Kapitel 4: Schriften - Teil 1

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Als Rin Verran und Rin Raelin erfuhren, dass sie morgen endlich ihre erste Unterrichtsstunde haben würden, freuten sie sich nicht wirklich. Es war eher eine Erleichterung, nichts mehr abschreiben zu müssen und anscheinend hatte Jhe Newin nicht mal gemerkt, dass sie weniger als hundert Kopien angefertigt hatten.

Die Sonne war noch nicht aufgegangen, als Rin Raelin sich bereits aus dem Bett hievte. Er hatte absolut keine Lust, ein weiteres Mal zu spät zu kommen. Er konnte eigentlich sogar von Glück sprechen, dass Jhe Newin seinen Vater nicht darüber benachrichtigt hatte, wie sie die ersten zehn Tage in der Gämsen-Pagode verbracht hatten. Wenn es sehr schlecht gelaufen wäre, hätte Rin Baleron vielleicht sogar einen seiner Diener mit einem Brief hergeschickt, in dem er seinem Sohn ausführlich geschildert hätte, wie enttäuscht er war und dass es eine Schande für die Rin-Gilde war, so einen Schüler in der Gämsen-Pagode zu haben. Was Rin Verran anging...

Rin Raelin schaute zu seinem Bruder hinüber, der immer noch fest schlief und sich auf die Seite gedreht hatte. Wenn Rin Verran ungehorsam war, war das nichts Neues. Aber im Gegensatz zu Rin Raelin kam er damit meistens ohne größere Bestrafungen davon. Das lag daran, dass er nie der Anführer der Rin-Gilde werden würde, da er nur Rin Balerons unehelicher Sohn war. Außerdem wussten nur sehr wenige von ihm. Also konnte er dem Ruf seiner Gilde mit seinen Taten nicht so sehr schaden wie Rin Raelin.

Gerade wollte er zu Rin Verran gehen, um ihn zu wecken, als er schon von alleine aufwachte und sich aufsetzte. Er blinzelte sich den Schlaf aus den Augen und als er seinen Bruder bereits in der grünen Kleidung der Val-Gilde sah, grinste er frech. »So früh schon wach und begierig darauf, dieses hässliche Grün anzuziehen?«

Rin Raelin zeigte drohend mit dem Zeigefinger auf ihn. »Du wirst das auch gleich anziehen müssen!«

»Schade, dass wir unsere schwarze Kleidung nicht tragen dürfen«, sagte Rin Verran, während er sich ebenfalls fertig machte. »Schwarz ist viel eleganter. Unter den fünf mächtigsten Gilden ist die Kleidung der Rin-Gilde sowieso am besten.«

Rin Raelin schaute zu dem Haufen schwarzen Stoffes hinüber, den sie in das oberste Regal des Schrankes verbannt hatten. »Du meinst am schönsten? Sehe ich nicht so.«

»Ich meine nicht am schönsten, ich meine am besten«, blieb Rin Verran dabei. »Schwarz hat viele Vorteile. Angenommen, es findet wieder ein Zatos statt. Bei Nacht haben die Anhänger der Rin-Gilde viel bessere Chancen, bei der Jagd ein Tier zu erlegen, weil man sie in der Dunkelheit fast nicht sieht. Und jetzt stell dir mal vor, jemand von der Val-Gilde versucht, sich an das gleiche Tier anzuschleichen. Es wird denjenigen wegen der auffälligen grünen Kleidung doch schon von Weitem sehen und wegrennen!«

»Eigentlich hat die Val-Gilde bei den Jagden immer ziemlich gute Plätze belegt«, wandte Rin Raelin ein. »Wenn den überhaupt Anhänger von ihr gekommen sind.«

Rin Verran zuckte nur mit den Schultern und sagte darauf nichts mehr, bis sie in Richtung Speisesaal aufbrachen. Von ihnen beiden war nur Rin Raelin bisher bei einer Jagd dabei gewesen und das war schon drei Jahre her. Rin Baleron hatte ihn zum Schwarzgras-Berg, der Heimat der Mahr-Gilde, mitgenommen, wo sie stattgefunden hatte. Zwar hatte er nicht daran teilgenommen, aber zusammen mit seiner Schwester Rin Jadna zugesehen.

Eine solche Jagd fand mindestens ein Mal im Jahr statt und war Teil eines größeren Wettkampfes, der nach dem Veranstalter des ersten seiner Art Zatos-Meisterschaft, oder einfach nur Zatos, genannt wurde. Diese Meisterschaft wurde von einer der fünf mächtigsten Gilden geplant und organisiert. Dabei gab es nicht nur die Jagd, in der es darum ging, die meisten Tiere zu schießen, die in einem bestimmten, abgegrenzten Bereich freigelassen wurden, sondern auch andere Disziplinen, in denen die Anhänger der verschiedensten Gilden sich messen konnten. Kampf mit unterschiedlichen Waffen, Tanz, Gesang, Kunst und weitere. Dennoch war die Jagd das, worauf alle sich am meisten freuten. Wer die Jagd gewann, wurde von allen bewundert und mit Lob überschüttet. Nicht selten versuchten einige Väter oder Mütter dann, ihre Töchter oder Söhne mit dem Sieger oder der Siegerin zu verkuppeln, um etwas von diesem Ruhm selbst abzubekommen.

Grüner Habicht und Roter DracheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt