Sieben Monate später in einer abgelegenen Hütte.
Bei jedem Schrei, den Ghan Ilana ausstieß, befürchtete Mahr Ledja, gleich würde jemand aus dem nächsten Dorf kommen und nachsehen, was hier los war. Zwar lag Skoli etwas weiter weg und auch noch auf der anderen Uferseite, aber allein der Gedanke daran, brachte sie an den Rand der Panik. Niemand durfte wissen, dass die Gilden-Anführerin der Ghan-Gilde schwanger war und jetzt ein Kind auf die Welt brachte, das nicht von ihrem Ehemann war.
Für einen kurzen Moment verstummte Ghan Ilana und sog scharf die Luft ein, während ihre Hände sich so sehr an Mahr Ledjas Unterarm klammerten, dass sie das Gefühl hatte, die Frau könnte ihre Knochen brechen. Ihre strohblonden Haare klebten ihr schweißnass auf der Stirn, die Brust hob und senkte sich schwer. Als ein weiterer Krampf durch ihren Unterleib fuhr, presste sie die Kiefer fest zusammen, konnte einen weiteren Schmerzensschrei jedoch nicht unterdrücken.
»Alles wird gut«, flüsterte Mahr Ledja ihrer Freundin beruhigend zu, schaute aber trotzdem besorgt zu Wen Erda hinüber, die zwischen Ghan Ilanas Beinen saß. Die Dienerin hatte auch bei Mahr Xeros Geburt geholfen. Damals war Mahr Ledja alles so unwirklich vorgekommen. Sie konnte sich noch genau an diese schrecklichen Schmerzen erinnern, aber nicht daran, dass sie so stark geblutet hatte. Das weiße Bettlaken war bereits fast vollständig rot und der Fleck zog sich immer weiter zum Rand hin. Es war ein Wunder, dass Ghan Ilana das Bewusstsein noch nicht verloren hatte.
Wenn sie stirbt, werde ich das nicht erklären können, fuhr es ihr durch den Kopf. Ich werde es nicht erklären können. Verdammter...
Plötzlich schrie Ghan Ilana ein letztes Mal auf und löste dann den Griff um Mahr Ledjas Unterarm. Ihr ganzer Körper sackte in sich zusammen. Nur ihre Augenlider flatterten etwas.
»Nein!« Erschrocken beugte Mahr Ledja sich über ihre Freundin und schüttelte sie an den Schultern. »Nein! Ghan Ilana! Wach auf! Du musst bei mir bleiben! Hörst du! Du darfst nicht aufgeben! Nicht jetzt!«
Irgendwo hinter ihr ertönte das laute Kreischen eines Säuglings. Offenbar lebte das Kind, aber was war mit seiner Mutter? Wen Erda sagte irgendwas, was sie nicht verstand, und drängte sie zur Seite. Benommen stolperte Mahr Ledja zurück. Alles fühlte sich so unecht an, so falsch. Als wäre sie nur ein Beobachter. Sie taumelte zu dem Stoffbündel, in dem das Kind eingewickelt war. Es kreischte ununterbrochen. Die Haut war so rosig und faltig wie bei jedem Säugling direkt nach der Geburt. Der Rand des weißen Stofftuchs mit den grauen Punkten – dem Zeichen der Jian-Gilde – überlappte das Gesicht ein Stück. Mit zittrigen Fingern zog Mahr Ledja es wieder zurecht, bevor sie das Kind auf den Arm nahm, es beruhigend wiegte. Ihr Blick fiel auf die zwei Pelzmäntel, die auf den dazugehörigen Gestellen hingen. Sie waren bereits fertig, sahen fast vollkommen gleich aus. Weil Ghan Ilana zum Ende der Schwangerschaft hin immer schneller müde geworden war, hatte Wen Erda ihr einen Teil der Arbeit abgenommen. Alles umsonst? Es darf nicht alles umsonst sein!
Mahr Ledja holte tief Luft, wappnete sich für das Schlimmste und drehte sich wieder zum Bett um. Es war, als hätte jemand ihr einen schweren Felsen von den Schultern genommen. Ghan Ilana war wieder bei Bewusstsein und wurde von Wen Erda gestützt, die ihr mehrere Kissen hinter den Rücken legte.
»Mein Kind«, wisperte Ghan Ilana schwach und Mahr Ledja trat sofort zu ihr, um es ihr zu geben. Ihr war anzusehen, dass dies nicht ihre erste Geburt war. Vermutlich aber die schlimmste. Sie entblößte sofort ihre Brust, um dem Kind trinken zu geben.
»Es ist ein Mädchen«, sagte Wen Erda, während sie nach einem feuchten Lappen griff und sich die blutigen Hände säuberte. »Wie wollt Ihr sie nennen?«
»Sie nennen?« Ghan Ilana verzog gequält das Gesicht. »Zwing mich nicht dazu, ihr einen Namen zu geben. Ich werde sie sowieso nie wieder sehen. Besser, ich binde mich nicht an sie. Und sie nicht an mich. So kann ich schneller vergessen, was hier geschehen ist.«
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Grüner Habicht und Roter Drache
AdventureBis zu seinem fünfzehnten Lebensjahr wächst Rin Verran mehr oder weniger behütet in seinem Zuhause, dem Phönix-Hof, auf. Obwohl er nur der uneheliche Sohn des Gilden-Anführers ist, träumt er davon, ein berühmter Erzwächter und Krieger zu werden. In...