Kapitel 38: Inseln - Teil 4

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Als Rin Verran ankam, herrschte bereits pures Chaos. Fassungslos starrte er auf die zwei Leichen der Anhänger der Ghan-Gilde. Über einem von ihnen hockte eine schwarz vermummte Gestalt, in deren Hand ein funkelndes Messer aufblitzte, das dem Toten ein Grinsen ins Gesicht schlitzte. Die Drachenklauen!, schoss es Rin Verran durch den Kopf, der sich sofort an die Feuerwächter erinnerte, die damals vor Muwams Toren aufgehängt worden waren. Wie kommen sie hierher?

»Vorsicht!«, schrie Paat Jero, den er am Ufer getroffen hatte und mit dem er auf dem Boot auf diese Insel übergesetzt hatte. Der ältere Mann riss ihn zurück, bevor ein Schwert nur wenige Handbreiten an ihm vorbei sauste. Aber der Schlag zielte nicht auf ihn, sondern auf Ghan Idos, der an ihm vorbei schoss, nur mit einem Stock bewaffnet. Sein Gesicht war vor Wut verzerrt, während er versuchte, den Angriffen der zweiten vermummten Gestalt standzuhalten. Eine dritte kämpfte gegen einen Mann der Ghan-Gilde, den Rin Verran an seiner Narbe als Ghan Leddan erkannte, den Bruder des Gilden-Anführers. Aber wo war Ghan Kedron selbst?

Sie haben den Zeitpunkt ihres Angriffs perfekt abgeschätzt, begriff Rin Verran. Während der Jagd tragen die wenigsten ihre Herzstücke oder schwere Waffen bei sich. Nur ihr Jagdmesser.

»Scheiße«, hörte er Paat Jero fluchen, als die Person, die eben gegen Ghan Idos gekämpft hatte, zurück stolperte und dabei gegen ihn stieß. Der ältere Erzwächter versuchte, den Angreifer sofort beim Kragen zu packen, doch dieser war erstaunlich geschickt und riss sich los. Das Schwert blitzte auf und fuhr auf Paat Jeros Bein nieder, der fluchend in die Knie brach und gleichzeitig sein Jagdmesser zog. Aber der Angreifer hatte sich bereits wieder Ghan Idos zugewandt.

»Geht schon«, presste Paat Jero hervor, als Rin Verran zu ihm eilen wollte. »Helft besser den Anhängern der Ghan-Gilde!«

Rin Verran folgte seinem Blick und entdeckte Ghan Shedor, der auf einmal ebenfalls auf der Lichtung aufgetaucht war. Er hielt die Prostituierte an der Hand, die beim Anblick des Kampfes und der zwei Toten entsetzt kreischte und die Flucht ergriff. Im selben Moment ließ der Mann, der gegen Ghan Leddan kämpfte, von ihm ab und wandte sich stattdessen dem Neuankömmling zu. Das Kurzschwert in seiner Hand beschrieb einen Bogen durch die Luft, durchschnitt scheinbar Regentropfen in der Bewegung.

Rin Verran reagierte blitzschnell. Er hetzte über die Lichtung und ergriff das Handgelenk des vermummten Mannes, bevor er sein Schwert in Ghan Shedors Brust rammen konnte. Die Bewegungsrichtung der Klinge änderte sich, sie fuhr ins Leere. Der Angreifer wirbelte zu Rin Verran herum, riss sich los. Im ersten Moment schien er auf ihn losgehen zu wollen, doch aus irgendeinem Grund zögerte er. Warum hält er inne?

Er hatte keine Zeit, um sich weitere Gedanken darüber zu machen. Seine Hand umfing das Jagdmesser, die einzige Waffe, die er bei sich trug. Dieser Mann gehört zu den Drachenklauen. Wenn wir ihn gefangen nehmen, kann er uns mehr über sie erzählen. Drohend hielt er ihm das Messer entgegen, was in einer anderen Situation wahrscheinlich lächerlich ausgesehen hätte. »Lass deine Waffe fallen und ergib dich!«, forderte er.

Doch der Angreifer ignorierte ihn. Der Blickkontakt zerbrach, als er sich wieder Ghan Shedor zuwandte, der mittlerweile zu einer der Leichen gestolpert war und an deren Seite kniete. Er bekam gar nicht mit, was um ihn herum geschah. Auch nicht die Klinge, die auf ihn zu gesaust kam. Ohne nachzudenken packte Rin Verran den vermummten Mann am Kragen und zog ihn mit einem Schrei zurück. Gleichzeitig hielt er ihm das Jagdmesser an den Hals.

»Ich warne dich!«, presste er hervor.

Der Angreifer rührte sich im ersten Moment nicht, doch dann kämpfte er gegen seinen Griff an, schwang sein Schwert nach hinten. Rin Verran hatte keine andere Wahl. Er wich zurück und fuhr dem Mann dabei gleichzeitig mit dem Jagdmesser über den Hals. Sofort stieß dieser einen Schrei aus, der in einem Röcheln endete, hielt sich die Hand an die Kehle, um das herausströmende Blut aufzuhalten. Vergebens. Er brach zusammen und blieb am Boden liegen. Regen prasselte auf ihn und die sich langsam ausbreitende rote Pfütze.

Grüner Habicht und Roter DracheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt