Kapitel 14: Schwerter - Teil 1

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Die Schicht aus heruntergefallenen Nadeln und weichem Moos verschlang jedes Geräusch. Es war unmöglich zu sagen, ob sich außer ihnen noch jemand in der Nähe befand. Der Rotkiefer-Hain lag zwar direkt auf der anderen Seite des Knochenbrechers, gegenüber der Gämsen-Pagode, aber Rin Verran und Rin Raelin befanden sich gerade im mittleren Teil des Waldes, wohin sich kaum Menschen verirrten.

Rin Verran spähte hinein in die Schatten zwischen den Kiefern und versuchte, irgendeine Gestalt auszumachen, doch vergebens. Die Stämme standen erstens zu dicht beieinander und zweitens war die Sonne hinter dicken Regenwolken verschwunden, sodass nicht mal Lichtstrahlen ihre Umgebung erhellten. Irgendwo weiter oben knackte ein Ast und kurz darauf hüpfte ein Eichhörnchen auf einen benachbarten Zweig.

»Sicher, dass sie nicht gelogen haben?«, flüsterte Rin Raelin ihm im Flüsterton zu. Er war nicht begeistert gewesen, als zwei Waldarbeiter im Dorf weiter nördlich aufgetaucht waren, wo die beiden Brüder sich gerade von ihrer Reise zum Stillwasser-See erholt hatten, an dem sie einige Zeit als Fischer gearbeitet hatten. Die zwei Männer hatten von seltsamen Gestalten im Rotkiefer-Hain berichtet und dass sie Angst hatten, es könnten wieder die Räuber sein, die vor einiger Zeit schon Dörfer niedergebrannt hatten. Rin Verran hatte sich sofort bereit erklärt, zu helfen, auch wenn Rin Raelin erst dagegen gewesen war. Nur, nachdem er begriffen hatte, dass er sich vielleicht endlich im Kampf beweisen könnte, hatte er zugestimmt und war mitgekommen.

»Warum sollten sie lügen?«, erwiderte Rin Verran. »Und wenn schon. Sollte hier keiner sein, können wir einfach wieder zurück gehen. Oder hast du Angst?«

»Wer hat Angst?«, zischte Rin Raelin gereizt und versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. Der Rotkiefer-Hain war ihm unheimlich. Es war eines der wenigen Gebiete, die nicht direkt von einer Gilde kontrolliert wurden, sondern einfach zu einem Territorium dazu gehörten. In diesem Fall zu dem der Ghan-Gilde.

Auf einmal hob Rin Verran den Zeigefinger an die Lippen und lauschte. Schwach war das Knacken von Ästen und das Knarren der Kiefern zu hören, aber da war noch etwas. Schreie. Schreie von Menschen in Not. Von Menschen, die Hilfe brauchten. Ohne nachzudenken rannte Rin Verran los und zog im Laufen das Schwert, das er sich für wenig Geld bei einem zwielichtigen Händler gekauft hatte. Er konnte nur hoffen, dass es auch wirklich für einen Kampf taugte und nicht beim ersten Zusammenstoß zerbrach.

Die Schreie wurden immer lauter und irgendwo zwischen den Bäumen konnte er sogar den flackernden Schein eines Feuers ausmachen. Eines sehr großen Feuers, als hätte jemand absichtlich einige Kiefern angezündet. Als er auf eine Lichtung stolperte, erkannte er jedoch, dass es offensichtlich das kleine Arbeitslager der zwei Waldarbeiter war. Mehrere Männer mit Äxten standen vor einfachen Holzhütten, deren Dächer lichterloh brannten, und versuchten, schwarz gekleidete Gestalten zurückzudrängen.

»Die Räuber!«, stieß Rin Raelin aus, als er bei Rin Verran ankam. Seine Augen leuchteten kampflustig. »Ich nehme mir die links vor, du die rechts!«

Rin Verran nickte entschlossen, packte sein Schwert fester und stürzte auf eine der Gestalten zu, um sie von dem Mann wegzustoßen, dessen Axt gerade davon geschleudert worden war. Der Waldarbeiter stolperte erschrocken zurück, verschwand in der Hütte und schlug die Tür zu. Währenddessen drehte die Gestalt sich zu Rin Verran um. Es schien ein Mann zu sein, aber mehr konnte er nicht erkennen, denn das Gesicht war mit schwarzen Stoffstreifen umwickelt, ließ nur zwei funkelnde, blaue Augen frei.

»Lasst diese Menschen in Ruhe!«, zischte Rin Verran, obwohl er wusste, dass reden wahrscheinlich nichts bringen würde. Wie erwartet ging der fremde Mann auf ihn los. Zwei Dolche blitzten in seinen Händen auf, denen Rin Verran reflexartig auswich, bevor er sein Schwert schwang. Zu seiner Überraschung kämpfte der Fremde erstaunlich gut. Nicht so, wie er es von einem Räuber erwartet hätte. Trotzdem war Rin Verran ihm überlegen. Er wollte ihn nicht verletzen, nur mit einem Schlag gegen die Schläfe betäuben, aber im selben Augenblick wurde eine der anderen Gestalten auf ihn aufmerksam.

Grüner Habicht und Roter DracheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt