Kapitel 76: Verzweiflung - Teil 2

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Rin Verran hatte keine Zeit, um zu reagieren. Ghan Minues Schrei schallte durch die Luft, Blut spritzte auf, als Finsterlicht vier ihrer Finger abtrennte. Gleichzeitig packte Mahr Xero sie an den Haaren und zog sie zu sich. Mit dem Schwert an ihrer Kehle wich er einen Schritt zurück und starrte Ghan Shedor mit hassverzerrtem Gesicht an.

»Ghan Shedor!«, schrie er. »Eine Bewegung und ich schneide ihr die Kehle durch!«

Der Gilden-Anführer blieb auf der Stelle stehen, eine Hand an Todesgrund, die er jetzt jedoch langsam senkte. Wez Yumaton hatte sein eigenes Schwert bereits gezogen, regte sich aber auch nicht. Nur Zao Linn hatte es geschafft, einen Pfeil auf die Sehne ihres Bogens zu legen und ihn zu spannen. Die Spitze war auf Mahr Xero gerichtet, aber zwischen ihnen war Ghan Minue, die mit bleichem Gesicht ihre entstellte Hand anstarrte, aus der unaufhörlich Blut hervorquoll. Es sah so aus, als könnte sie jeden Moment ohnmächtig werden, doch Mahr Xero hielt sie eisern fest.

»Wenn du mich erschießen willst, wird sie mit mir sterben«, grollte er mit Blick auf die Bogenschützin, die wiederum zu Ghan Shedor sah. Der Gilden-Anführer war jedoch nicht in der Verfassung, irgendwelche Befehle zu geben. Sorge und zugleich Wut machten sich auf seinem Gesicht breit.

»Mahr Xero«, zischte Rin Verran dem Mann zu. »Warum tust du das?«

»Nimm das Tagebuch«, sagte Mahr Xero nur kalt. »Nimm es und wirf es in die Feuerschale dort!«

Rin Verran konnte es nicht fassen. Am liebsten hätte er ihn angeschrien. So eine Dummheit! Dabei habe ich ihn doch gewarnt! Glaubt er wirklich, er wird damit davonkommen? Dennoch konnte er kein Risiko eingehen. Mit erhobenen Händen beugte er sich hinab, nahm das Tagebuch und warf es in die nächste Feuerschale. Die Flammen verschlangen es sofort. Die Seiten kräuselten sich, lösten sich in Asche und Rauch auf. Das einzige Beweisstück.

»Ihr habt mich betrogen!«, spuckte Ghan Shedor aus. »Ihr habt das von Anfang an geplant, nicht wahr? Wolltet ihr deshalb, dass ich alle rausschicke? Damit ihr mich und Minue töten könnt, falls ich euren Forderungen nicht zustimme?«

»Nein!«, rief Rin Verran und warf Mahr Xero einen flehenden Blick zu. »Das ist alles ein Missverständnis!«

»Ich habe genug!«, schrie Mahr Xero. »Von allem!« Seine Hand zitterte. Ein rotes Rinnsal floss Ghan Minues Hals hinab und tränkte ihr grau-weißes Tuch. Tränen liefen ihre Wangen hinab, während sie leise wimmerte. Die Augen hatte sie mittlerweile geschlossen.

Mahr Xero richtete seinen Blick auf Ghan Shedor. »Ich möchte, dass du dir mit deinem Schwert die Pulsadern aufschneidest. Jetzt! Tu es oder deine geliebte Minue stirbt! Und danach werde ich mich persönlich um dich kümmern!« Es lag so ein Ernst in seiner Stimme, dass Rin Verran keinen Moment Zweifel daran hatte, dass er das wirklich tun würde.

»Elender Hurensohn«, presste Ghan Shedor hervor. »Nie im Leben tue ich dir diesen Gefallen! Tötet ihn!«

Wez Yumaton bewegte sich eine Stufe runter, aber sofort drückte Mahr Xero Ghan Minue die Klinge enger an den Hals. »Wage es ja nicht!«

»Rin Verran!«

Rin Verran schaute zu Ghan Shedor hinüber, der ihn gerufen hatte.

»Töte ihn! Du bist ihm am nächsten! Ich befehle es dir! Wem hast du deine Treue geschworen?«

Doch Rin Verran zögerte. Er sah Mahr Xero in die Augen, der seinerseits ihn anstarrte. Ich kann nicht. In gewisser Weise... ist er doch noch mein Freund geworden. Seine Hände ballten sich zu Fäusten, weigerten sich, Habichtfeder zu ziehen.

»Töte ihn!«, schrie Ghan Shedor nochmal, doch Rin Verran schüttelte den Kopf.

»Nein.«

Im selben Moment löste sich Zao Linns Pfeil. Das Geschoss sauste durch die Luft, bohrte sich seitlich in Ghan Minues Hals und dann in den von Mahr Xero. Beide stürzten zusammen. Ghan Minue schrie nicht mal, sondern verlor das Bewusstsein, während Blut in regelmäßigen Stößen aus ihrem Hals sickerte. Zusätzlich zur zerfetzten Haut prangte ein grellroter Strich auf ihrer Kehle. Mahr Xero röchelte, die Augen weit aufgerissen. Mit der freien Hand umklammerte er den Pfeil als wolle er ihn rausziehen, doch letztendlich verloren seine Augen an Glanz.

Grüner Habicht und Roter DracheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt