Kapitel 117: Wahrheit - Teil 3

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Dia Nemesis war die erste, die aus der Schreckensstarre hochfuhr. Mit hassverzerrtem Gesicht zog sie ihr Breitschwert und schwang es auf Rin Verran zu, der nur mit Mühe und Not ausweichen konnte, indem er die Dachschräge hinunter schlitterte. Mehrere der Schieferplatten fielen mit ihm runter, als er auf dem Boden aufkam, sich abrollte, wieder auf die Beine sprang und Habichtfeder zog.

»Verräter!«, schrie Dia Nemesis von oben hinab und folgte ihm nach unten, während die anderen Drachenklauen sich gerade erst auf die Beine erhoben.

»Zünd den Atem des Drachen an«, zischte Mehn Wudu Se Laf zu, die bereits nach ihrem Gürtel griff. »Bevor sie aus der Versammlungshalle fliehen können.«

Rin Verran konnte nur einen kurzen Blick zu ihnen hoch werfen, bevor Dia Nemesis mit dem Schwert auf ihn losging. Sie war stärker, viel stärker als er gedacht hatte, und sie legte diese Stärke in jeden ihrer Hiebe. Sein einziger Vorteil war, dass ihre Wut sie unbedacht werden ließ. Doch das würde nicht lange halten.

Verdammte Scheiße, fluchte er innerlich. Er würde nicht lange gegen sie durchhalten. Hinzu kam das Problem mit dem Atem des Drachen. Se Laf brauchte nur ein Streichholz anzuzünden und es hinunter ins Gras werfen, damit alles sich in einen wütenden Feuersturm verwandelte. Und wo waren die anderen hin? Er hörte das Splittern von Glas und vermutete, dass sie eines der Fenster eingeschlagen hatten, um in die Versammlungshalle zu kommen und Ghan Leddan da raus zu holen.

»Ich wusste, dass es ein Fehler war, dir zu trauen«, zischte Dia Nemesis vor ihm. Sie packte ihn auf einmal am Kragen, wirbelte ihn wie einen Sack herum und stieß ihn ins Gras. Eine klebrige Flüssigkeit benetzte die Halme unter seiner Hand. Doch er hatte keine Zeit, um weiter darüber nachzudenken. Rin Verran rollte sich zur Seite, um dem nächsten Hieb auszuweichen und schlug dabei selbst mit Habichtfeder nach Dia Nemesis' Beinen, aber die Klinge kratzte nur über das dicke Leder ihrer Stiefel.

Verdammte Scheiße, dachte er ein zweites Mal und im selben Augenblick ertönte ein lautes Sirren. Ein einzelner Pfeil flog durch die Luft und bohrte sich in die Kniekehle der Frau, die sogleich mit einem dumpfen Grunzen wegknickte. Während sie mit der freien Hand nach dem Schaft tastete, um ihn rauszuziehen, schoss ein weiterer Pfeil vorbei. Rin Verran hörte einen spitzen Schrei und sah nach oben. Se Laf stand immer noch auf dem Dach, doch jetzt hatte ein Pfeil ihre Hand durchbohrt, in der sie wohl zuvor das brennende Streichholz gehalten hatte, das nun auf einer der Schieferplatten erlosch. Bevor ein weiterer Pfeil sie treffen konnte, duckte sie sich und schlitterte auf der anderen Seite des Daches hinunter.

Rin Verrans Blick huschte zu den Büschen, in denen der Schütze sich offenbar versteckt hielt und atmete erleichtert aus, als die Zweige sich teilten und drei ihm bekannte Gestalten heraustraten. In der Mitte ging Meister Jhe, links von ihm Wen Irdan und rechts Kar Moora, die mit einem grimmigen Gesichtsausdruck gerade einen weiteren Pfeil auf die Sehne ihres Bogens legte.

»Verabschiede dich vom Leben, du beschissene Schlampe!«, fauchte sie Dia Nemesis an und ließ den Pfeil davon schnellen, aber die andere Frau tat einen Schritt zur Seite, sodass er ins Nichts ging, bevor sie zu dem eingeschlagenen Fenster der Versammlungshalle zurückwich und darin verschwand.

»Deine Spuren waren nicht gerade gut lesbar«, sagte Meister Jhe, während er auf Rin Verran zuging und vor ihm stehen blieb.

»Nicht gerade gut lesbar«, schnaubte Kar Moora. »Wir haben gedacht, ein sehr großer Vogel wäre nahe der Mauer gelandet und nicht, dass da der geheime Zugang ist. Du hattest Glück, dass wir den durchgebrochenen Ast gesehen und dann die verdammte Mauer abgesucht haben!«

»Kar Moora, du gehst aufs Dach«, befahl Meister Jhe, bevor Rin Verran etwas Bissiges erwidern konnte. »Schau zu, ob du eine von ihnen erwischen kannst.«

Grüner Habicht und Roter DracheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt