machen zu viele Schwierigkeiten.«

»Zu viele Schwierigkeiten?«, regte das Mädchen sich auf. »Es ist die Ghan-Gilde, die Schwierigkeiten macht! Mama und Papa sind wegen ihr gestorben!«

»Ich weiß, ich weiß.«

»Wir sollten die Sachen so schnell wie möglich holen und uns dann auf den Rückweg machen«, bemerkte ein anderer Mann. »Die Sonne wird in zwei Stunden aufgehen und wir können nur bei Nacht reisen.«

Grüner Habicht und Roter DracheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt