»Die Lage ist Ernst«, begrüßte Val Zirro die anderen Meister beim Pavillon. Er hatte die Stirn besorgt in Falten gelegt und hob einen Brief hoch, den er offenbar vor Kurzem erhalten hatte. »Eine Nachricht der Zen-Gilde. Anscheinend werden die Räuber allmählich mutiger und dringen in unser Territorium ein. Sie haben ein Dorf in der Nähe des Echsen-Tempels niedergebrannt.«
»Die Zen-Gilde?«, hakte Zha Denja nach und warf einen flüchtigen Blick hinüber zu Jhe Newin, der mit finsterem Gesicht und verschränkten Armen am Geländer des Pavillons stand. Sie fürchtete, er könnte Val Zirro dazu auffordern, einige Erzwächter zum Echsen-Tempel zu schicken – immerhin kam seine Dienerin von dort –, aber er tat es nicht.
»Die Zen-Gilde«, bestätigte der Anführer der Val-Gilde und fuhr sich nachdenklich durch den weißen Bart. »Ihr Wohnsitz liegt nur ein paar Tagesreisen nördlich von uns. Wer weiß, wohin die Räuber jetzt aufgebrochen sind. Und was sie überhaupt wollen.«
Auf einmal stieß Jhe Newin sich vom Geländer ab und setzte sich doch noch zu ihnen. »Ich sage euch: Es sind die Drachenklauen.«
»Unwahrscheinlich«, hielt Val Zirro dagegen und schaute ihn mit einer Mischung aus Verärgerung und Enttäuschung an. »Wie wir schon vor etwa einem Jahr festgestellt haben, plündern diese Räuber keine Gräber. Es können also nicht die Drachenklauen sein. Es sei denn, sie haben ihren Moralkodex überdacht und brennen die Dörfer jetzt nur noch nieder statt auch ihre Friedhöfe zu schänden.«
»Was werden wir tun?«, fragte Val Erjan seinen Bruder.
Zha Denja versuchte, nicht in seine Richtung zu sehen, auch wenn es ihr schwer fiel. Seit dem Vorfall, der sie beide fast den Platz in der Gämsen-Pagode gekostet hätte, gingen sie sich aus dem Weg. Trotzdem spürte sie ein leichtes Ziehen in ihrer Brust, wenn er in ihrer Nähe war. Nur hatte sie mittlerweile gelernt, es nicht zu zeigen. Sie musste mittlerweile nicht mal mehr ihren Fächer Windspiel benutzen, um ihr Gesicht zu verdecken, das so leicht errötete.
»Es ist eine ungünstige Zeit«, sagte Val Zirro. »Das neue Jahr hat gerade erst angefangen. Wir können nicht nach Norden reisen, um zu versuchen, die Räuber zu stellen. Wir können der Zen-Gilde höchstens etwas Geld schicken.«
»Und was ist mit den Schülern?«, fragte Zha Denja nach einem Räuspern. »Die Schüler, die zurzeit in ihrem dritten Jahr sind? Die meisten haben die Gämsen-Pagode verlassen, um sich selbst zu finden.«
»Wir müssen sie natürlich zurückholen«, erklärte Val Zirro ernst. »Zwar haben sie nur einen Monat Zeit gehabt, aber dort draußen sind sie nicht sicher.«
»Die Gämsen-Pagode ist der sicherste Ort«, stimmte Val Erjan seinem Bruder zu. »Die Anführer berühmter Gilden haben uns ihre Kinder überlassen. Wir müssen dafür sorgen, dass ihnen nichts passiert.«
Val Zirro nickte zustimmend und wandte sich dann an Jhe Newin: »Es sind nicht die Drachenklauen, Jhe Newin. Wir haben das schon mehrmals durchgesprochen. Diese Bande hat sich schon vor langer Zeit aufgelöst.«
Jhe Newin nickte nur knapp, stieß sich wortlos vom Geländer ab und verließ den Pavillon strammen Schrittes. Zurück blieb ein unangenehmes Schweigen zwischen den drei übrigen Meistern. Zha Denja wich Val Erjans Blick aus und wandte sich ebenfalls ab.
»Ich werde dann die Brieftauben losschicken«, sagte sie und verschwand mit wehendem Kleid zwischen den Bäumen des Gartens. Es war später Abend, fast schon Nacht und sie hatte einen anstrengenden Tag hinter sich. Aber sie musste die Nachrichten unbedingt jetzt losschicken. Irgendwas sagte ihr, dass mit diesen Räubern nicht zu spaßen war, und – ob nun doch Drachenklauen oder nicht – sie wollte all ihre Schüler in Sicherheit wissen. Je früher sie die Tauben losschickte, desto besser.
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Grüner Habicht und Roter Drache
DobrodružnéBis zu seinem fünfzehnten Lebensjahr wächst Rin Verran mehr oder weniger behütet in seinem Zuhause, dem Phönix-Hof, auf. Obwohl er nur der uneheliche Sohn des Gilden-Anführers ist, träumt er davon, ein berühmter Erzwächter und Krieger zu werden. In...