Die Reise zum Krähen-Palast dauerte länger als sie es eigentlich geplant hatten. Das lag vor allem an Rin Veyvey, die ihren Wagen regelmäßig anhalten ließ, weil ihr angeblich schlecht wurde, obwohl sie schon mehr als nur ein Mal in einem unterwegs gewesen war. Rin Verran war zunächst dagegen gewesen, mit den drei Wägen zu fahren – rittlings auf Pferden ging es viel schneller –, aber Rin Veyvey hatte darauf bestanden. Umso mehr wunderte es ihn, dass sie ihn jetzt genau wegen dieser Wahl noch weiter aufhielt. Aber er hatte auch nicht vor, zu ihr zu gehen und sie zur Rede zu stellen. Er wartete einfach geduldig zusammen mit seinem zur Seite gestellten Diener in seinem eigenen Wagen.
Zha Elto hatte letztes Jahr erst die Gämsen-Pagode verlassen. Seinem Namen nach zu urteilen war er wohl irgendwie mit Meisterin Zha verwandt, aber wie genau, konnte er anscheinend selbst nicht erklären. Er war die meiste Zeit aufgeregt am Rumzappeln und wenn Rin Verran ihn aus irgendeinem Grund ansprach, leuchteten seine Augen sofort vor Begeisterung auf. Kurz gesagt: Er war einfach nur übereifrig und sah ihn wohl als eine Art Vorbild.
Als sie endlich die Straße durch den Silbermistel-Wald entlang fuhren und Rin Verran schon glaubte, sie hätten ihr Ziel im nächsten Moment erreicht, ertönte wieder der ihm bereits allzu bekannte Ruf von Rin Veyvey. Die Wägen hielten an. Eine Tür knallte. Schnelle Schritte, die sich entfernten, dann ein Würgen.
»Was ist nur mit ihr los?«, flüsterte Rin Verran mehr zu sich selbst, aber offenbar hatte Zha Elto ihn gehört. Der junge Mann setzte sich sofort auf, die blauen Augen strahlten.
»Ihr wisst es nicht?«
Rin Verran warf ihm einen finsteren Blick zu. Normalerweise brachte ihn das dazu, schnell wieder zu verstummen, aber diesmal nicht. Zha Elto kratzte sich verlegen hinter den abstehenden Ohren.
»Ihr wisst es wirklich nicht. Wie gut, dass ich es Euch sagen kann! Meine Mutter hatte das nämlich auch mal.«
»Soll ich sie im Krähen-Palast zu einem Heiler schicken?«, fragte Rin Verran leicht besorgt. »Ist es eine Krankheit?«
»Wenn Ihr eine schwangere Frau als krank bezeich...«
»Was?« Rin Verran war sofort hellwach und fuhr hoch.
Zha Elto zuckte erschrocken zusammen. »Schwangeren wird oft übel. Das hat mit irgendwas in ihrem Blut oder so zu tun. Keine Ahnung. Meine Mutter hatte das auch, als sie mit meiner Schwester schwanger war.«
Rin Verran fluchte innerlich. Es fühlte sich an, als würde er in ein unendlich tiefes, schwarzes Loch fallen. Genau das, was er befürchtet hatte, war eingetreten. Ein Fehler, ein einziger Fehler und sowas kam dabei heraus! Du bist ein Mistkerl, Verran, sagte er sich. Ein hoffnungslos verlorener Mistkerl. Und dennoch war da etwas, was er nicht verstand. Eine milde Wärme, die sich in seiner Brust ausbreitete. Ein kleiner, leuchtender Funke.
Als das Würgen aufhörte und er Schritte hörte, die zurück kamen, öffnete er die Tür seines eigenen Wagens und stieg aus. Rin Veyvey stand zusammen mit Lai Vatani mitten auf der Straße und drehte sich erschrocken zu ihm um. Rin Verran ignorierte die Frage des Wagenführers, was denn los sei, und ging geradewegs auf Rin Veyvey zu. Sie war einen Kopf kleiner als er und musste zu ihm hoch schauen. Unruhig knetete sie ihre Hände.
»Wann hattest du vor, es mir zu sagen?«, fragte Rin Verran wahrscheinlich etwas zu harsch, denn ihr Blick verhärtete sich und wurde trotzig.
»Was zu sagen? Ich weiß nicht, wovon du redest.«
»Du erwartest ein Kind, oder?«
An dem herunterklappenden Mund von Lai Vatani konnte er sehen, dass er recht hatte. Ein Lächeln zuckte über seine Lippen.
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Grüner Habicht und Roter Drache
AventuraBis zu seinem fünfzehnten Lebensjahr wächst Rin Verran mehr oder weniger behütet in seinem Zuhause, dem Phönix-Hof, auf. Obwohl er nur der uneheliche Sohn des Gilden-Anführers ist, träumt er davon, ein berühmter Erzwächter und Krieger zu werden. In...