Kapitel 29: Pflicht - Teil 2

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Während der nächsten Tage und Wochen waren die Vorbereitungen für die Hochzeit in vollem Gange. Der Forellen-Pavillon wurde von Dul Caitha – mittlerweile hatte er sich an ihren richtigen Namen erinnert – persönlich geschmückt. Sie war in ihrer Heimat offenbar eine berühmte Künstlerin gewesen und die Wände im Muschel-Saal waren von oben bis unten mit Wandgemälden von ihr bedeckt.

Da Rin Verran der »Alternative« zugestimmt hatte, wurde er auch aus dem Gebäudeteil, in dem er gefangen gehalten worden war, in einen anderen verlegt. Genauer gesagt in denselben, in dem Dul Veyvey wohnte. Er spiegelte sein früheres Gefängnis genau wieder, bis auf die Anordnung der Möbel vielleicht und es gab auch keine Bibliothek, sondern ein Zimmer, das nur der Lagerung der Kleider und Schminksachen gewidmet war, die die junge Frau haufenweise hatte. Der Eingangsbereich war jedoch durch einen Wandschirm in der Mitte geteilt worden, sodass Rin Verran und Dul Veyvey theoretisch im selben Gebäudeteil waren – wie es sich für Ehemann und Ehefrau gehörte –, sich aber durch die Trennung trotzdem in unterschiedlichen Räumen aufhielten. Dennoch begegnete er Dul Veyvey oft genug, die ihm jedes Mal einen vernichtenden Blick zuwarf und ihre Dienerin Lai Vatani am Arm wegzog, während sie ihr lauthals erklärte, wie scheiße und unmöglich ihr Verlobter doch war. Rin Verran fand das mittlerweile schon so normal, dass es ihn nicht weiter kümmerte.

Das einzige, was ihm Sorgen machte, war, dass er selbst bei seiner eigenen Hochzeit wahrscheinlich ohne Familie da stehen würde. Oft, wenn er alleine im Bett gelegen und versucht hatte, sich Arcallas Gesicht ins Gedächtnis zu rufen, hatte er sich ihre gemeinsame Hochzeit am Phönix-Hof vorgestellt. Wie sie in prächtigen Gewändern den Teppich entlang zur Treppe gehen würden, sich vor ihren Eltern verneigten und um ihren Segen baten. Tanzende Blütenblätter in der Luft, fröhliche Musik und Tänze. Bestimmt würde Rin Jadna ein eigenes Stück für seine Hochzeit schreiben und Rin Raelin würde vielleicht leise fluchen, aber später zu ihm kommen und ihm aufmunternd auf die Schulter klopfen. Und er selbst? Er würde Arcalla in seinen Armen halten und sie nie wieder loslassen.

Aber das war alles nur ein Traum, ein Wunschtraum, der jetzt nie in Erfüllung gehen würde.

Sein Vater und Rin Narema würden genauso wenig da sein wie Rin Raelin und Rin Jadna. Er hatte wenigstens seiner Schwester einen Brief geschrieben, aber sie hatte geantwortet, dass keiner von ihnen kommen würde, da er offiziell nicht mehr zu ihrer Familie gehörte. Und dass sie den Brief aus ihrer Musikschule in Ridike hatte schicken müssen, weil ihr Vater ihr und allen anderen verboten hatte, auf seine Nachricht zu antworten. Er hatte an ihrer Schrift und der teils verwischten Tinte gesehen, dass sie beim Schreiben gezittert hatte. Wenn ein Herz weinen könnte, wäre das von Rin Verran wahrscheinlich schon lange ausgetrocknet.

Am Tag der Hochzeit wurde er schon früh morgens von einem Diener geweckt und aus dem Gebäudeteil geschmissen, da Dul Veyvey jetzt anfangen würde, sich auf die Zeremonie vorzubereiten. Es brachte angeblich Unglück, wenn der Mann seine zukünftige Frau vorher im Hochzeitsgewand sah. Daher musste Rin Verran zurück in sein früheres Gefängnis, wo eine ältere Frau auf ihn wartete, die etwa Mitte fünfzig sein musste.

»Guten Morgen, Junger Herr Rin«, begrüßte sie ihn mit einer angedeuteten Verbeugung. »Gilden-Anführerin Dul hat mich für den heutigen Tag eingestellt, um Eure Eltern zu vertreten.«

»Meine Eltern zu vertreten?«, fragte er verständnislos, immer noch etwas müde vom frühen Aufstehen. »Mein Vater hat mich verstoßen und meine Mutter ist tot.«

»Deswegen bin ich ihre Stellvertretung.« Die Frau lächelte und zeigte dabei ihre krummen, wenn auch erstaunlich weißen, Zähne. »Eure Mutter hieß Mehn Shia, nicht wahr? Wenn Ihr wollt, könnt Ihr mich bei der Zeremonie mit Frau Mehn ansprechen.«

»Nein!«, sagte Rin Verran schon etwas zu laut. »Nein«, wiederholte er etwas leiser.

»Dann könnt Ihr mich Frau Kleeblatt nennen«, meinte die alte Frau. »Das tun alle, denn ich bringe Glück – so wie alle Kleeblätter. Besonders, wenn es eine so tolle Hochzeit in so einer großen Gilde ist, wie sie hier stattfinden wird!« Als er nicht antwortete, räusperte sie sich kurz und fragte: »Seid Ihr mit der Zeremonie bekannt, Junger Herr Rin?«

Grüner Habicht und Roter DracheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt