Im tiefsten Winter, als die schwarzen Dächer des Krähen-Palastes unter einer Schicht weißen Schnees verschwanden, setzten bei Rin Veyvey die Wehen ein. Ihre Schreie waren bis in den Silbermistel-Wald hinein zu hören und setzten sich bis in die Nacht fort. Rin Verran war hin und her gerissen zwischen dem verpflichtenden Gefühl, bei ihr zu bleiben, und dem Drang, einfach die Flucht zu ergreifen. Letztendlich wurde er von den Heilern rausgeschickt und irrte durch die Flure des Palastes, versuchte gleichzeitig, die markerschütternden Schreie auszublenden, was jedoch praktisch unmöglich war. Seine Unruhe wuchs mit jeder Stunde, die verging, aber irgendwann wurde er endlich zurückgerufen.
»Wie geht es ihr?«, fragte Rin Verran, verunsichert angesichts der blutigen Ärmel des Heilers.
»Den Umständen entsprechend«, antwortete dieser und winkte ihn in das Zimmer. »Kommt, Rin Verran, und begrüßt Eure Tochter.«
Meine Tochter... Rin Verran blieb wie erstarrt im Türrahmen stehen und sah hinüber zum Bett, auf dem Rin Veyvey lag. Die Laken, die die Hebammen gerade auf einen Haufen legten, waren voller Blut. Die, auf denen Rin Veyvey ruhte, waren jedoch bereits frisch bezogen und weiß. Auf ihrer Stirn glitzerten Schweißtropfen und ihre Haare waren vollkommen durchnässt. Aber in ihren Augen standen Freudentränen, während sie auf das Bündel hinab blickte, das eine der Hebammen ihr gereicht hatte. Sie konnte den Blick gar nicht davon abwenden. Erst, als Rin Verran direkt neben ihr stand, sah sie auf, schwieg allerdings. Sie schien zu warten, ob er etwas zu sagen hatte. Dabei war er einfach nur überwältigt von dem Gefühl, das plötzlich in ihm aufwallte. Eine tiefe, bedingungslose Liebe zu diesem Kind, das in Rin Veyveys Armen ruhte. Er würde alles tun, um seine Tochter zu beschützen. Alles!
»Sie ist wunderschön«, brachte er schließlich heraus und streckte seine Hand aus, um sie zu berühren. Doch auf halbem Weg hielt er inne, zögerte. Sie ist so klein, so zerbrechlich.
»Ihr könnt sie ruhig nehmen«, beruhigte eine der Hebammen ihn. »Ihr müsst sie nur richtig halten. So.« Sie sah Rin Veyvey um Erlaubnis bittend an und nahm ihr das Kind aus den Armen. »Ihr müsst den Kopf gut stützen und dürft nicht zu fest drücken.«
Rin Verran kam sich wie der unsicherste Mensch der ganzen Welt vor, als die Hebamme ihm seine Tochter reichte. Sie ist so klein. Und so leicht. Er gab sich die größte Mühe, sie so zu halten, wie die Frau es gezeigt hatte und versteifte sich, als seine Tochter sich leicht bewegte. Dann fing sie an zu schreien, laut und durchdringend. Erschrocken sah er zu der Hebamme, die nur belustigt schmunzelte, ihm das Kind abnahm und wieder Rin Veyvey gab.
»Macht Euch keine Sorgen. Sie hat nur Hunger«, erklärte die Frau. »Wir werden Euch jetzt alleine lassen, aber vor der Tür wird eine von uns stehen. Sollte etwas sein, braucht Ihr nur zu klopfen.« Sie wandte sich an Rin Veyvey. »Ihr solltet Euch ausruhen. Trinkt viel Wasser.«
Rin Veyvey nickte ohne von ihrer Tochter aufzusehen, woraufhin der Heiler und die Hebammen mit den blutigen Laken in den Armen das Zimmer verließen. Rin Verran wusste nicht recht, was er tun sollte. Er hätte sich auf den Stuhl am Ende des Bettes setzen können, aber irgendwas hielt ihn davon ab, sodass er einfach neben dem Nachttisch zu Boden sank. Von hier aus konnte er Rin Veyveys Gesicht sehen, die gerade eine ihrer Brüste entblößte, um ihre Tochter zu stillen.
»Es tut mir leid«, war das erste, was Rin Verran einfiel. »Es tut mir leid, dass du das alles ertragen musstest, nur, weil ich mich habe gehen lassen. Es war ein...«
»Wage nicht zu sagen, dass es ein Fehler war!«, fuhr Rin Veyvey ihn auf einmal scharf an. Woher diese Kraft kam, war ihm ein Rätsel, aber sie funkelte ihn zornig an. »Unsere Tochter ist kein Fehler! Sie ist unser Fleisch und Blut!«
Rin Verrans Lippen zuckten. »Ich werde sie beschützen so gut ich kann. Ich würde mein Leben für sie geben.«
»Ich weiß«, sagte Rin Veyvey, die Stimme wieder schwach. »Ich fühle dasselbe. Auf eine groteske Art und Weise bin ich sogar froh darüber, das alles so geendet ist.« Sie schaute ihre Tochter liebevoll an, bevor sie sich ihm zuwandte: »Ich möchte sie Kahna nennen. Rin Kahna. Was denkst du?«
DU LIEST GERADE
Grüner Habicht und Roter Drache
DobrodružnéBis zu seinem fünfzehnten Lebensjahr wächst Rin Verran mehr oder weniger behütet in seinem Zuhause, dem Phönix-Hof, auf. Obwohl er nur der uneheliche Sohn des Gilden-Anführers ist, träumt er davon, ein berühmter Erzwächter und Krieger zu werden. In...