Als Rin Verran pünktlich zum Abend des zweiten Tages in das Versteck der Drachenklauen zurückkehrte, erwarteten Mehn Wudu, Ghan Leddan, Dia Nemesis und Jin Gajin ihn schon in der Haupthöhle. Das war nicht weiter verwunderlich, denn er hatte von Anfang an gewusst, dass jemand ihm folgen würde, um sicher zu gehen, dass er nicht floh. Dieser Jemand war natürlich vor ihm zurückgekehrt und hatte die anderen zusammengerufen. So, wie die Stiefel von Dia Nemesis aussahen, war wahrscheinlich sie es gewesen, die ihm bis nach Saresare gefolgt war.
Seine Theorie bestätigte sich, als sie ihn zwar ausdruckslos musterte, jedoch die Hand auf den Griff ihres Breitschwertes legte. »Du hast den Schlüssel nicht«, sagte sie hart.
»Doch«, widersprach Rin Verran ihr und musste fast auflachen. Natürlich ist sie zu dieser Schlussfolgerung gekommen. Schließlich war ich die ganze Zeit unterwegs, wo sie mich beobachten konnte, und Saresare konnte sie dank Ghan Edhors Broschüre nicht betreten ohne das Risiko einzugehen, aufzufliegen. Er griff in seine Innentasche, woraufhin Jin Gajin sofort seine zwei Dolche zog und Dia Nemesis ihr Schwert auf ihn richtete.
»Langsam«, forderte Ghan Leddan in ruhiger Stimme. Er war der einzige, dem seine Anspannung nicht anzumerken war.
Wie gewollt holte Rin Verran langsam seine Hand raus und öffnete sie, sodass die anderen den kleinen Schlüssel sehen konnten. Sofort leuchteten Mehn Wudus Augen auf und er trat einen Schritt vor, um ihn sich zu holen, aber im selben Moment zog Rin Verran seine Hand weg.
»Was soll das?«, fragte Mehn Wudu leicht verärgert.
»Ich habe mein Versprechen gehalten und den Schlüssel besorgt«, antwortete Rin Verran. »Jetzt müsst ihr euer Versprechen halten und mir Habichtfeder zurückgeben.«
»Er versucht, zu verhandeln«, erkannte Dia Nemesis und sah zum Anführer der Drachenklauen. »Du darfst nicht darauf eingehen!«
»Lasst mich gegen ihn antreten«, grinste Jin Gajin und drehte gelangweilt einen seiner Dolche herum. »Ihm wird das Lachen schon vergehen und dann wird er uns den Schlüssel freiwillig geben.«
»Nein.« Mehn Wudus Stimme durchschnitt die Luft wie ein scharfes Messer und er musterte Rin Verran von oben bis unten. »Die Drachenklauen stehen für die Gerechtigkeit und deswegen sollten wir uns an unsere Versprechen halten. Dia Nemesis, hol sein Herzstück.«
Die hoch gewachsene Frau zögerte nur einen winzigen Augenblick, bevor sie gehorchte. Sie verschwand im linken Tunnel und kehrte wenig später wirklich mit Habichtfeder zurück, die sie Rin Verran mit dem Griff nach vorne hinhielt. Doch kaum hatte er das Leder berührt, erklang das Kreischen eines Schwertes, das mit einer heftigen Plötzlichkeit aus der Scheide gezogen wurde. Reflexartig hob Rin Verran Habichtfeder und schaffte es so gerade noch rechtzeitig, Dia Nemesis' Angriff abzuwehren. Sie ließ die Klinge ihres Schwertes abgleiten und stieß erneut vor. Rin Verran wich dieses Mal zur Seite aus und sprang zurück, um etwas Abstand zwischen sich und die Frau zu bringen. Er bereitete sich auf einen weiteren Hieb vor, doch da war Ghan Leddan schon nach vorne gestürzt. Nur zwei schnelle Handbewegungen seinerseits und Dia Nemesis ließ ihr Schwert mit einem Schmerzensschrei fallen.
»Mehn Wudu hat nicht erlaubt, dass wir ihn angreifen!«
Die Frau ließ nicht erkennen, ob sie sich schuldig fühlte oder nicht. Sie hob einfach nur ihr Schwert auf und verließ wortlos die Haupthöhle. Sobald sie weg war, gürtete Rin Verran sich Habichtfeder wieder um und fuhr mit Bedauern über die Kerbe, die Dia Nemesis auf der Scheide hinterlassen hatte.
»Jetzt der Schlüssel.« Als wäre soeben nichts passiert, streckte Mehn Wudu auffordernd die Hand aus.
Rin Verran drehte den Schlüssel zwischen Daumen und Zeigefinger hin und her, zögerte. »Ich möchte die Kiste gerne selber aufschließen. Schließlich habe ich den Schlüssel gefunden und das Wasser der Wahrheit ist eine Erfindung meiner Mutter.«
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Grüner Habicht und Roter Drache
AdventureBis zu seinem fünfzehnten Lebensjahr wächst Rin Verran mehr oder weniger behütet in seinem Zuhause, dem Phönix-Hof, auf. Obwohl er nur der uneheliche Sohn des Gilden-Anführers ist, träumt er davon, ein berühmter Erzwächter und Krieger zu werden. In...